Die britische Schriftstellerin Doris Lessing, eine ständig warnende und kritische Beobachterin des 20. Jahrhunderts, ist tot. Sie starb nach Angaben ihrer Familie im Alter von 94 Jahren in London. Die in ihren jungen Jahren stark politisch engagierte Lessing war 2007 mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet worden. Ihr großer literarischer Durchbruch kam mit dem Roman "Das Goldene Notizbuch". Der HarperCollins-Verlag in London beschrieb Lessing und ihr Werk am Sonntag als ein "Geschenk an die Weltliteratur. Sie war eine der Größten ihrer Generation.".
Bis ins hohe Alter sei Lessing "Visionär" geblieben, sagte Nicholas Pearson von HarperCollins. "Sie blieb ein unruhiger Geist, neugierig und für jeden eine Inspiration." Lessing wurde 1919 als Doris May Taylor in Kermanshah im Iran geboren. Ihr Vater, ein kriegsversehrter britischer Offizier, zog später mit der Familie ins damals britische Südrhodesien (heute Simbabwe). Afrika prägte sie und ihr Werk entscheidend. Wegen ihrer Kritik an der Rassentrennung durfte sie jahrzehntelang nicht nach Rhodesien und Südafrika reisen.
Ihren ersten literarischen Erfolg erzielte Lessing 1949, als sie nach England übersiedelte - im Gepäck den Roman "Afrikanische Tragödie" über eine verbotene schwarz-weiße Liebe. In Afrika ließ sie zwei Kinder mit einem Kolonialoffizier zurück. Später heiratete sie den deutschen Exil-Kommunisten Gottfried Lessing, von dem sie einen Sohn hat und dessen Schwester Irene die Mutter des Linken-Politikers Gregor Gysi ist.
Feminismus-Vorbild wider Willen
Ihr berühmtestes Werk "Das goldene Notizbuch" (1962) wurde - gegen ihren Willen - zur Bibel des Feminismus. "Bewegungen lehne ich strikt ab", sagte Lessing dazu. Dennoch war sie bis zum sowjetischen Einmarsch in Ungarn 1956 Mitglied der Kommunistischen Partei Großbritanniens. Sie sei seinerzeit die einzige politische Herberge für Intellektuelle gewesen, argumentierte Lessing. Ihr Romanzyklus "Martha Quest" befasst sich denn auch mit der Verantwortung des Einzelnen in der Gesellschaft.
In den 90er Jahren veröffentlichte Lessing ihre Autobiografie in zwei Bänden. Als "Ersatz" für einen dritten Band, so Lessing, fasste sie ihre Lehren, Bekanntschaften und Erfahrungen aus den 1960er Jahren in dem Roman "Ein süßer Traum" zusammen. Es folgten die Bücher "Ein Kind der Liebe", "Die Kluft" und "Alfred und Emily." In den letzten Jahren war es still um sie geworden.