Nico Walker sitzt im Gefängnis in Kentucky. Elf Jahre dauert seine Strafe an. Im Jahr 2012 bekannte er sich schuldig, innerhalb von nur vier Monaten elf Banken in der Gegend von Cleveland überfallen zu haben. Im Gefängnis schrieb er nach dem Urteil den autobiografischen Roman "Cherry".
Walker ist kein Underdog. Er stammt aus einer reichen Familie, die ihn liebte. Aus dem Irak brachte er sieben Auszeichnungen mit, die er in mehr als 200 Kampfeinsätzen verdiente.
Wegen des Anschlags von 9/11 meldete er sich freiwillig. Er wurde als Kampf-Mediziner zugelassen und zog mit dem 167. gepanzerten Regiment ins "Dreieck des Todes" in den Irak.
Militärärzte, die Soldaten auf ihren Fronteisätzen begleiteten, gab es viel zu wenig. Walkers Dienst war daher weit härter und seine Missionen eng gepackter als die anderer Soldaten.
In "Cherry" beschreibt er die Einsätze. Auf einer Patrouille sahen sie plötzlich Rauch, dann fanden sie einen brennenden Humvee. Die verkohlten Leichen waren nicht mehr zu erkennen. Als Walker einen Toten aufheben wollte, schmolzen seine Latexhandschuhe. "Dieser Geruch ist etwas, das du bereits kennst", schreibt er in "Cherry". "Es ist in deinem Blut codiert."
Der US-Roman zur Opiat-Krise
Das New York Magazine nannte das Buch "den ersten großen Roman der Opiat-Epidemie", die "New York Times" bezeichnete es als "Coming-of-Age-Geschichte im Rückwärtsgang".
In den Romanen und Filmen nach dem Zweiten Weltkrieg kehren die Helden gereift zurück. Geläutert im Kampf – wer versagte, blieb auf dem Schlachtfeld. Diese Erzählungen waren damals schon verlogen. Walker erzählt, wie ein eigentlich perfekter junger Amerikaner in den Krieg zieht, aber innerlich zerstört nach Hause zurückkehrt und nicht mehr funktioniert. Bei einem Besuch erkannten seine Eltern ihn kaum wieder. "Er sagte, er sei sich nicht sicher, ob er zurückkommen würde", sagte sein Vater, Timothy Walker, der "NYT". "Er hatte die Augen eines Toten."
2006 kam er endgültig zurück. Von seiner Frau trennte er sich, er mied die alten Freunde und begann zu trinken. Dazu verstümmelte er seinen Körper und fing an Heroin zu konsumieren. "Vieles in dem Buch ist hässlich, aber ich hatte keine Wahl ", sagte Walker der New York Times. "Ich wollte nichts nicht romantisieren oder übertreiben, um die Sache unterhaltsamer zu machen. Ich wollte es so zeigen, wie es wirklich war."
Es gibt keinen großen Unterschied zwischen dem Roman-Erzähler und der Person Walker. Der Krieg in dem Roman ist trostlos. Wenn es keinen Einsatz gibt, spielen die Soldaten Poker oder sehen sich Pornos an. Ein paar machen Folter-Videos von Mäusen. Eine der Frauen hat ihren Mann gesagt, dass sie angefangen hat, als Stripperin zu arbeiten und dass sie ihn betrügt. "Sie hat ihm den ganzen Scheiß viel ausführlicher erzählt, als man erwartet hätte. Das war ein wenig übertrieben. Aber zu ihrer Verteidigung muss man sagen, dass sie verdammt gut aussieht und Corporal Lockhart ein Typ ist, hier rumläuft und Mäuse vor der Kamera kreuzigt."
Keine große Sache
2010 raubte Walker seine erste Bank aus. Ohne nachzudenken, ohne Fluchtplan und auch ohne Waffe. In dem Roman beschreibt Walker die tiefe Ruhe und den Frieden, den er empfand, nachdem die Kassiererin ihm das Geld nach dem ersten Raub ausgehändigt hatte. Ein Gefühl, dass er mit der Konzentration im Kampf verglich. "Ich habe nie daran gedacht, zu rauben", sagte er. "Es schien keine große Sache zu sein. Ich war dieses Gefühl gewohnt." Im Vergleich zum Krieg fühlte sich der Raub wie ein Kinderspiel an.
"Hunderte und hunderte Male bin ich mit Waffen durch die Häuser der Leute gegangen, habe Leute mit Kabelbindern angebunden, Leute angeschrien, manchmal geschossen, was waren diese Überfälle im Vergleich dazu?" In den nächsten vier Monaten hatte Walker fast ein Dutzend Banken ausgeraubt und über 40.000 Dollar gestohlen.
Die böse Parodie der US-Familie
Vor dem letzten Überfall liegen Walkers Roman-Alter-Ego und seine Ex-Frau in dem Buch in einer schäbigen Wohnung auf dem Boden. Er wurde ohnmächtig nach dem Schuss und sie packt Eis in seine Unterwäsche, um die Folgen der Überdosis zu mindern. Das schäbige Ende eines Kriegshelden. Als er auf dem Küchenboden aufwacht mit dem geschmolzenen Eis um die Genitalien, ist klar, dass das kein guter Tag werden wird. Dennoch macht er sich auf zu der Bank. Auf der Flucht verletzt er sich und wird verhaftet.
Seine Geschichte liest sich wie ein Film noir zu einer Bemerkung von Sebastian Junger in dem Kriegsbesteller "Restrepo" – ein dokumentarisches Buch zu dem Einsatz einer Gruppe von Soldaten in einem entlegenen Tal in Afghanistan. Junger schreibt, die Leute würden immer fragen, was der Krieg den jungen Männern antue. Dabei sei das Problem häufig, dass das Erlebnis im Krieg ihnen etwas gebe, das sie später nie wieder bekämen, nachdem sie aber süchtig seien. Im Verfahren versuchte Walker, sein Verhalten zu erklären. "Mir schien es einfach nicht so ungewöhnlich zu sein, so eine Sache zu tun. Ich wusste schon, dass es nicht normal war, Banken zu überfallen, aber auch nicht so verrückt, wie es mir jetzt im Nachhinein erscheint."
Nach seiner Verhaftung stellte ein forensischer Psychiater bei Walker die Diagnose einer akuten posttraumatischen Belastungsstörung. "Er war eines der schwersten Trauma-Opfer, die ich je gesehen habe", sagte der Psychiater Pablo Stewart der "NYT". "Hätte es irgendwann einen richtigen Eingriff gegeben, wäre das nicht passiert. Er hat sein eigenes Heilmittel gefunden, und es war nur ein Banküberfall."
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