Gipfeltreffen sind eine furchtbar steife Angelegenheit, falls nicht gerade der US-Präsident auf die prima Idee kommt, anderen Staatsoberhäuptern den steifen Nacken zu massieren oder Vulgaritäten ins offene Mikrofon zu prusten. Dank dafür, George. Normalerweise aber gilt: Gipfeltreffen sind Gipfel der Langeweile. Die drei Tenöre? Will die noch jemand sehen? Oder hören? Insofern wusste niemand, was ein literarisches Gipfeltreffen bringen würde, ein Abend mit "Harry, Carrie & Garp", mit Joanne K. Rowling, Stephen King und John Irving am vergangenen Dienstag in New Yorks berühmter Radio City Music Hall. Zumal in Zeiten, von denen es heißt, das Internet fresse die Leselust. Hier lesen nun drei, deren Auflage zusammen bei rund 700 Millionen liegt, Titanen des Wortes. Klebrige Schwüle liegt über der Stadt und Erwartungsfreude über den Menschen vor dem Eingang, die sich mit Büchern Frischluft zufächern. Leser, überall Leser, das macht Mut. Und dann ereignet sich tatsächlich, was Gastrednerin Whoopie Goldberg "magisch" nennt: ein magischer Abend, der magischen Drei. Sie ruft: "Schaut euch nur um, die Lesekultur lebt!"
Nur Galle
Die Leute, die Leser, es sind 6000, kommen aus ganz Amerika, aus North Carolina und Kalifornien und Utah und Maine und Connecticut und natürlich New York. Hunderte von Jugendlichen und Kindern sind darunter, kostümiert und festen Willens, Frau Rowling schon qua Lautstärke davon zu überzeugen, dass Harry Potter nicht sterben darf im letzten Buch.
Aber zunächst wird gekotzt.
Stephen King, Prinzipal des Horror-Genres, entert die Bühne und liest ein Kapitel aus "The Body", genauer: "The Revenge of Lard Ass Hogan", (Die Rache von Schmalzarsch Hogan). Es ist, dem Altersschnitt angemessen, aus einem seiner eher raren heiteren Werke. Kein Mord, kein Totschlag, keine putzige Verstümmelung, kein Gift. Nur Galle. Er beschreibt ein Blaubeerkuchen-Wettfressen, an dessen Ende der Protagonist die Zuschauer mit seinem Magen-Inhalt übersät und damit ein veritables Brech-Fest in Gang setzt. Sehr zum Missvergnügen des Publikums im Buch und sehr zur Freude des Publikums in der Radio City Music Hall. Bei einer Passage, einer detaillierten Schilderung von Unverdautem, hält King inne und fragt "Wer schreibt so was?". Die Zuhörerschaft johlt. "I love you, Stephen", brunft eine.
Auftritt: Harry
Amerikaner haben ein gutes Händchen für solche Veranstaltungen. Diese Lesung hat nichts von schwerem Vortrag mit Wasserglas und randloser Brille und oberstudienratsmäßigem "Psst"-Gemahne. Es ist vielmehr eine Mischung aus Kindergeburtstag, MTV-Awards und Lesen - obendrein für einen guten Zweck. Die Einnahmen gehen an "Ärzte ohne Grenzen" und eine Hilfsorganisation für kranke Künstler.
John Irving als nächster. Er zitiert aus "Owen Meany", er moduliert die Stimme. Er ist großartig, aber niemand ruft "I love you, John". Im Grunde, das wissen King und Irving, sind sie lediglich Statisten, Vorgruppe gewissermaßen für Frau Rowling, die seit sechs Jahren nicht mehr in Amerika war und nunmehr in den letzten Zügen ihres letzten Harry Potters liegt und den letzten Satz des letzten Buches schon im Kopf hatte, ehe sie das erste zu schreiben begann. Sagt sie jedenfalls.
Das ist ihr Abend.
Zwölf aus Tausend
Zuvor war eine Pressekonferenz, und da saß sie, flankiert von den US-Kollegen, in der Mitte, und alles drehte sich um Harry und das Ende, und selbst Irving flehte: "Ich drücke ihm die Daumen." Die Lesekultur lebt. Jon Stewart, der begnadete Komödiant, stellt Rowling vor: "Wir haben eine fünf Monate alte Tochter", sagt er, "und die wartet schon seit drei Monaten in der Schlange auf den nächsten Potter. Wir vermissen die Kleine schrecklich. Aber ich will nun mal dieses verdammte Buch haben." Rowling bekommt stehende Ovationen, sie trägt ein kleines Schwarzes und sitzt in der Bühnenmitte auf einer Art Thron. Sie liest aus dem zuletzt erschienenen Band "Harry Potter und der Halbblut-Prinz", und viele im Auditorium kennen ganze Passagen auswendig.
Fragen danach. Tausend waren via E-mail eingegangen, zwölf schaffen es. Drei an Irving, drei an King, sechs an Joanne K. Rowling, die Königin, die müde aussieht und erleichtert. Sie sagt, dass sie Harry Potter „unglaublich vermissen wird, aber irgendwann wären mir die Ideen für die Handlung ausgegangen.“ Es klingt wie der Hilferuf um Verständnis. "Let him live", "lass ihn leben", schreit es vom Oberrang, Rowling lächelt. Das Gipfeltreffen ist beendet. Die Magie des Lesens lebt, und also: Harry Potter kann nicht sterben. Niemals. Nicht nach diesem Abend.