Literaturnobelpreis Gestatten: Herta Müller

Von Andrea Ritter
Wer ist die Frau, die den Literaturnobelpreis bekam? Herta Müller kämpft seit Jahrzehnten gegen Unmenschlichkeit und Unterdrückung. Ihre Bücher sind Zeugnisse, wie sich Terror anfühlt. Ein Porträt.

Wenn man heute durch Rumäniens malerisch restaurierte Innenstädte fährt, muss man das Grauen suchen. Meist findet man es auf Wandtafeln gebannt, in irgendeinem kleinen Geschichtsarchiv, spärlich ausgestattet, denn Erinnern ist unbequem und kostet Geld. In Sibiu, Hermannstadt, ehemals das Zentrum der "Siebenbürger Sachsen" gibt es heute einen deutschen Bürgermeister, eine deutschsprachige Zeitung und viele deutsche Touristen. Rumäniendeutsche auf der Suche nach Erinnerungen, nach ihrer Vergangenheit. Angehörige einer merkwürdigen Minderheit, für uns, wenn überhaupt, zumeist mit nörgelnden Heimatvertriebenen verbunden. Die Geschichte der Rumäniendeutschen kurz nach Kriegsende ist eigentlich kein Geheimnis - und doch seltsam unthematisiert.

Herta Müller hat sie zum Thema gemacht. Schon 1982, das Terrorregime von Nicolae und Elena Ceauşescus noch in voller Blüte, erschien ihr Erzählband "Niederungen". Kurze Texte über ein bizarres deutsches Arbeiter-und-Bauern-Dorf in einer Sozialistischen Republik. Zum ersten Mal war da ihre Stimme zu hören, eine Stimme, die keine Betroffenheit fordert, die nichts aufdrängt, keine Thesen verbreitet, sondern Bilder erzeugt, so dicht, klar und stark, dass man förmlich hineingesogen wird, in dieses hermetisch abgeriegelt Universum, hinter dessen bisweilen komischer Alltagsspießigkeit uferlose Grausamkeit lauert. Herta Müller kennt diese Dörfer sehr gut. 1953 im rumänischen Nitzkydorf geboren, studierte sie in Timisoara Germanistik und Literaturwissenschaft. Ihre ersten Bücher erschienen nur zensiert, denn ihre Stimme kritisierte die Politik zwar nie offen, sagte aber nahezu alles. Sie weigert sich, mit dem Geheimdienst Securitate zusammen zu arbeiten, wird schikaniert, mit dem Tod bedroht, als Spitzel diffamiert. "Tendenziöse Verzerrungen der Realitäten im Land, insbesondere im dörflichen Milieu", liest sie später in ihrer 914 Seiten dicken Akte. Als sie mit einem Publikationsverbot belegt wird, reist sie 1987 nach Deutschland aus; den Geheimdienst wird sie nicht los: "Die Securitate ist immer noch im Dienst", schreibt sie im Juli dieses Jahres in der "Zeit".

Ihre Bücher sind kompromisslose Zeugnisse dessen, wie sich politischer Terror anfühlt. Die Grausamkeit der Willkür, vor der es kein Entkommen gibt, die Angst, die Ohnmacht. Sie schreibe "völlig ehrlich, mit einer unglaublichen Intensität", heißt es dann auch in der Begründung der Nobelpreis-Jury. Und sie schreibt über die anderen Opfer des totalitären Zwanzigsten Jahrhunderts. Über jene, die nicht durch das Morden des Nationalsozialismus zu Grunde gingen, sondern in den Regimen des Ostblocks. "Atemschaukel", ihr aktueller Roman, erzählt die Geschichte des Dichters Oscar Pastior. Als Angehöriger der deutschen Minderheit in Rumänien wird er, wie viele seiner Generation, wie auch Herta Müllers Mutter, 1945 in ein sowjetisches Arbeitslager verschleppt. Fünf Jahre leistet er Zwangsarbeit, fünf Jahre leidet er an Hunger und, vor allem, an der unfassbaren Sinnlosigkeit.

"Landschaften der Heimatlosigkeit"

Oscar Pastior, im Oktober 2006 verstorben, wollte ursprünglich gemeinsam mit Herta Müller ein Buch über die Deportation der deutschstämmigen Rumänen erarbeiten. Ihr Werk zeige "Landschaften der Heimatlosigkeit", sagt die Nobelpreis-Jury. Und weil das sicher richtig ist, aber schon wieder ein wenig nach Vertriebenenbund klingt, muss man hinzu fügen: Mit "Atemschaukel" hat Herta Müller, so nah und präzise sie auch das Schicksal Oscar Pastiors erzählt, vor allem eines geschaffen - ein unerbittliches Dokument des Schreckens, ein Anprangern der Unmenschlichkeit, ein verzweifeltes "Nie wieder".

Bei den britischen Buchmachern von "Ladbrokes", wo man neben allem anderen auch auf den Literaturnobelpreis wetten kann, lag Herta Müller neben Amos Oz bis zum Schluss ganz vorne. Dass sie heute, als zwölfte Frau den seit 1901 vergebenen Literaturnobelpreis bekommen hat, traf zumindest sie selbst völlig überraschend. Sie habe "gelacht und geweint", heißt es aus dem Hanser Verlag, der sich nun freuen kann, mit "Atemschaukel" das Buch der aktuellen Preisträgerin im Haus zu haben. Heinz Klunker, ehemaliger Feature-Chef beim Deutschlandfunk und Spezialist für osteuropäische Literatur, nennt die Auszeichnung eine "sensationelle Entscheidung". "Herta Müller hatte immer eine tapfere politische Haltung. Besonders im Westen, gegenüber den Weichspüler-Sympathisanten des Ostblocks. Sie ist selbstbewusst und eigensinnig. Aber es wurde ja nicht nur ihre politische Haltung ausgezeichnet, sondern auch ihre literarische Leistung. Dies nicht erst, wie häufig, am Ende ihres Lebens. Das macht den Preis sehr glaubwürdig", sagte er gegenüber stern.de. Zu Herta Müllers Haltung gehört auch, immer wieder das Schweigen brechen zu wollen. Unerbittlich hadert sie mit dem rumänischen Staat, in dem heute, wie sie unlängst in der "Zeit" schrieb, die Exspitzel des Securitate die "neuen Macher der Marktwirtschaft" seien und in dem sich die Intellektuellen nur wenig um die Aufarbeitung der Verbrechen bemühten. Ihre Auszeichnung wird vielleicht neue Aufmerksamkeit auf dieses Kapitel der Geschichte lenken, das auch ein deutsches ist.

Mitarbeit: Gerda-Marie Schönfeld