Ein Teufelskerl ist dieser Broder Broschkus wahrhaftig nicht. Eher anämisch und überdrüssig wirkt der Hamburger Bankier, der auf Kuba dem "Herrn der Hörner" begegnet, und dabei neue Seiten seiner Seele offenbart. Der "Herr der Hörner", die titelgebende Gestalt des neuen Romans von Matthias Politycki, ist der Teufel in Person, so wie er auf Kuba gefürchtet und manchmal auch angebetet wird. Und auch wenn in dem über 700 Seiten starken Buch allerlei blutige Voodoo-ähnliche Rituale (auf Kuba nennt sich das entweder Santeria oder Palo Monte) vorkommen, geht es nicht um Budenzauber und faule Tricks.
Politycki übt nebenbei Aufklärungskritik, kontrastiert die Müdigkeit westlichen Denkens mit der kraftvollen Lebensweise der teils bitterarmen Kubaner. Dass er dabei einen Nerv getroffen hat, beweisen eine von ihm entfachte Debatte und leidenschaftliche Kritiken, die schon vor Erscheinen des Romans veröffentlicht wurden.
Auf der Suche nach dem prallen Leben
Die Müdigkeit des "Weißen Mannes" hat Politycki - bewusst polemisierend - unlängst in einem Essay beklagt, und dies verkörpert Broder perfekt. Auf Kuba wacht er gleichsam auf durch die Begegnung mit einer schönen Unbekannten. Die rüttelt sein bisheriges Leben zwischen Aktienoptionen, Seidenblumen und feinem Hamburger Überseeclub gehörig durcheinander.
Broschkus zieht nach Santiago, und sieht sich auf der Suche nach dieser Frau mit dem prallen Leben, Grauen und Tod konfrontiert. Das ist grandios erzählt. Es stampft und stinkt und duftet und singt. Und neben drastischen Szenen mit Hahnenkampf, Hausschlachtung oder Blutritual gibt es wunderbare Momente der Ruhe, in denen die ganze Schönheit des "schwarzen Südens" von Kuba aufscheint.
Das Buch
Matthias Politycki: Herr der Hörner
Hoffmann und Campe, Hamburg
736 Seiten, 25 Euro
Der 50-jährige Autor ("Weiberroman") und Wahl-Hamburger hat selbst einige Monate auf Kuba verbracht, um dort zu recherchieren. Daher die genauen Beschreibungen. Doch das ist natürlich nicht alles. Von Beginn an weisen Zeichen im Text darauf hin, dass Broders Suche ihn zu etwas ganz anderem führt. Etwa seine immer wiederkehrenden Treppenstürze, bei denen er regelmäßig beinahe den Tod findet. "Irgend etwas stimmte nicht in dieser Geschichte, stimmte von Anfang an nicht - nicht mit dem Brief, erst recht nicht mit der Stadt, in der er sich jetzt schon ein Vierteljahr zurechtzufinden suchte, irgend etwas sehr Prinzipielles, und er war kurz davor, dem auf die Spur zu kommen", das erkennt Broschkus immer deutlicher.
Ein Dämpfer für die reine Vernunft
"Herr der Hörner" gehört - so farbig und schräg er geschrieben ist - ins Genre des klassischen Entwicklungsromans, doch wohin sich der nach und nach zum "Halbkubaner" mutierende Broder entwickelt, ist schwer zu sagen. Klar wird, dass er zuvor ein Leben im Falschen führte. Politycki selbst nennt es ein "halbherziges Leben". Wenn dann das Verhängnis komme, sei man fällig. Klar wird auch, dass der Roman der reinen Vernunft einen Dämpfer versetzen will. Und dem Irrationalen seinen Platz einräumt. Doch will Politycki mit seinem "dunklen Roman" keinesfalls die Werte der Aufklärung abschaffen. In einem kurz vor dem Buch veröffentlichten Essay plädiert er sogar für ein "robusteres Mandat für Freiheit, Toleranz und Höflichkeit", für das humanistische Fundament Europas.
Auch im Roman verschafft sich die kritische Vernunft immer wieder Gehör. Bei aller Intensität der Beschreibung ist der Text mit Witz und Ironie angereichert. Zudem betreibt der Erzähler sein Spiel mit dem Leser, lockt ihn in verbale Fallen. Und irgendwie sieht alles immer ganz anders aus, als es zunächst schien. Die Distanz, die durch dieses intellektuelle Spiel erzeugt wird, verhindert, dass man in den gleichen magischen Sog gelangt wie der Protagonist. Und am Ende mag der aufgeklärte Leser erleichtert aufatmen, dass er dem Teufel noch einmal entronnen ist.