Krimiautor Michael Tsokos Cocktail mit einer Leiche

  • von Silke Müller
Der Berliner Rechtsmediziner Michael Tsokos hat einen neuen Thriller geschrieben und lud zur Preview an den Seziertisch.

Berlin Moabit. Im U-Bahnhof Turmstraße kauern Flüchtlinge, Drogensüchtige, Obdachlose und ein paar Männer, die mit all diesen Menschen Geschäfte machen. Rettungswagen und Polizeibusse jagen mit Blaulicht durch den Regen und halten vor der Zentralen Aufnahmeeinrichtung für Asylsuchende. Direkt dahinter wohnt der Tod.

Rechtsmediziner Michael Tsokos lädt an diesem Abend zu einem Cocktail der besonderen Art: Wein, Häppchen und eine Leiche. Der renommierte Forensiker und Bestseller-Autor hat an den Sektionstisch geladen, um für seinen neuen Thriller zu werben. Einen besseren Ort, um über Verbrechen und andere Kleinigkeiten zu sprechen, gibt es wohl nirgends in Deutschland: Die Berliner Gerichtsmedizin liegt auf der Rückseite der Flüchtlingsaufnahme, die Straße rauf befinden sich Deutschlands größte Staatsanwaltschaft, das Kriminalgericht und der Knast.

Vor dem Rundgang warnt Tsokos: "Bitte spielen Sie nicht den Helden, wenn Ihnen schlecht wird." Er kenne das bereits: "Erst werden Sie blass, dann kippen Sie um."

Verletzungen werden gerichtsfest dokumentiert

Vorbei an Leichen-Kühlfächern, Haut-Präparaten mit Stichwunden, einem Schädel mit Loch, einem Kinderkehlkopf samt verschlucktem Dachpappennagel und einer Sammlung von Tatwaffen führt Tsokos ins Labor der forensischen Toxikologie. Hier arbeiten Pharmakologen und Chemiker, die etwa anhand von Haarproben feststellen können, ob jemand Medikamente genommen hat oder Drogen. "Eine Methode, mit der man zum Beispiel Flugkapitäne untersuchen könnte", erklärt Tsokos. Eine Tragödie wie den gezielten Absturz der Germanwings-Maschine hätte man dadurch möglicherweise verhindern können.

Im Gang um die Ecke liegen Kinderbücher, Spielzeug, Kuscheltiere. Im Umfeld von Leichen verheißt das nichts Gutes. Um die 400 Opfer meist häuslicher Gewalt werden pro Jahr in der Gewaltschutzambulanz untersucht, die Tsokos 2014 gründete. Sie bietet vor allem Frauen und Kindern medizinische und psychologische Hilfe. Auf Wunsch auch ohne Einbindung der Polizei. Verletzungen werden hier gerichtsfest dokumentiert - kommt es doch zum Prozess, können die Opfer belastbare Beweise vorlegen.

Es ist die einzige Ambulanz dieser Art in Berlin, und Tsokos liegt dieses Projekt sehr am Herzen. "Sie deckt nicht annähernd den Bedarf ab. Es müssten mehrere Anlaufstellen dieser Art über die ganze Stadt verteilt sein.“

Kurz vor dem Seziersaal wird die Luft dick. Die Desinfektionsmittel können den schweren Geruch menschlichen Blutes nicht völlig beseitigen, der sich hier in jede Ritze gelegt hat. Super clean ist es im Raum, nur ganz oben an der Wand, im elektronischen Fliegenfänger, glänzt hundertfach der Tod.

Es riecht nach Blut

Die Seziertische sind blank geputzt, am Kopfende ist ein tiefes Becken für ablaufende Flüssigkeiten installiert. Darüber: Scheren, Pinzetten, Zangen, eine Kopfstütze und Schüsseln. Auf einem Sideboard liegen fein säuberlich auf einem Tuch ausgebreitet eine kleine Rundsäge, ein Gummihammer und mehrere Meißel.

Stumm betrachten die Gäste das Inventar. Nur ein elegant gekleideter Herr mit junger Begleitung hat sein Weißweinglas mit in den Saal genommen und nippt daran, als befände er sich auf einer Vernissage in Berlin Mitte. Doch das hier ist Moabit, es ist die Rechtsmedizin, es riecht nach Blut und nebenan liegt eine Leiche. Prost!

In einem Seitenraum des Seziersaals, verbunden durch ein Sichtfenster, steht ein Stück Rechtsmedizin-Revolution: der Computer-Tomograph. "Es gibt 35 Rechtsmedizinische Institute in Deutschland, aber nur vier besitzen solch ein Gerät", erklärt Tsokos. Mit dem Ganzkörper-Scanner lassen sich schnell und ohne Spuren zu verwischen Erkenntnisse gewinnen. Doch erst die klassische Autopsie vollendet die Untersuchung.

Für die Gäste hält Tsokos eine frische Leiche bereit: Ein junger Mann ist eingeliefert worden, vermutlich Selbstmord. Wirklich?

Das hier ist echt

Der Tote liegt auf der fahrbaren Unterlage, eingepackt in eine weiße Plastikfolie. Ein blasser Fuß schaut aus dem Sack heraus. Und selbst die Laien verstehen: Das hier ist echt.

Tsokos' Kollegin Luisa Backhaus schaltet das Gerät ein, und durch das Fenster beobachten Mediziner und Gäste, wie die Leiche durch den Bogenscanner hindurch fährt. 8000 Bilder fertigt das Gerät an, und am Computerbildschirm beginnt die virtuelle Autopsie: Schicht für Schicht fährt Backhaus durch den Körper, vom Schädel bis hinab in die Zehenspitzen.

Da der Mann jung starb und die Knorpelgewebe noch weich sind, lässt sich am Kehlkopf keine Beschädigung ausmachen. Erst die klassische Begutachtung der Leiche wird also verraten, ob etwa eine Strangulierung zum Tod führte. Auch von innen nach außen kann der Computer die Leiche entblättern, von der obersten Hautschicht bis auf die blanken Knochen. Eine Methode, die auch für alte, vermeintlich abgeschlossene Fälle neue Erkenntnisse verspricht.

Wenn es eilt, können die Rechtsmediziner innerhalb von 24 Stunden ein Ergebnis vorlegen. Der heutige Tote hingegen wird noch eine Weile im Kühlfach ausharren. Ein aktueller Fall beschäftigt Tsokos, mehr will er nicht verraten.

Auch über den neuen True-Crime-Thriller von Michael Tsokos darf an dieser Stelle noch nichts verraten werden, denn "Zerschunden" (mit Co-Autor Andreas Gößling, Knaur Verlag, Taschenbuch, 432 Seiten, 14,99 Euro) erscheint erst am 1. Oktober. Nur so viel: Es ist der Auftakt einer neuen Serie um den charismatischen Rechtsmediziner Fred Abel, und es geht um einen realen Fall. Ein sogenannter Nachläufer bringt Frauen um und markiert die Leichen mit einem auffälligen Schriftzug. "Die Todesfälle wurden in den Medien nicht dargestellt, weil niemand einen Zusammenhang zwischen ihnen herstellte", erzählt Toskos und versichert: "80 Prozent der Geschichte sind real."

Buchpremiere: 19.10, Renaissance Theater, Berlin. Anschließend Lesereise durch Deutschland