Stand-up-Comedy Absturz zweier Helden: Warum ich über Ricky Gervais und Dave Chappelle nicht mehr lachen kann

Comedian Ricky Gervais
Nicht komisch: Ricky Gervais in seiner neuen Stand-Up-Show "Armageddon"
© Uncredited/ / Picture Alliance
Früher hat Hannes Roß die Comedygiganten Ricky Gervais und Dave Chappelle vergöttert, sie retteten unseren Autoren vor dem deutschen Spießerklamauk. Mit ihren neuen Shows aber sind ihm beide leider unerträglich geworden. Ein Abschiedsbrief.

Es ist, als hätten sie sich verabredet, gemeinsam in den Abgrund zu springen. Hand in Hand in die ewigen Jagdgründe. Wie einst Winnetou. Doch dieser Abschied rührt nicht zu Tränen, er hinterlässt bloß einen bitteren Nachgeschmack. Der Brite Ricky Gervais und der Amerikaner Dave Chappelle waren für mich zwei Heilige der Comedy. Nein, tiefer kann ich es leider nicht hängen. Wer mit dem deutschen Humorangebot der Helmut-Kohl-Jahre sozialisiert wurde und eines Tages Gervais und Chappelle entdeckt, weiß mit absoluter Gewissheit: Das war Gottes Entschuldigung für den „Quatsch Comedy Club“.

Aber jetzt sind Gervais und Chappelle abgestürzt. Auf ein muffiges, reaktionäres Humorniveau, das ich ihnen niemals zugetraut hätte. In kurzen Abständen haben die beiden neue Stand-up-Shows auf Netflix veröffentlicht, in denen sie sich als aus der Zeit gefallene Männer offenbaren: Auf der verzweifelten Suche nach Tabus machen sie sich über Transsexuelle, Obdachlose, Homosexuelle und Behinderte lustig. Kostprobe? Chappelle fragt sich lachend, warum Schwule auf Fotos immer den Mund offen haben. Und Gervais erklärt, wie Kinderschänder in China vorgehen: Ein chinesischer Pädophiler locke Kinder mit dem Versprechen eines Welpen, nur leider würden die Kinder dann sagen, sie wären nicht hungrig. Lustig geht anders.

Erstaunen muss indes die Fülle an kulturellen Klischees und rassistischen Ressentiments, die beide im Angebot haben. Bei Gervais wollte ich schon nach acht Minuten entsetzt abschalten. Aber es ist wie bei einem drohenden Verkehrsunfall: Man kann nicht wegsehen, auch in der falschen Hoffnung, ein überraschendes Wendemanöver könne den Aufprall vielleicht noch verhindern. Ich habe beide Shows aus alter Bewunderung heraus bis zum Ende angeschaut. Ein Trauerspiel bis zum Abspann, meine persönliche Götterdämmerung.

Plumpe und platte Anti-Woke-Gags, präsentiert als letzte Verteidigung der Meinungsfreiheit

Unerträglich macht die neuen Programme von Gervais und Chappelle dabei, dass beide jeden noch so dämlichen Anti-Woke-Gag unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit präsentieren. Schau her, so die wiederkehrende Botschaft ans Publikum, hier steht die letzte Verteidigungslinie gegen die Cancel-Culture. Die gealterten Herren fühlen sich als mutige Bewahrer eines alten Mantras: Guter, wahrer Humor kennt keine Tabus. Stimmt, ja, aber es ist eben keine humoristische Grenzüberschreitung und kein mutiges Berühren eines Tabus, wenn man sich über Minderheiten lustig macht. Mal ganz davon abgesehen, dass auch Gags, die ihre Energie aus dem Nach-Unten-Treten ziehen, wenigstens eine Pointe, ein Überraschungsmoment, ein Funken Originalität guttun würde.

Das Schlimmstmögliche ist passiert: In ihrer Empörung darüber, dass man heute nicht mehr alles sagen dürfe, schon gar nicht über Minderheiten, erinnern mich Gervais und Chappelle plötzlich auf unheimliche Weise an deutsche Comedy-Zwerge wie Dieter Nuhr und Mario Barth. Das Gejammere über die Woke-Culture, über die vermeintliche Humorpolizei – dabei ist noch niemand abgeführt worden, niemand plötzlich verschwunden, nur weil er dämliche Witze macht. Weder Ricky Gervais noch Mario Barth, der neulich in einer Talkshow des viel gescholtenen öffentlich-rechtlichen Fernsehens mit einem T-Shirt saß, auf dem stand: „Ich gender nicht, ich habe einen Schulabschluss“. Ich finde, wer so etwas unbehelligt tun kann, hat sein Recht verwirkt, sich jemals wieder öffentlich über die angeblich so eingeschränkte Meinungsfreiheit zu beklagen.

Nur konnte ein Mario Barth eben gar nicht abstürzen, weil er nie dort oben unterwegs gewesen war, wo sich Dave Chappelle und Ricky Gervais über viele Jahren als Ausnahmetalente tummelten. Gervais erfand als Hauptdarsteller und Drehbuchautor von „The Office“ 2001 eine neue Form der TV-Comedy, ohne die es Serien wie „Modern Family“ nie gegeben hätte. Dave Chappelle erneuerte 2003 das amerikanische Fernsehen mit seiner Dave-Chappelle-Show, deren einzelne Sketche noch heute Abrufe in Millionenhöhe auf YouTube erzielen. Nach zwei Staffeln beschloss Chappelle aufzuhören, trotz eines unglaublichen Angebots von 50 Millionen Dollar für eine weitere Staffel. Er wollte nicht in Erinnerung bleiben mit schalen, abgestandenen Gags. 

Ich wünschte, er hätte sich daran gehalten.

PRODUKTE & TIPPS