Ich bin im Kino, ich kenne, was ich sehe. Ja, sage ich, so war es. Wenn das geschieht, wird es normalerweise nostalgisch. Aber jetzt: keine Nostalgie - nirgends, kein Erinnern also, das ohne Schmerz auskommt. Der Film heißt "Das Leben der Anderen", für mich könnte er auch heißen "Das andere Leben", das nämlich, was wir verlassen haben, als wir die DDR endlich los waren.
Florian Henckel von Donnersmarck, 32, hat den Film gemacht, seine erste große Arbeit. Es ist ein großer Wurf geworden. Er hat nie selbst erleben müssen, was er zusammen mit seinen herausragenden Akteuren gestaltet, aber offensichtlich hat er mehrere Jahre gewissenhaft recherchiert. Dazu hat er eine Offenheit der Seele, die seine allesamt berühmten Schauspieler beeindruckt hat. So gelingt ihm und Ulrich Mühe, Martina Gedeck, Sebastian Koch, Ulrich Tukur, Thomas Thieme, dazu Hans-Uwe Bauer, Volkmar Kleinert, Herbert Knaup und anderen eine unglaublich eindringliche Expedition in eine untergegangene Welt.
Der Film zeigt die gierig-arroganten Attacken der Staatsmacht gegen "die Anderen", hier Künstler, und jeder, der ihn sieht, spürt, warum die Vergangenheit für so viele noch nicht vergangen ist; die Verletzungen oder auch nur Prägungen, die sie mit sich herumschleppen, sind bis heute, lange nach dem Untergang der Diktatur, spürbar. Zu intensiv war die Erziehung zur Anpassung, zu allgegenwärtig die Angst.
Dafür findet der Film
authentische Bilder, Figuren und Ereignisse. Die schöne Schauspielerin (Martina Gedeck) liebt einen schönen Theaterregisseur (Sebastian Koch). Er ist erfolgreich, nett und einstweilen systemkonform.
Aber wieso bin ich jetzt bei Schönheit und Liebe? Das Thema hat sich vorgedrängelt, denn ich muss ganz anders anfangen. Mit Ulrich Mühe nämlich, der einen Stasi-Hauptmann spielt. Mühes große Kunst würde auch schwächere Filme tragen, aber weder seine Mitspieler noch der Stab noch das Thema sind schwach, dennoch schafft dieser große Schauspieler es hervorzutreten.
Am Anfang des Films geht eine Kälte und Effizienz von ihm aus, dass sogar die Jungstasisten, die er unterrichtet, eine Mischung aus Bewunderung und Entsetzen packt. Da ist einer, der weiß, wie man Feinde zur Strecke bringt. Aber dann wird aus einem willigen Offizier mit Vollstreckermentalität ein Mensch.
Der Film oszilliert zwischen der brutalen Realität des Unterdrückerstaates und einer Möglichkeit. Der Autor lässt den Befehlsempfänger zu einem Menschen werden. Das Leben der Anderen, das er beobachten und zersetzen soll, verwandelt ihn. So trifft er seine Wahl und wird von einem Verfolger zu einem Helfer.
Einige meiner Freunde
werden den Film deshalb nicht mögen, werden sagen, ein solcher Stasi-Offizier sei ihnen nicht bekannt. Das mag wohl so sein. Aber ein Spielfilm ist keine zeitgeschichtliche Dokumentation, er kann freier mit der Geschichte umgehen. Er darf den Stasi-Protagonisten schönen, solange diese künstlerische Entscheidung nicht die ganze Geschichte schönt und damit verfälscht. Aber das genaue Gegenteil geschieht ja mit diesem Film, da wird demaskiert, nicht geschönt. Diese Typen: der Minister (Thomas Thieme), der unbedingt die schöne Schauspielerin haben muss, die mit dem Regisseur zusammen ist. Er kriegt sie. Wo Neigung fehlt, sorgen Angst und die Furcht vor dem Karriereende dafür.
Überhaupt die Angst, fortwährend ist sie da in Gesichtern, Augen, Haltungen der Figuren, ganz unversehens auch bei einem der großen Angstmacher des Films, dem Vorgesetzten des Hauptmanns (Ulrich Tukur mit herausragender Präsenz). Angst kann auch ihn klein machen, wenn der Minister ihm droht. Angstmacher haben Angst und machen wieder Angst...
Wie bei der Wohnungsnachbarin des schönen Paars, die gezwungen wird zu verschweigen, dass sie den Stasi-Einbruch in deren Wohnung gesehen hat. Man weiß, sie hat eine Tochter, die studiert, an die wird sie doch wohl denken, nicht wahr?
Der Hauptmann aber wird immer aktiver bei der Hilfe für den Schriftsteller, der zu Berufsverboten von Freunden nicht mehr schweigen wird. Sebastian Koch spielt die andere Wandlungsgeschichte, bleibt immer noch ein wenig "Glückskind", wähnt sich unbeobachtet von der Stasi und säße doch im Knast, gäbe es da nicht diese unerkannte schützende Hand über ihm. Mühes Hauptmann geht inzwischen so weit, Abhörprotokolle zu manipulieren und zuletzt Beweismaterial beiseite zu schaffen. Mit bitteren Folgen. Mehr sei hier nicht verraten.
Ein langer, eindrücklicher Film geht zu Ende. Ich war in einem Dunkel, das mir so vertraut war, dass ich jede Einzelheit sehen konnte - wieder sehen.
Starke darstellerische Leistungen, die Regie, die Kamera, die Musik, der Schnitt, alles überdurchschnittlich! Eine seltene Fülle. Und: ein Medikament gegen Nostalgie.
Was noch bleibt: eine tiefe Wahrheit. Menschen haben eine Wahl. Sie verlieren sich, wenn sie das vergessen, und sie gewinnen, wenn sie es endlich begreifen.