Das Ende kommt schnell. Plötzlich ist der Himmel über Los Angeles dunkelgrau, eine Tornadosäule schraubt sich hoch, zerbröselt der Hollywood-Schriftzug und dann die ganze Innenstadt. Lkws schleudern über den Highway. Die Temperatur fällt um 20 Grad. An der Ostküste, vor Manhattan, kämpft die Freiheitsstatue ums Überleben, nur die Fackel ragt noch aus den Fluten. Eine Riesenwelle ergreift die Stadt. Meterhoch wälzt sie sich durch die Schluchten der Stadt. Taxis fliegen durchs Fenster der New York Public Library. Ein russischer Frachter schiebt sich über die 5th Avenue, zerquetscht lautlos Autos und Busse.
Im Weißen Haus trifft man sich zur Krisensitzung. Ein Mann, der nicht zufällig aussieht wie Vizepräsident Dick Cheney, schaut ungerührt. Gerade sagt er zum zehnten Mal: "Halten Sie sich aus der Politik raus, und kümmern Sie sich um die Wissenschaft!" Immer wieder spult David Brenner, Roland Emmerichs langjähriger Cutter, den Satz zurück, dreht an Reglern und Knöpfen, sorgt für perfekten Sound. Mit drei Toningenieuren sitzt er in einem ballsaalgroßen Studio der 20th Century Fox. Regisseur Roland Emmerich kommt nur alle paar Stunden zu ihnen hinein. "Sonst hab ich keine frischen Ohren", sagt er. Er beugt sich zu David herunter, der macht sich eine Notiz ans Ende der täglichen Korrekturliste: "Donnergrollen".
Vorn, auf der Acht-Meter-Leinwand, fragt der Präsident: "Was kann man tun?" "Beten", sagt Dennis Quaid. Er spielt den amerikanischen Wissenschaftler, auf dessen Warnungen niemand gehört hat.
Am Ende des Films stirbt
der Präsident, und sein Vize übernimmt die Macht. "Und dann", sagt Emmerich, "wird es ein bisschen utopisch: Der Vizepräsident hat aus seinen Fehlern gelernt und hält eine Rede, die voller Demut ist."
"The Day After Tomorrow", der neue Blockbuster von Roland Emmerich, ist für den deutschen Regisseur auch eine persönliche Richtigstellung. Denn es stimmt natürlich nicht, was er immer erzählt: dass ihm egal sei, was die Kritiker schrieben. "Es hat mich gefuchst, dass nach ,Independence Day" der Eindruck entstanden ist, ich sei der totale Rechtsaußen-Patriot. Wenn überhaupt politisch, dann bin ich links von liberal."
"The Day After Tomorrow" sei "schon ein bisschen subversiv", sagt er, und man sieht ihm an, dass er ihn in Wahrheit höllisch subversiv findet. Für seine Verhältnisse ist er das wohl auch, schließlich hat sich Emmerich in seinem Gastland als Jubelpatriot eingeführt. Dass er in "Independence Day" und "Godzilla" nationale Heiligtümer weggepustet hat wie Staub, nahm ihm niemand übel, triumphierte doch am Ende stets das Gute: Amerika.
Nun aber attackiert er nicht nur uramerikanische Gebäude und Symbole, sondern indirekt den gesamten American Way of Life". Denn diesmal ist die Katastrophe hausgemacht. Eine Blitz-Eiszeit bricht über die nördliche Erdhalbkugel herein, verursacht durch die Klimaerwärmung. Ende Mai startet der Film weltweit. Ausgerechnet vor dem Memorial Weekend, an dem die Amerikaner sich selbst feiern, will ein Deutscher ihnen zeigen, was sie anrichten mit ihren dicken Autos und ihren Klimaanlagen. Was die Sintflut bedeutet, das weiß man im bibelfesten Land.
Dass es den Film überhaupt gibt, hält Emmerich immer noch für einen gelungenen Coup. Das Drehbuch war komplett fertig, als er es an alle großen Studios schickte. Jeder, der es las, wusste, dass "Independence Day" allein in den USA über 300 Millionen Dollar eingespielt hatte - und dieser Stoff wirkte zunächst ähnlich. "Aber die Stimmung ist eine ganz andere." Nach ein paar Stunden hatten fast alle angebissen, Fox bekam den Zuschlag.
Dann aber seien recht bald Fragen gekommen. Ob man es denn wirklich so direkt sagen müsse, ob man die Szene im Weißen Haus nicht noch mal ändern könne. "Und wir haben nur gesagt: 'Sorry guys'." Vertrag ist Vertrag, und da stand drin, dass am Buch nichts geändert wird.
Im Februar, als der 125-Millionen-Dollar-Film schon fast fertig geschnitten war, bekamen Emmerich und die Fox-Marketingabteilung ein unerwartetes Geschenk: eine zunächst geheime Pentagon-Studie, in der sehr anerkannte Wissenschaftler ein Szenario entwerfen, das sie selbst als das "Undenkbare" beschreiben, Armageddon also. Die Klimaerwärmung, warnen sie, sei eine größere Gefahr für die amerikanische Sicherheit als der Terrorismus. Die Veränderung müsse nicht graduell geschehen, wie bisher angenommen, sondern könne ganz abrupt kommen. Und das innerhalb der nächsten 20 Jahre. Die beiden Autoren, ausgewiesene Zukunftsexperten, beschreiben verheerende Dürren im Süden der USA, sibirische Temperaturen in Nordeuropa, Hungertote in China. Ein verzweifelter und weltweiter Krieg um Energie, Wasser und Nahrung werde beginnen.
Das Papier ist für die Bush-Regierung umso peinlicher, als der Klimawandel sie überhaupt nicht interessiert. Nichts sei bewiesen, sagt der Präsident, der sich bis heute weigert, das Kyoto-Protokoll zu unterschreiben. Zwar räumt er inzwischen ein, dass sich die Erde erwärme, aber die Gründe kenne keiner.
Im Moment trägt Roland Emmerich allerdings noch selbst zur baldigen Apokalypse bei. Er muss viel fliegen und Auto fahren in diesen Tagen. Sieben unterschiedliche Visual-Effects-Firmen arbeiten an "The Day After Tomorrow". Alle paar Tage reist er mit seinem Team nach San Francisco - da sitzen drei Firmen, die anderen sind über Los Angeles verstreut. Ein paar hundert Spezialisten sind es insgesamt, die einen sind Experten für Eis, die anderen für Wirbelstürme.
An diesem Vormittag parkt Emmerich sein silbernes BMW-Cabriolet vor einer kleinen Firma in Santa Monica. Hinter heruntergelassenen Jalousien sitzen ein Dutzend Grafikdesigner an ihren Computern und fügen aus verschiedenen 3-D-Elementen die perfekte Schneeflocke zusammen. Sie haben auch die Eisberge neu berechnet. "Da müssten noch mehr Partikel runterfallen", sagt Emmerich. Außerdem sei Dennis Quaid im Packeis zu melonenfarbig. Die Schatten nicht so dunkel. Den Schnee ein bisschen dreckiger. Falls die Trümmer 25 Prozent schneller fallen würden? Ja, genau. "Das muss hektischer werden." Das Gras sei zu grün, da müssten gelbe Stellen rein. Und zum Blizzard soll noch Schnee. "Aber horizontal."
Auf verschiedenen Computern klicken Grafiker die Bilder hin und her. Nach Ablauf, gar nach Film, sieht hier nichts mehr aus. Auf dem Bildschirm nun die Erde von oben, die nördliche Hälfte von Eis überzogen. Nur noch Florida guckt unter der weißen Decke heraus und der Bauch von Texas. Mehr Wolken dazu, sagt Emmerich. "Und das Blau ist auf der linken Seite zu dunkel." Emmerich sagt, die Leute würden vermutlich Europa nicht entdecken unter all dem Weiß. Also muss mehr von Italien zu sehen sein: Den Stiefel erkennt man auch in Japan oder den USA.
Viel Zeit bleibt nicht mehr. In zwei Wochen will die Marketingabteilung den Film, egal, wie er bis dahin aussieht. Planen lässt sich mit Visual Effects schwer, man weiß nie genau, wie lang die Computer brauchen, um die Daten zu berechnen. Manchmal Minuten, bei komplizierten Bildern die ganze Nacht. Allein am Frost in der New York Public Library haben vier Leute zwei Monate lang gearbeitet - für 50 Sekunden Film. Sie haben analysiert, wie Eisblumen sich ausbreiten, wie Eiszapfen wachsen. Am Kampf der Freiheitsstatue gegen das Meer saßen zwei Dutzend Spezialisten mehr als sechs Monate lang, genauso am vereisten Empire State Building.
Emmerich ist angespannt, auch wenn er lässig aussieht wie die Surferkids draußen in der Sonne. Schlabberjeans, Schlabberhemd, Nietengürtel, Turnschuhe. Er hasst sie, diese letzten Wochen vor der Premiere. Der Druck, die lästigen Pressetermine. Die Angst zu scheitern sei so schlimm wie beim ersten Film, sagt er. "Ich wache oft mitten in der Nacht in einer Panikattacke auf, weil ich denk, ich werd nicht fertig." Ständig schaut er auf die Uhr.
Nächstes Bild: Manhattan im Gewitter. "Die Blitze dünner", sagt er. "Besonders die zwischen den Häuserschluchten, das sieht unecht aus." Und an die Welle, als die Taxis im Wasser versinken, müsste man auch noch mal ran. Der Grafiker nickt. Wasser ist am schwierigsten.
Manhattans 42. Straße war während der fünfmonatigen Dreharbeiten in Montreal in einem Millionen-Liter-Wassertank nachgebaut worden. Am Bildschirm wird jetzt nur ein bisschen nachgeholfen. Rund ein Siebtel des Films ist komplett am Computer entstanden. So die Titelsequenz - eine Kamerafahrt über die weite Landschaft der Arktis - , Teile vom Flüchtlingstreck nach Mexiko oder Totalaufnahmen von New York unter Eis. "Vor acht Jahren, bei ,Independence Day", wäre das noch undenkbar gewesen." Einfach, weil die Software fehlte.
Emmerich ist nicht Regisseur geworden, weil er bestimmte Geschichten erzählen wollte. Es geschah zufällig, er wollte eigentlich Ausstatter werden. Aber er merkte früh, dass er ein Gespür dafür hat, was die Masse sehen möchte.
Er ist Geschäftsmann, wie sein Vater daheim in Sindelfingen auch. Er geht in Buchläden, um zu sehen, was sein Publikum liest. In den frühen Neunzigern war ihm aufgefallen, wie viele Titel es auf einmal über die Titanic gab. "Und dann kam James Cameron, und ,Titanic" wurde der erfolgreichste Film aller Zeiten." Jetzt gebe es halt "wahnsinnig viele Bücher" über die Klimaveränderung. "Ja, man kann es Marktforschung nennen."
Glaubt er, dass er den Amerikanern die Zerstörung ihrer Städte und Symbole zumuten kann, kaum drei Jahre nach dem 11. September? "Ja", sagt er, "die ertragen das, und die finden das richtig gut." Bei den kurzen Dreharbeiten in New York hätten ihn ständig Leute gefragt, ob er wieder ein richtiges Desaster drehe, und ihn dann mit "We love you" verabschiedet.
Am Morgen des 11. September war Emmerich in seinem Haus in Mexiko. Im Fernsehen sah er staubbedeckte Amerikaner, die sagten, alles sehe aus wie in "Independence Day". Das hat ihn erschüttert, vor allem, weil er fand, sie hatten Recht. Er wurde unsicher, ob er einen Film wie "The Day After Tomorrow" noch machen könne. "Einfach so Gebäude in die Luft jagen, das wäre unmöglich gewesen. Aber viele Leute haben mir gesagt, du zerstörst ja nichts. Es ist ein Kampf gegen die Natur."
Der Klimawandel ist ein Thema, das nicht nur Emmerichs Zuschauer interessiert, sondern zufällig auch ihn. Er hat sein Leben lang die Grünen gewählt. Ein Aktivist war er nie. Leider. "Ich wär gern jemand, der gegen den Rest der Welt steht", sagt er. "Ich schwimme nicht wirklich gegen den Strom. Ich bin sehr angepasst. Vielleicht zu angepasst."
Die Filmcharaktere, die er schafft, haben Überzeugungen und Mut. Für die Zeit der Dreharbeiten kann er sich mit ihnen identifizieren. "Einer gegen alle, das zieht sich durch all meine Filme. Der kleine Mann und das extreme Szenario." Wenn er nach Hause kommt, liest er Gandhi. "Der hat sein ganzes Leben eine Sache gepredigt, ganz konsequent." Der sei sein Vorbild, sagt er.
Nun kommt "The Day After Tomorrow" ein halbes Jahr vor der US-Wahl heraus. Und wenn es in den kommenden Monaten um Bushs Klimapolitik geht, wird es wahrscheinlich viele geben, die seinen Film vor Augen haben. Vielleicht werden sie Autos verkaufen und Bäume pflanzen. Vielleicht wird Roland Emmerich das Gefühl haben, tatsächlich etwas bewegt zu haben. So etwas wie eine Botschaft gefunden zu haben, eineinhalb Jahre vor seinem 50. Geburtstag. Er sagt, bei den Testvorführungen des Films habe er "ein Triumphgefühl gespürt". Weil nicht die Effekte gelobt worden seien, sondern die Aussage.
Sat.1 zeigt "The Day After Tomorrow" am Samstag, 23. Mai, um 20.15 Uhr im Fernsehen