"Nichts als Gespenster" Thirtysomethings in der Endlosschleife

  • von Sylvie-Sophie Schindler
1a-Schauspieler plus 1a-Bestsellervorlage ergeben nicht automatisch einen 1a-Film. In "Nichts als Gespenster" inszeniert Martin Gypkens die Ereignislosigkeit. Das Ergebnis: ein paar gute Bilder, wenig Aha-Erlebnisse, insgesamt ein laues Kinoerlebnis.

Eine Vorwarnung gibt es meistens nicht. Plötzlich steht man mittendrin in dieser Nanu-was-ist-denn-jetzt-los-Phase, in der sich Frage an Frage reiht: Ist das wirklich das Leben, das ich führen möchte? Oder fehlt da was? Ist das der Partner, mit dem ich zusammenbleiben will? Oder stelle ich mir eigentlich etwas anderes vor? Die Figuren aus dem Episodenfilm "Nichts als Gespenster", nach Erzählungen von Judith Hermann, sind genau an diesem Punkt angelangt. Thirtysomethings, die aufbrechen in die Ferne mit der diffusen Hoffnung, dort die Antwort zu finden. Fünf Geschichten, fünf Orte: Amerika, Island, Venedig, Jamaika und die deutsche Provinz.

Regisseur Martin Gypkens ("Wir") zeigt viele bekannte deutsche Schauspielgesichter, die ihrer Sturm-und-Drang-Phase inzwischen entwachsen sind und sich zwischen die ernährungs- und umweltbewussten Paare einreihen könnten, die im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg selig lächelnd Kinderwägen vor sich herschieben. August Diehl ist dabei und Jessica Schwarz, Stipe Erceg und Fritzi Haberlandt, Karina Plachetka und Brigitte Hobmeier. Eine Schauspielergarde, die sich sehen lassen kann, plus Bestsellervorlage - die Voraussetzungen für einen gelungenen Film sind also nicht die schlechtesten.

Das Salz vergessen

Doch wie es auch beim Kochen nicht genügt, allein auf 1a-Zutaten zu vertrauen, denn das Essen könnte immer noch anbrennen, ist es bei der Filmerei natürlich dasselbe. Man kann Martin Gypkens zwar nicht vorwerfen, er hätte sich entspannt zurückgelehnt, im Gegenteil, der 38-Jährige lässt sich viele starke und symbolhafte Bilder einfallen, gerade dann wenn eine Episode in die andere springt. Ein Beispiel: von der Schlachtung einer Ziege auf Jamaika wechselt er nach Island, mit der Kamera direkt auf das Messer, mit dem gerade eine Roulade zubreitet wird. Das sieht gut aus, hat vielleicht gewissen Brachialcharakter, schmeckt aber irgendwie fad. Denn der Regisseur hat, bei all seinem Bemühen das Salz vergessen. Sprich: die Protagonisten bewegen sich wie Pappkameraden durch die Urlaubskarten-Idylle, als sei nur ihre Hülle hier und nicht ihre Seele. Leere ist zu spüren, typisch wohl für die Generation Golf. Doch die Dramaturgie gerät dabei konsequenterweise ins Hintertreffen. Oder anders: ist Dramaturgie überhaupt gewollt, wenn, wie hier, Ereignislosigkeit inszeniert werden soll?

Wer sich also auf den Film einlässt, sollte eine gewisse Ziellosigkeit, sollte das Laue aushalten können, wird dafür aber auch belohnt. Zum Beispiel mit Fritzi Haberlandts großartigem Spiel, die als Marion durch die venezianischen Gassen stolpert. Sie sucht, das Leben vielleicht, findet aber doch wieder ihre Eltern, die auch auf Sightseeing-Tour sind. Die Eltern-Kind-Beziehung ist so verkorkst wie es Eltern-Kind-Beziehungen nur sein können. Fritzi Haberlandt agiert fast nur stumm, hat kaum mehr zu sagen als "Ja, Mama" und "Nein, Mama". Ebenso wortlos spielt sich ihre Begegnung mit einem Italiener ab, der sich zu ihr an den Restauranttisch sitzt, mit dem Blick auf sie gerichtet onaniert und ihr für dieses exhibitionistische Vergnügen ein paar Euro auf den Tisch legt.

Kein Entkommen aus der Endlosschleife

Ihrer Beziehung überdrüssig sind die Amerikareisenden Ellen (Maria Simon) und Felix (August Diehl). Weil er über die ausgelatschte Beziehung nicht sprechen will oder nicht sprechen kann, meckert Felix - August Diehl ist ein weiteres Highlight - an allem und jedem herum. Ob im Restaurant, in der Wüste oder im Auto, Felix mosert. Er zeigt dabei wenigstens noch die Kraft des Verzweifelten, während Nora (Jessica Schwarz) und Christine (Brigitte Hobmeier) am jamaikanischen Strand sitzen und ähnlich wie Tschechowsche Figuren darauf warten, dass etwas von außen an sie herangetragen wird. Sie sehnen sich den angekündigten Hurrikan herbei ("Dann passiert hier wenigstens etwas") und vertreiben sich die Zwischenzeit mit Konjunktiven, mit einem Spiel, das "Sich ein Leben vorstellen" heißt.

Der Hurrikan kommt nicht. Die Liebe auch nicht. Denn letztendlich ist sie es, auf die alle Figuren hoffen. Die Isländerin Jonina (Solveig Arnarsdottir) geht trotzdem nicht mit ihrem deutschen Gast Jonas (Wotan Wilke Möhring) ins Bett, die Provinzschauspielerin Caro (Karin Plachetka) hingegen schläft mit dem Provinzschauspieler Raoul (Stipe Erceg), dem Freund ihrer besten Freundin Ruth (Chiara Schoras) - was aber auch nichts ändert. Denn: es gibt kein Entkommen aus der Endlosschleife. Klar, man könnte den Hörer auflegen, aber selbst dazu ist man wohl zu schwach.

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