Das Interview mit ihr ist vorbei. Es war charmant, aber etwas mühsam. Sie erhebt sich aus der Ecke ihres Sofas, streicht das schwarze, ein wenig zu kurze Kleid über die nackten Knie und will davonstöckeln Richtung Fahrstuhl. Doch dann, beim Gang über den Flur des Berliner Soho House, dreht sich Marion Cotillard noch einmal um, wispert "Thank you" in ihrem Englisch mit dem bezaubernden französischen Akzent. Und da passiert es wieder. Ihr Gesicht öffnet sich, leuchtet auf, und man hat das Gefühl: Gerade wurde man von ihren Augen umarmt.
Es ist dieser Blick, diese Gabe, mit ganz wenig Mimik ganz große Geschichten zu erzählen, die die Französin in den vergangenen Jahren zum internationalen Star gemacht haben. Ein Star, der für Dior modelt und bei dem nur die kleinen Falten um die Augen verraten, dass sie kein junges Mädchen mehr ist, sondern eine über 40-jährige Frau.
Das Leuchten der Marion kann man im Kino derzeit mehrfach erleben. Für gleich drei Filme hat sie die weibliche Hauptrolle übernommen, und wenn man böse wäre, würde man sagen: Sie ist in allen Fällen der einzige Grund, ein Ticket zu lösen.
Da ist zum Beispiel die Theater-Adaption "Einfach das Ende der Welt" des kanadischen Regie-Wunderkindes Xavier Dolan. Es geht um einen schwulen Sohn, der zum Sterben zurückkehrt in den Schoß seiner Familie. Cotillard spielt seine Schwägerin, neben anderen französischen Schauspielschwergewichten wie Vincent Cassel oder Nathalie Baye. Das geschwätzige Familientreffen ermüdet bald so sehr wie die eigene Verwandtschaft – wären da nicht die vielen Großaufnahmen der schönen Cotillard.
Scharade aus Lust und Schein gelingt ihr mühelos
In "Assassin's Creed", der Verfilmung des gleichnamigen Computerspiels, mimt sie eine Wissenschaftlerin, verantwortlich für ein Experiment der besonderen Art. Ein zum Tode verurteilter Häftling (Michael Fassbender) wird zurückversetzt in die Zeit der spanischen Inquisition – in seiner DNA stecken noch die Erinnerungen seiner Vorfahren. Der Gen-Thriller lahmt und langweilt – wäre da nicht ihr unterkühltes und doch einfühlsames Mienenspiel.
In "Allied" schließlich gibt sie eine französische Widerstandskämpferin im von Nazis kontrollierten Casablanca, die eine Scheinehe eingeht mit einem Undercover-Kollegen, gespielt von Brad Pitt. Eine aufgeknöpfte Bluse und ein paar Küsse auf einer Dachterrasse später, schon ist er ihr hoffnungslos verfallen. Cotillard spielt die Scharade aus Lust und Schein fast mühelos. Pitt dagegen, sonst ein glaubwürdiger Darsteller, bleibt seltsam distanziert.
Nach den Dreharbeiten brach die echte Welt über sie herein. Die Gerüchte über eine Affäre. Die News über die Scheidung von Brangelina. Cotillard spricht am liebsten gar nicht mehr über dieses Thema. Alles, was sie habe sagen wollen, habe sie über Instagram knapp und klar verkündet: dass der französische Schauspieler Guillaume Canet der Mann ihres Lebens sei und der Vater ihrer bald zwei Kinder. Und dass sie hoffe, dass Angelina und Brad ihren Frieden wiederfinden mögen. Den Medien und Hassern wünschte sie eine baldige Genesung.

Sie sagt: "Ich kann mein Image nicht komplett kontrollieren. Als ich noch jünger war, las ich Sachen über mich, die mich überraschten, weil sie so weit weg waren von meinem echten Selbst." Sie versucht zu lächeln. Und sagt dann: "Aber ich habe nie versucht, das zu ändern, weil ich darüber sowieso keine Macht habe, keinen Einfluss. Ich kann nur ab und zu etwas von mir preisgeben, um die Lügen da draußen zu zerstören." Beim Klatsch über sie und Pitt blieb ihr nichts als die Offenbarung. "Weil die Leute dachten: Solange ich mich überhaupt nicht dazu äußere, wird da wohl was dran sein." Die Aufregung hat sich inzwischen gelegt, und die Welt würdigt Cotillard wieder mehr als Künstlerin denn als private Kunstfigur.
Einen Oscar hat Marion Cotillard schon
Ihre Vorstellung als Edith Piaf in "La vie en rose" war so vollkommen, dass sie damit 2008 nicht nur den Oscar als Beste Hauptdarstellerin bekam, als erste Französin seit Simone Signoret 1960. Sie inspirierte mit ihrer Leistung auch ihre Kollegen. "Sie hat sich Piaf nicht nur einverleibt, sondern einen eigenen Menschen erschaffen, absolut erstaunlich", lobte Cate Blanchett. Danach standen Cotillard auch in den USA alle Türen weit offen. Sie drehte gleich doppelt mit dem großen Kinoschöpfer Christopher Nolan – "Inception" und "The Dark Knight Rises". Spielte im Musical "Nine" oder für Woody Allen in "Midnight in Paris".
In der französischen Hauptstadt ist sie geboren, mitten hinein in eine Familie aus Theaterschauspielern, Regisseuren, Autoren und Lehrern. "Schon meine Omas waren ausgezeichnete Erzählerinnen", erinnert sich Cotillard. "Die eine liebte es, die Menschen zu unterhalten. Die andere war eher eine pathologische Lügnerin."
So eindringlich Cotillard auf der Leinwand wirkt, so fordernd sind Gespräche mit ihr. Sie denkt lange nach, auch noch, während sie mitten in einer Antwort steckt. Fragt man sie, was an ihr besonders französisch sei, verzettelt sie sich in einer endlosen Liebeserklärung an den Garten ihrer Großeltern und ihre Verbundenheit mit der Erde, deren Belange ihr so sehr am Herzen liegen, dass sie sich seit über 15 Jahren für Greenpeace engagiert. Man lauscht ihren ausufernden Erzählungen trotzdem gern, so lieblich dringt der Akzent durch ihr Englisch. Eigentlich hat sie ihn sich für die Leinwand abtrainiert. Doch wenn sie über ihre Heimat "France" redet, klingt es bei ihr immer wie "Friends" – Freunde.