So viel Geschrei um Kunst gab es schon lange nicht mehr. Bevor auch nur irgend jemand die Ausstellung über "Hitlers Lieblingsbildhauer" Arno Breker gesehen hatte, wurde gestritten und gezetert. Darf man solch martialische, bronzenen Krieger und Sieger zeigen? Oder muss diese Art von Kunst für immer tabu sein, weil sie mit ihrem Menschenbild das Naziregime gestützt und mitgetragen hat?
Nun ist die Breker-Schau eröffnet: ohne den befürchteten Aufmarsch von Neonazis, ohne Proteste von Antifaschisten. Das selbstgemalte T-Shirt "Arno Nazi Nein!" fiel in der Menge der Vernissagengäste kaum auf, die gutgemeinte "Blutkunst" einer lokalen Künstlerin vor dem Eingang auch nicht. Viel Lärm um nichts also, wäre da nicht die Hauptperson des Abends: Charlotte Breker, 79, Witwe des Künstlers.
Es ist ihr erster öffentlicher Auftritt seit langer Zeit. Alle hier gezeigten Werke stammen aus ihrem Besitz. Weil im und nach dem Krieg 90 Prozent der Breker-Werke vernichtet wurden, ist jeder Ausstellungsmacher auf ihre Gunst angewiesen. Große Krieger und kleine Nackte hat Charlotte Breker nach Schwerin geschickt. Fotos, Briefe, Büsten. Und auch die Figuren, die Breker für Hitlers Reichskanzlei gefertigt hat, stehen nun im rosenumrankten Fachwerkhaus: "Demut" und "Eos", "Wager" und "Wäger". Normalerweise schmücken sie den Garten der Breker-Familie, gleich am Düsseldorfer Flughafen. Zum ersten Mal sind sie nun in einem öffentlich finanzierten Haus zu sehen.
Wie eine liebe Oma
Ein großer Moment? Nicht für Charlotte Breker. Sie steht im sonnigen Garten des Schleswig-Holstein-Hauses unter einem Hasseröder-Schirm und fühlt sich ganz und gar nicht wohl. Wie die liebe Oma von nebenan sieht sie aus mit ihren weißen Locken und der Perlenkette über dem Kurzarm-Pullöverchen. Aber als Ausstellungsmacher Rudolf Conrades in seiner Rede von Nazis spricht und von der Verführbarkeit Arno Brekers, wandern ihre Mundwinkel nach unten, wird ihr Gesicht grimmig und starr.
Jemand schiebt ihr einen braunen Plastikstuhl hin, aber sie mag darauf nicht sitzen. Jemand drückt ihr einen Strauß gelbe Rosen in die Hand, sie legt ihn achtlos hinter ein Afri-Cola-Schild an der Bar. Eigentlich will sie nichts zu tun haben mit dieser ganzen Vernissagengesellschaft hier in Schwerin. Zum Schutz hat sie sich mit einem ganzen Bollwerk von Leuten umgeben.
"Deutscher Michelangelo des 20. Jahrhunderts"
Da ist ihr Berater Herman Lohausen, ein Kopf wie von Breker gegossen. Spätestens mit seiner Schrift "Gerechtigkeit für Arno Breker" hat er die Gunst der Familie gewonnen. Da ist Tochter Carola mit dem kleinen Enkel Henry, eine Kunsthistorikerin, die über den Bildhauer Maillol promovierte. Ihrem Vater Arno ist sie wie aus dem Gesicht geschnitten: schön, aber auch ein wenig kühl. Aristide Maillol hatte Arno Breker als "deutschen Michelangelo des 20. Jahrhunderts" bezeichnet. Das gefällt der Familie.
Ein paar Freunde, Sammler, Verehrer umringen die Brekers, jeder Fremde, der sich der Gruppe nähert, blitzt ab. Nein, bitte keine Fragen. Nein, kein Interview. Mag sie die Ausstellung? Ein kurzes, wenig überzeugtes Ja, dann wendet sie sich ab: "Ich möchte nur mit meinen Freunden reden." Und Tochter Carola ruft hysterisch, bevor man nur ein einziges Wort sagen kann: "Nein, nein, nein!"
Charlotte Breker ist die zweite Frau des Mannes, der in den 30er Jahren Hitlers Gunst gewann, Skulpturen für das Berliner Olympiagelände und für die Reichskanzlei entwarf und dafür reich belohnt wurde mit Professorenwürde und Goldenem Parteiabzeichen, mit Millionenhonoraren und einem Schloss. Anders als Arno Brekers erste Frau Demetra, die mit auffälligen Hüten und griechisch-südländischem Charme die Gesellschaft entzückte, hat Charlotte aber nie Wirbel um ihre Person gemacht.
Als Krankenschwester und Pflegerin der krebskranken Demetra kam sie in den fünfziger Jahren zu den Brekers, hielt sich bescheiden im Hintergrund - und blieb auch nach dem Tod ihrer Patientin. 1958, zwei Jahre nach Demetras Tod, heiratete Arno Breker die 26 Jahre jüngere Charlotte. Seit Brekers Tod 1991 sitzt sie im Düsseldorfer Haus und verwaltet rund 200 Skulpturen, dazu Fotos, Briefe, Zeitungsausschnitte. Ein Schatz von Dokumenten, zu dem bis heute kein Wissenschaftler Zugang bekommen hat.
Reizwort "Hitler"
"Der Kontakt mit der Witwe Breker war nicht ganz einfach", sagt Ausstellungsmacher Rudolf Conrades. Wie konnte er Charlotte Breker überhaupt gewinnen? "Ach wissen Sie, ich bin Pastorensohn", sagt er. Mit vielen Worten überzeugte er die Familie davon, "dass man über Arno Breker sprechen muss", um ihn nicht zum Märtyrer einer neuen Rechten zu machen. Und so heißt nun auch die Ausstellung: "Zur Diskussion gestellt: der Bildhauer Arno Breker" (bis zum 22. Oktober in Schwerin, Schleswig-Holstein-Haus). Den eigentlich geplanten Titel "Zwischen Hitler und Cocteau" hat er ihr zuliebe verworfen. "Hitler" ist ein Reizwort in der Familie.
Diese Ausstellung kann nur ein Anfang sein. Sie ist klein und mit der schmalen Summe von 55.000 Euro gestemmt, das reicht bei anderen Häusern grade mal für die Transportkosten. Rudolf Conrades hat das Beste draus gemacht, hat einen informativen Katalog zustande gebracht, in dem sogar ein paar neue Dokumente zu entdecken sind. Ein langer Brief des Verlegers Peter Suhrkamp etwa, in dem er versichert, dass Breker ihn vor dem Lager bewahrt habe.
Alles niedlich und harmlos
Aber das ist nicht genug. Im schnuckeligen Schleswig-Holstein-Haus wirkt alles niedlich und harmlos. Die kritischenTexte an den Wänden lesen nur wenige, eine Audio-Führung gibt es nicht. Und so lange die Familie Breker niemanden an ihr Archiv lässt, angeblich weil das Familienleben sonst gestört würde, ist an eine wirklich umfassende, sorgfältige Aufarbeitung von Arno Brekers Kunst und Leben sowieso nicht zu denken.
Viele Fragen bleiben offen. Wie konnte ein begabter Bildhauer sich von den Nazis vereinnahmen und von Hitler benutzen lassen? Wie passt dazu, dass derselbe Bildhauer mit dem französischen Avantgarde-Künstler Jean Cocteau eng befreundet war, einem Enfant Terrible, bisexuell und opiumabhängig? Und wie kam Breker nach dem Krieg an Aufträge der CDU-Bundeskanzler Konrad Adenauer und Ludwig Erhard, der Spitzensportler Jürgen Hingsen und Ulrike Meyfarth? Rudolf Conrades hat mit seinen Ausstellung einen kleinen, etwas naiven Anfang gemacht, jetzt sollen andere ran: "Breker ist Teil der deutschen Kunstgeschichte. Die großen Museen sind bisher davor zurückgeschreckt, sich mit diesem Kapitel unserer Geschichte zu befassen. Ich denke, es ist höchste Zeit, das in Angriff zu nehmen."