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M.Beisenherz - Sorry, ich bin privat hier Frust Neujahr – 20, 21 Gedanken zu 2021

Micky Beisenherz
© Picture Alliance / stern
Kaum ein neues Jahr dürfte jemals so kollektiv und konsensuell herbeigesehnt worden sein, wie das nun anstehende. Wird es die Erwartungen erfüllen? Micky Beisenherz hat sich Gedanken zu 2021 gemacht.

1) Container. Egal, ob Altglas- oder Papiercontainer. Wer auch immer die Solidarität der Gesellschaft beschwört, dürfte spätestens Neujahr beim Anblick der heillos überfüllten Behältnisse mit seinen vierzig Kilo Pappe und den drei Tüten leerer Rotweinflaschen entsetzt wieder abdrehen.

2) Inauguration. Wenn am 20. Januar Joe Biden ins Amt gehoben wird, könnte es gut sein, dass Donald Trump sich öffentlich darüber mokiert, warum so wenige Leute dabei sind. Spannend zu sehen, dass die Berichterstattung über ihn sukzessive abnimmt. Er schrumpft vor unseren Augen. The incredible shrinking Man. Die rund 75 Millionen, die ihn gewählt haben, schrumpfen leider nicht. Das wird noch lustig. Zumal er die gesammelten Wahlkampfgelder für 2020 auch für 2024 einsetzen darf.

3) Brennglas. Korbpflicht. Autokino. Begriffe, die ich im kommenden Jahr nicht mehr hören mag.

4) Noch schlechter als Attila Hildmanns Kochbücher sind nur die blauen EU-Hoodies gealtert. Egal, ob Moria, Orban oder Putin- die "europäische Lösung" ist längst zu einem politischen Witz verkommen. Wie damals, wenn Angela Merkel jemandem das "vollste Vertrauen" aussprach.

5) Soziale Netzwerke werden ihren Ton noch drastischer verschärfen. Lautstärke als Wahrnehmbarkeitsgarantie. Aufrichtigkeitssimulationen und Anstandsgetöse immer hart an den Realitäten vorbei. Egal, ob vermeintlich verunglückte Interviews oder staatsfeindliche Kolumnen über Polizisten – wichtig ist die eigene Positionierung. Ein Gericht, bei dem stets die Schuldvermutung gilt. Bloß nicht ablenken durch zu viel ernsthafte Auseinandersetzung. "Volle Solidarität mit …" wird auch 2021 die leerste Phrase ohne jedwede Beweispflicht bleiben. Und dazwischen stumm schalten, blocken, deabonnieren – Sternstunden des Diskurses. Eine unglaubliche Gereiztheit, dabei stets mit dem argumentativen Glaskinn. Ist Twitter nicht eigentlich die "vulnerable Gruppe"?

6) Ostsee, die verkackte. Wenn es soweit ist, dass ich dort drei Wochen Urlaub mache, dann hat Corona mich endgültig kleingekriegt. No offense, Scharbeutz.

7) Corona-Soli. Warum nicht? Wenn man bedenkt, welche fragwürdigen Abos wir so ungenutzt mit durchschleppen, wäre da eine prozentuale Abgabe für uns (Besserverdiener) nicht angebracht im Sinne einer Bundesrepublikserhaltungszahlung? Wir müssen uns ändern, damit alles so bleibt, wie es war. Starbucks oder Amazon bleiben von solchen Verpflichtungen selbstredend ausgenommen.

8) Taunus. Auch, wenn es eine romantische Vorstellung ist, dass bei eingeschränkter Reisefreiheit alle plötzlich den Zauber der Heimat entdeckt haben – so wird es nicht kommen. Ganz im Gegenteil: Wie von einem kollektiven Schlaganfall genesen, werden die Leute konsumieren, fliegen, fremde Länder sehen wollen, denn: Wer weiß, wann die nächste Pandemie ansteht, "und jetzt sind wir mal dran!" Das ist keine gute Nachricht für den Klimaschutz – wahr ist es dennoch.

9) Das, was in diesem Jahr die Jogginghose ist, wird im nächsten Jahr das Paillettenkleid. In dem kommt man im Zweifel sogar am Dienstag zur Arbeit. Schließlich will man danach ja noch essen und feiern gehen. Und das nicht mehr nur in Berlin, sondern auch in Pforzheim.

10) We Work Spaces. Ja, Homeoffice war nett. Aber natürlich auch verheerend für den Affärenstandort Deutschland. Das Zuhause als Urlaubsort vom Gewohnten war im April zwar aufregend, aber: Das jetzt für immer? Sind wir ehrlich: Zu Hause kommt man zu nix. Auch und im Besonderen, wenn Kinder da sind. Kreativität entspringt häufig den kleinen Gesprächen in der Teeküche. Und die Paarbeziehung lebt von Nähe und Distanz. Will sagen: Wenn er nicht für immer verschwinden soll, muss er am Tag zumindest für acht Stunden weg sein. Oder sie. Oder beide. Sonst wird der Liebes- zum Gazastreifen. Zur Arbeit gehen wird bald mit dem Seufzer der Erleichterung.

Micky Beisenherz: Sorry, ich bin privat hier

Mein Name ist Micky Beisenherz. In Castrop-Rauxel bin ich Weltstar. Woanders muss ich alles selbst bezahlen. Ich bin ein multimedialer (Ein-)gemischtwarenladen. Autor (Extra3, Dschungelcamp), Moderator (ZDF, NDR, ProSieben, ntv), Podcast-Host ("Apokalypse und Filterkaffee"), Gelegenheitskarikaturist. Es gibt Dinge, die mir auffallen. Mich teilweise sogar aufregen. Und da ständig die Impulskontrolle klemmt, müssen sie wohl raus. Mein religiöses Symbol ist das Fadenkreuz. Die Rasierklinge ist mein Dancefloor. Und soeben juckt es wieder in den Füßen.

11) Klimawandel. Es steht zu befürchten, dass Corona im Zeitraffer das ist, was uns da noch blüht. Absurderweise geschieht diese ungleich größere Bedrohung aber so langsam, dass niemand den akuten Handlungsbedarf erkennen mag. Ob wir nun der Frosch im sich langsam erhitzenden Wasser sind oder die Fliege, auf die Gottes Hand sich trügerisch langsam herab senkt, suchen Sie sich’s aus. Gut ist das alles nicht. Wir braten alle gut gelaunt den Bruzzler über dem brodelnden Vulkankrater.

12) EM. Das Turnier ist verkauft, die Sponsorengelder gezahlt. Also wird gespielt. Ob mit Fans oder ohne – das ist der Werbebande doch gleich.

13) Start making clever People famous. Es ist das Jahr, in dem Virologen zu S(t)ars wurden und Impfstoffhersteller Milliardäre. Wir hatten schon dümmere Jahre.

14) Angela Merkel hat nicht alles richtig gemacht. Aber sie wirkte stets so, als ginge es ihr bei der Bewältigung ihrer Aufgaben nicht um sich selbst, sondern die Sache. Schöne Grüße auch nach Bayern. Ihr unprätentiöser Stil mit später Emotionsinfusion wird uns noch fehlen – speziell unter einem Bundeskanzler Merz.

15) Satire wird auch im kommenden Jahr wieder alles dürfen, aber nicht alles müssen.

16) Der Januar und der Februar werden trist und scheiße. Dafür brauche ich keine Lockdownverlängerungsarien von Spahn und Merkel. Da reichen die bloßen Zahlen. Mit der Wärme wird es besser werden. Und während wir auf die Impfungen warten, können bezahlbare Schnelltests Restaurant-, Club- und Konzertbesuche wieder möglich machen. By the way: Was ist eigentlich mit einem Medikament?

17) Das Wort des Jahres: "Hausrecht". Nein, es wird keine Impfpflicht geben. Aber ein gesellschaftliches Impfgebot. Autoritäre Aggression gegen die, die sich aus welchen Gründen auch immer der Nadel und natürlich der gesellschaftlichen Solidarität – ja, da ist sie wieder – verweigern. Der Impfpass könnte wichtig werden, wenn man ein Flugzeug betreten will, eine Kneipe, eine Boutique. Keine Ahnung, wie das mit dem Antidiskriminierungsgesetz vereinbar ist, kommen wird es dennoch. #Impfscham – Mark my words.

18) Fandet ihr das mit der Kassenbonpflicht auch so wahnsinnig anstrengend dieses Jahr?

Jasper Koch, Theaterleiter des Abaton Kinos in Hamburg, steht vor dem Eingang.

19) Das Kino wird sich verändern. Je besser die Soundsysteme und Flatscreens daheim werden, desto obsoleter werden die klassischen Multiplexkinos. Kein 3D, kein Merch, keine Special Gimmicks zur Kinokarte? No Chance. Am Ende lachen die Streamingdienste. Und die kleinen, gemütlichen Programmkinos. Sie werden die Schallplattenspieler für Cineasten sein.

20) Das verhasste Coronavirus erledigt den kaum minder verhassten Trump. Ist das Leben nicht voll absurder Widersprüchlichkeiten?

20, 21) Wer glaubt, über 2021 Prognosen anstellen zu dürfen, hat aus 2020 nix gelernt.

rös

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