Man ist oft auch undankbar: Wie häufig bin ich achtlos an Hamm vorbeigefahren, ohne die historisch aufgeladene Bedeutung des Ortes zu würdigen.
Wobei das natürlich gelogen ist. An Hamm fährt man nicht vorbei. Auf dem Weg nach Berlin beispielsweise hält man dort oft für nur wenige Stunden, weil die Lok kaputt ist, Pilzesammler das Gleis blockieren, der erwartete Zugführer dummerweise selbst mit der Bahn zum Dienstantritt gereist und nun 237 Minuten verspätet ist. Für gewöhnlich ist der Halt kürzer, kommt es hier doch zu der legendären Zugteilung von Hamm. Diese wurde schon im Alten Testament, im Ersten Buch Mose, erwähnt und versetzt noch heute Bahnfans wie Klerikale gleichermaßen in Ekstase.
Eine Bohlenstadt gibt es nur einmal
Nicht nur Hamm prahlt völlig zu Recht. Auch andere Städte werden edel attribuiert. Denken Sie nur an die Lutherstadt Wittenberg (nicht zu verwechseln mit der Lotterstadt Herne), Fuggerstadt Augsburg und natürlich die Bohlenstadt Tötensen. Da kann sich Weimar aber mal hinten anstellen. Jede zweite Stadt in Deutschland ist Goethestadt (Wetzlar, Ilmenau, sogar Bad Lauchstädt!), eine Bohlenstadt gibt es nur einmal.
Ist Tötensen für jemanden, der in Deutschland Sympathiewerte genießt wie ein SUV quer auf einem Behindertenparkplatz, nicht auch ein Ortsname wie ein unheilvoller Imperativ? Da wird der Landkreis Harburg zur Pilgerstätte des ohnmächtigen Wutbildungsbürgertums.
Man muss sich eh fragen, mit welcher Schlagseite man speziell in Niedersachsen an Namen für Orte gearbeitet hat. Garbsen zum Beispiel ist mehr Verb als Ort. Ein Klang wie ein unappetitliches Geräusch, wie ein feucht-blubberndes Bäuerchen in der niedersächsischen Sprachebene. "Sorry, aber nach fettem Essen muss ich immer garbsen." Da fühlt man sich kurz nach Passieren des Ortseingangsschildes so aufgebläht, als hätte man die zwei Teller Grünkohl mit Pinkel bereits intus.
Auch in Uelzen hat niemand darauf gewartet, den eigenen Ort als Schmähbegriff und unangenehmes Tuwort wahrgenommen zu wissen. Uelzen – wie eine unselige Melange aus Unwahrheiten und Herumsalbadern. "Durch unnachgiebiges Uelzen an gedeckten Kaffeetafeln konnte Carsten Maschmeyer sich über Jahre von argloser Rentnerhand ein stattliches Millionensümmchen ergau…arbeiten."
Fümmelse, Meinkot und Fucking
Das Dorf Fümmelse in, Sie ahnten es bereits, Niedersachsen kommt einer unsittlichen Aufforderung gleich, die man bestenfalls im Rheinland als eine Art Brauchtum durchgehen lassen würde.
Und welch seltsamer Defäkier-Stolz die Stadtväter von Meinkot im – na logo – niedersächsischen Landkreis Helmstedt dazu bewogen hat, ihren Ort eben genau so zu nennen, das ist so unergründlich wie die Wege des … nun ja … Darms. Da wird eine ganze Gemeinde stolz vorgezeigt wie der Inhalt des Töpfchens eines Dreijährigen.

Lange Zeit hatte man sich im österreichischen Ort Fucking gewundert, wieso man im US-Gangsta-Rap so häufig erwähnt wurde. 2020 gelangte doch mal ein Fremder in die scheue Gemeinde und übersetzte freundlich. Sogleich erfolgte mit "Fugging" die Umbenennung des Ortes im Bezirk Braunau am Inn, was natürlich richtig ist. So negative Konnotationen will man dort selbstverständlich nicht haben. Liebe Grüße an die Motherfugger in Augsburg!
Möglicherweise bin ich als Kind des Emscherflorenz Castrop-Rauxel auch nur neidisch. "Castrop-Rauxel" – klingt das nicht wie eine vernichtende Diagnose eines Lungenfacharztes?