M. Beisenherz: Sorry, ich bin privat hier Auf einmal ist es Frühling! Freundlich. Hell. Warm.

Von Micky Beisenherz
Micky Beisenherz
© Illustration Dieter Braun/stern
Es ist jedes Jahr wieder überraschend, wie schnell Eis, Schnee und Kälte weichen können. Und was das mit uns allen macht.

Manchmal geht es ganz schnell. Noch vor wenigen Tagen versank das ganze Land im Schneechaos, eine berufliche Reise ins gar nicht so weit entfernte Berlin fiel meinen Transportskrupeln zum Opfer. Schließlich nutze ich mein Kfz so selten, dass ich gar nicht sagen könnte, ob da jetzt Sommer- oder Winterreifen drauf sind. Und die Deutsche Bahn wurde vom Winter so überraschend getroffen, dass die Mitarbeiter fast zwei Wochen lang damit beschäftigt waren, geschlossen den Begriff "Frost" zu googeln.

Man muss es so sagen: Dieser Polarwirbelsplit hatte definitiv bessere Argumente fürs Zuhausebleiben im Lockdown als Armin Laschet.

Trotzdem ist der Winter nicht nur schlecht. Er legt eine weiße Decke über Bausünden und "Zu verschenken"-Ramsch am Straßenrand – eine Art Insta-Filter für ganze Wohnviertel. Außerdem ermöglicht er das Schlittenfahren.

Ich als Freiberufler hatte zum Beispiel die Möglichkeit, an einem Dienstagmittag noch einmal raus ins Weiße zu fahren, um mit meiner kleinen Tochter alles wegzurodeln, was da noch lag. Beziehungsweise mir von präpubertierenden Jungs fast die Unterschenkel kaputt heizen zu lassen.

Und schon am Mittwoch war es dann plötzlich: Frühling! Der Schnee war geschmolzen. Die Vögel zwitscherten, und ein Hauch von Frühling lag in der Luft. Wunderbar.

Das kann man sich irgendwie nie vorstellen. Da steht man in der Warteschlange vorm Stammcafé und denkt darüber nach, wann der Kerl vor einem wohl erfroren ist und ab wann es schicklich ist, ihm seine Socken zu klauen, und auf einmal ist es Frühling. Freundlich. Hell. Warm.

Du hast die besten Wochen gerade vor dir

Das Gezwitscher der Vögel kommt jetzt nicht mehr aus der kleinen Vogelhäuschen-Soundmaschine im Bad. Wobei die auch gar nicht schlecht ist. Wir kennen diesen kontrollierten Selbstbetrug ja schließlich auch vom Bundesligagucken, wo wir uns für die Tonspur eines vollbesetzten Stadions entscheiden. Und trotzdem: Das Echte ist schöner.

Fahrrad fahren gilt ab sofort nicht mehr als Risikosportart (mit Ausnahme Berlins oder Kölns, klar), und so mancher Baum trägt schon mehr im Geäst als eine alte, verhedderte Plastiktüte.

Micky Beisenherz: Sorry, ich bin privat hier

Mein Name ist Micky Beisenherz. In Castrop-Rauxel bin ich Weltstar. Woanders muss ich alles selbst bezahlen. Ich bin ein multimedialer (Ein-)gemischtwarenladen. Autor (Extra3, Dschungelcamp), Moderator (ZDF, NDR, ProSieben, ntv), Podcast-Host ("Apokalypse und Filterkaffee"), Gelegenheitskarikaturist. Es gibt Dinge, die mir auffallen. Mich teilweise sogar aufregen. Und da ständig die Impulskontrolle klemmt, müssen sie wohl raus. Mein religiöses Symbol ist das Fadenkreuz. Die Rasierklinge ist mein Dancefloor. Und soeben juckt es wieder in den Füßen.

Der meteorologische Frühlingsbeginn kommt, und er kommt keine Sekunde zu früh. Denn das kleine bisschen sozialer Interaktion ging ja auch deshalb ein wie ein zarter Trieb im ewigen Eis, weil man bei minus 15 Grad halt ungern zu zweit spazieren geht, und "innerhalb der eigenen vier Wände" ist coronologisch ja schon kurz vor Körperverletzung.

Ich liebe diese Zeit des Jahres. Genau diese Zeit jetzt! Wenn du langsam die Augen öffnest, in die Sonne blickst und spürst: Du hast die besten Wochen gerade vor dir.

Egal, was passiert, egal, was die Newsticker melden, komme, was da wolle: Den Geruch, die Sonne, das Gezwitscher kann niemand aufhalten. Wir werden immer spazieren gehen können. Wir werden uns auf die Wiese setzen können. Und wenn der Frühling sein Band nur durch die Lüfte flattern lässt und nicht etwa Parkbänke damit absperrt, werden wir sogar auf einer solchen Platz nehmen und ein Buch lesen können.

Diese Zeit ist Aufbruch. Hoffnung. Licht.

Und während wir um den 21. März den kalendarischen Frühlingsanfang begrüßen, feiern die Perser das Neujahrsfest.

Bedenke ich, dass alles in mir schreit: "Ja, das Leben, jetzt geht es los", muss ich sagen: Das sind kluge Leute.

Wir tauen gerade auf.

PRODUKTE & TIPPS