Beim sechsten Album eines Popmusikers erleben die Zuhörer keine Überraschung mehr. Es sei denn, der Künstler heißt Ben Harper. Der überrascht mit seiner neue CD "Diamonds On The Inside" (Virgin) wie vielleicht ganz früher mal Neil Young. Was bei jenem aber meist ein Erschrecken über Eskapaden und Experimente war, ist bei Ben Harper eher eine Erstaunen über eine musikalische Vielfalt, die noch ein Stückchen gewachsen zu sein scheint.
Abwechslung und Weiterentwicklung
Bei Ben Harpers Debüt "Welcome To The Cruel World" (1994) dominierte noch sein Gitarren-Prunkstück, eine "Weißenborn" aus den zwanziger Jahren den Sound und legte beinahe alle Stücke ein in einen Retro-Blues-Sud. Bei seinem aktuellen Album dominiert die Abwechslung. Harper startet mit dem Reggae "With My Own Two Hands", den sicherlich auch Bob Marley zu seinen besseren Stücken gezählt hätte, wechselt dann zum "Weißenborn"-Country-Gospel-Blues seiner Anfangstage, ist fast genau drei Minuten schon bei dem Titeltrack "Diamonds On The Inside", reitet weiter auf dem sich psychedelisch schlängelnden Folkrock von "Touch From Your Lust", greint ergreifend Liebesschmalz in "When She Believes" und steht plötzlich im Lichtgewitter eines Prä-Disco-Funks, den er "Brown Eyed Blues" nennt.
Geistige Offenheit
Irgendwann besucht er Cat Stevens in dessen Terrain ("Amen Omen"), um kurz darauf umso härter in Richtung Metal zu rocken ("So High So Low"). Verwirrend? Nicht, wenn man sich von Harpers betörend heiserer Stimme durch das Album führen lässt und so ein gelungenes Stück zeitloser Popmusik genießt. "Es ist einfach meine geistige Offenheit, die so eine Musik entstehen lässt", vermutet Harper.
"Es ist nicht so, dass ich abzähle und sage, gut, wir haben einen Gospel-, einen Blues- und einen Rocksong auf der Platte, jetzt müssen noch eine Soul- und eine Country-Nummer her. Ich versuche, mit wachem Geist durch die Welt zu gehen, da kommt es von selbst, dass man in verschiedenen Stilen Songs schreibt. Sicher, es gab Leute, die hätten es gerne gehabt, dass ich immer und immer wieder 'Welcome To The Cruel World' mache. Tut mir Leid - aber wenn ich mich nicht weiterentwickle, verliere ich meine Inspiration."
Ein Mann - zwei Projekte
Die Gefahr, dass Harper seine Inspiration verliert, besteht wohl in nächster Zeit nicht - hört man die packende Vielfalt auf "Diamonds On The Inside". Im Gegenteil: Harpers Kreativität reicht offensichtlich sogar für zwei Projekte: Obwohl Juan Nelson (Bass), Leon Lewis Mobley (Percussion) und Oliver Charles (Drums) auch auf dem aktuellen Album mitspielen, unterscheidet Harper sehr genau zwischen Aktivitäten mit den genannten drei Musikern als "The Innocent Criminals" und solchen als Solist. "Man kann es einem Außenstehenden schlecht erklären", gibt Harper zu, "aber es fühlt sich für mich völlig anders an, ob ich mit den Jungs als Ben Harper musiziere, oder ob wir die 'Innocent Criminals' sind - ob live, im Studio oder schon beim Songschreiben. Es ist einfach so - du könntest es nur spüren, wenn du in meiner Haut stecken würdest."
Musik als Weg
Spüren, fühlen, empfinden - für Harper keine luftigen Worthülsen, die helfen, das Interview schnell und ohne konkrete Aussage hinter sich zu bringen, sondern das Fundament, auf dem seine Musik ruht. Harper erweckt den Eindruck, dass für ihn Musik weit mehr ist als sein Beruf - es ist sein Weg, das trifft es wohl am besten.
"Höhere Erkenntnisse"
"Musik ist etwas sehr spirituelles. Wenn du dich in sie versenkst, spürst du Dinge, die du im normalen Alltag nie wahrnehmen kannst. Schon als ich noch jung war, habe ich mich mit dem ewigen Herunternudeln alter Bluesnummern in eine Art Trance gespielt. Jetzt suche ich mit meinen Liedern so etwas wie tiefere Erkenntnisse - oder höhere, wie du willst."