Keane-Interview "Wir hatten einfach die Schnauze voll"

Mit ihrem neuen Album hat die britische Band Keane auf Anhieb die Spitze der Charts erklommen. stern.de sprach mit Sänger Tom Chaplin über Selbsttherapie und warum es eine Sensation ist, dass es die Gruppe noch gibt.

Mit dem Rock'n'Roll-Motto "Live fast, die young" haben die Briten Tom Chaplin, Richard Hughes und Tim Rice-Oxley nichts am Hut. Das Debütalbum ihrer Band Keane, "Hopes And Fears", polarisierte die Musikwelt: Für die einen war es großes sentimentales Kino – für andere weinerliche Popmusik. Auf ihrem Nachfolger "Under The Iron Sea" schlägt die Band andere Töne an: Keane überraschen mit düsteren, opulent arrangierten Songs. stern.de-Mitarbeiterin Yasmina Foudhaili traf Sänger Tom Chaplin in London.

Was ist aus der langweiligen, weinerlichen Popband geworden, für die Sie alle Welt gehalten hat?

Das festgefahrene Bild von den drei größten Langweilern der britischen Popmusik muss jetzt neu überdacht werden. Wir zeigen den Leuten, die besessen davon sind, schrecklich cool zu sein, was wir von ihnen halten. Wir klingen dynamischer, zum Teil düster, kein Stück weinerlich. Keane hört sich ab jetzt so an und entwickelt sich weiter in diese Richtung.

Im letzten Jahr war es um Keane schlecht bestellt. Sie sind ausgebrannt gewesen und die Band stand kurz vor dem Aus. Ihr neues Album wirkt erstaunlich kraftvoll.

Der Weg dorthin war beschwerlich, aber wir wollten ihn unbedingt gehen. Unser größtes Problem ist, dass wir nicht gut mit einander reden können, jedenfalls nicht, wenn es ein Problem gibt. Wir teilten nicht mehr die Dinge, die uns Spaß machten. Wir regeln das lieber über unsere Musik. Wir sind zwar sehr emotional und sensibel, aber wenn es darum geht, Probleme aus der Welt zu schaffen und Missverständnisse zu klären, dann versagen wir auf ganzer Länge. Wir haben versucht alles auszusitzen, aber das hat auch nicht funktioniert. Keane gab es letztes Jahr eigentlich gar nicht mehr.

Wie haben Sie sich wieder zusammen gerauft?

Wenn du über eine lange Zeit nicht mit deinen Freunden sprichst, stumpfst du ab. Statt dich zu ärgern und wütend zu sein, ist dir alles nur noch egal. Wir sind zusammen aufgewachsen und sehr eng befreundet, dass kann man nicht einfach aufgeben. Natürlich wollten wir es wieder zusammen versuchen, waren uns aber auch darüber im Klaren, dass wir miteinander reden müssen. Immerhin haben wir es alleine wieder hinbekommen und brauchten nicht wie Metallica einen Therapeuten im Studio.

Auf "The Frog Prince" rechnen Sie mit den Bands ab, die Ihnen nicht so wohl gesonnen sind.

Wir hatten einfach die Schnauze voll. Tim und ich saßen im Tourbus und blätterten durch Magazine und entdeckten so ein Interview mit einem Typen, der sich gewaltig über uns aufregte und uns für einen Haufen Weicheier hielt.

Warum regt Sie das immer noch so auf?

Meiner Meinung nach sind alle Jungs in Bands teil einer Brüderschaft. Selbst Legenden wie Paul McCartney gehören dazu. Im Grunde saßen wir alle im selben Boot: Wie träumten davon Musik zu machen und davon zu leben. Und nur, weil ich keine engen Jeans trage und mit Drogengeschichten prahle, bin ich uncool? Das ist doch erbärmlich.

"Under The Iron Sea" klingt düsterer und wütender als das letzte Album.

Wir erzählen Geschichten über diese moderne Welt in der wir leben und die immer schwieriger wird. Das hört sich vielleicht hoch gestochen und arrogant an, aber wir fühlen uns ein bisschen wie das Sprachrohr unserer Generation.

Ein plötzlicher Sinneswechsel?

Viele junge Menschen empfinden diese Zeit als ungewiss. Kriege, Armut, Hungersnöte. Sie wollen etwas dagegen tun, aber wissen nicht was und wie sie damit umgehen sollen. "Is It Any Wonder", unsere erste Single, greift dieses wütende Gefühl auf. Du weißt, was dir nicht passt, aber du weißt ebenso wenig, wie du es ändern kannst. Das Gefühl frisst uns alle auf.

Und wie kommen wir aus dem Elend wieder raus?

Vielleicht können wir die Frage an Bono weitergeben. Ich kriege gerade mal mein Leben einigermaßen hin … Vielleicht war die Idee mit dem Sprachrohr wirklich weit hergeholt.

Worin unterscheidet sich "Under The Iron Sea" musikalisch vom Vorgänger?

Der Ansatz war ein ganz anderer. Diesmal hatten wir nur ein Gefühl im Bauch, das raus musste. Wir wussten nicht, in welche Richtung sich das Album entwickelt, sondern haben einfach gespannt abgewartet. Bei unserem Debütalbum wussten wir genau, wie sich welcher Song anhören muss und wie das Album im Ganzen wirken sollte. Wir hatten es im Geiste schon aufgenommen und abgemischt. Das war bei "Under The Iron Sea" anders. Wir hatten Songs, aber die mussten noch mit Leben gefüllt werden. Wir haben einfach alles ausprobiert.

Dann war es reiner Zufall, dass das Album eine düstere Note bekommen hat?

Diese Stimmung steckte einfach in uns. Wir hätten zu der Zeit unmöglich ein unbeschwertes Popalbum aufnehmen können, dafür sind unsere Songs zu autobiografisch.

Tim Rice-Oxley schreibt die Songs, Sie singen sie. Klappt das immer gut?

Wir sind in der gleichen Gegend aufgewachsen und wurden von denselben Bands beeinflusst. Wir denken und fühlen sehr ähnlich. Natürlich schreibt Tim alle Songs, aber Richard und ich sind daran beteiligt. Tims Job in der Band ist es darüber zu schreiben, wie wir uns insgesamt fühlen. Was uns wichtig ist, fließt in die Songs ein. Die Bands, die mich begeistern haben das genauso gemacht. Bands wie U2, The Beatles, The Smiths und Radiohead. Uns ist es ebenso wichtig glaubhaft mit dem zu sein, was wir machen. Ob du uncool aussiehst ist dann egal. Guck dir an wie Bono vor 20 Jahren aussah. Wenn du gute Musik machst, ist es unwichtig, wie beschissen deine Frisur ist.

Überrascht Sie Tim noch im Studio?

Zuletzt als er bei Eminem geklaut hat.

Bei Eminem?

Es gibt keine HipHop-Beats oder Raps, aber auf "Nothing In My Way" wurde Tim von "Loose Yourself" von Eminem inspiriert. Die Songs sind sich sehr ähnlich. Ich bin mir sogar sicher, dass man „Loose Yourself“ über unseren Refrain singen kann. Vielleicht hätte ich das nicht sagen sollen, andererseits glaube ich nicht, dass sich Eminem für eine bleiche britische Popband interessiert. Aber Tim steckt voller Überraschungen. Auf einem Song hat er versucht, sein Keyboard nach Jimi Hendrix klingen zu lassen. Er ist besessen von dem perfekten Sound. Mittlerweile hat er sich jede Menge Effektgeräte zugelegt. Es tüftelt dann solange an den Akkorden, bis es richtig hart klang.

Warum legen Sie sich nicht einfach einen Gitaristen zu?

Weil wir dann mit dem Neuen sprechen müssen. Ich denke, dass es uns komplett überfordern würde (lacht).

Mit "Under The Iron Sea" haben Sie für einige Überraschungen gesorgt. Was kommt als nächstes?

Der ganze Wahnsinn beginnt von vorne: Interviews, Auftritte, Tourneen, lange Telefonate mit der Familie und der Freundin. Nur einen Unterschied gibt es dieses Mal: Es geht uns um unsere Musik, nicht um unser Ego. Wir wissen, wie man alles falsch macht, und können es jetzt richtig angehen. Wir wollen wieder bei Null anfangen. Es wird schwierig die Platte auf der Bühne gut umzusetzen, aber dieser Herausforderung stellen wir uns. Und der, mehr aufeinander zu hören.

Interview: Yasmina Foudhaili

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