Es geht mit Madonnas Rücken los. Knapp über dem Steißbein stehen die zwei Worte "Pussy Riot" und bewegen sich, Madonna atmet. Dann zieht sich Madonna eine Skimaske an, so wie die beiden Mädchen von Pussy Riot sie tragen, dreht sich um und singt "Like a Virgin". Madonnas Konzert eröffnet "Pussy vs. Putin", einen Dokumentarfilm über die derzeit berühmteste Mädchen-Punk-Band "Pussy Riot". Nadezhda Tolokonnikova und Maria Alyokhina haben ihn am vergangenen Sonntag mitgebracht, in eine Welt, die den Aktivistinnen in den zwei Jahren in russischen Gefängnissen vorgekommen muss wie der Mond: Sunset Boulevard/Ecke North Stanley Avenue, Los Angeles, Ortsteil Hollywood.
Vor zwei Wochen noch gaben die beiden Frauen, 23 und 25, Interviews in Deutschland, vor einigen Tagen trafen sie Hillary Clinton in Washington, nun sitzen sie – nachdem die Vorführung im kleinen Kino nebenan zu Ende gegangen ist – im Restaurant "Acabra", wo Roland Emmerich ein privates Dinner mit etwa 30 Gästen für sie gibt. Emmerich hatte schon in seinem Blockbuster-Film "Independence day" Aliens auf die Erde geholt – nun also die beiden Russinnen, die für diesen Hollywoodzirkel auch etwas, nun ja, exotisch sind. Zwei junge Frauen, maximal einer Make-Up Schicht. Eine trägt ein weißes T-Shirt. Die andere einen vergilbten Wollpullover. Heute Abend stehen hier zwei Gefängnisinsassinnen, denen es im Knast verboten war, sich zu waschen. Und deren Kontakt mit anderen Insassen mit der Bestrafung der anderen Insassen geahndet wurden. Das ist in Hollywood eher selten.
Neugier auf die fremden Wesen
In den Wochen davor hatte es Gerüchte gegeben: Angeblich stritten sich ein paar Studios und Regisseure darum, die Riot-Saga zu verfilmen. Nadja sprach von Angeboten "wie Star Wars" – aber ihr Englisch ist mehr als brüchig und so genau will sie es heute Abend gar nicht mehr wissen. Außerdem spricht nun, nach dem Lachs-Carpaccio, zunächst Roland Emmerich: "Ich finde es gut, dass sie sich gegen einen Diktator aussprechen", sagt er. Und hat einen Tipp, falls das Pussy-Riot-Leben wahrhaftig hier verfilmt werden sollte: "Sie sollten sich selbst möglichst darin involvieren und nicht anderen die ihre Geschichte überlassen."
Am Tisch schwärmt derweil Jaka Bizilij, Gründer und Chairmen der "Cinema for Peace" Organisation. Er ist seit Wochen mit den Frauen unterwegs und unterstützt sie vor allem bei der Gründung einer Organisation namens "Law Zone", die politisch Verfolgten in Gefängnissen weltweit helfen soll. Bizilij berichtet von Erfolgen an der Ostküste. "Wie waren gestern bei Tina Brown, die hat ordentlich gespendet, Uma Thurman war da, Hillary Clinton hat über uns getwittert. Das alles ist extrem hilfreich."
Und die Neugier auf die fremden Wesen ist auch hier zu spüren: Die "Boys dont cry"-Regisseurin Kimberly Peirce kann sich von Nadja kaum loseisen. Und Jeff Goldblum wird auf ein Selfie mit Pussy Riot nicht verzichten. Es ist an Nadja und Maria, den Small Talk zu unterbrechen: "In Russland muss man rauchen", erklären sie den überraschten Gesprächspartnern. Draußen unterm Heizpilz entzünden sie die Marke "Parliament" – und entspannen.
Geschichten wie aus dem Gulag
Nach dem Hauptgang liest Nadja dann vor der versammelten Dinner-Gemeinde ihre Briefe aus dem Knast vor, die Geschichten klingen wie aus dem Gulag und Madja muss zwischendrin aufhören – das liegt nicht nur am Englisch, sondern auch daran, dass sie die Gefängniswelt offensichtlich keineswegs hinter sich lassen konnte. Das gefällt Bill Maher, dem Harald Schmidt Amerikas, der die beiden Mädchen für später in seine Show eingeladen hat – auf seinem Gesicht zeichnet sich so etwas wie Ehrfurcht ab. "Ihr seid beide Rock'n'Roller. Und selbst wenn ihr es nicht schafft, Putin zu stürzen, ist eure Karriere auf dem Weg nach oben!" Maher haut mit der Faust ein paarmal auf den Tisch und verfällt in einen "Fuck Putin"-Gesang, in den seine Tischnachbarn einstimmen. Erste Lektion Hollywood: Man kann sehr schnell nur noch dazu da sein, die Performance des Gegenübers größer zu machen.
Najda muss trotzdem lachen. Ihr typisches Sphinx-Lachen, nicht glucksend, eher leise. Und am Ende geht der Abend gut aus für die geplante Gefangenen-Organisation – Amerika liebt Menschen, die irgendwie mitdenken und andere einbeziehen. Roland Emmerich greift tief in die Tasche, an den Nebentischen kommt nochmal eine erkleckliche Summe zusammen, die laut Jaka Bizilij "für die Sicherheit der beiden Mädchen" ausgegeben werden. Jemand schüttete Nadja neulich jemand bei MacDonalds in Moskau ein Getränk ins Gesicht und drohte sie zu verprügeln.
"Niemand muss uns fragen"
Dort, im eigenen Land, haben Pussy Riot mehr zu kämpfen als hier in den USA: Das Gesamtkollektiv Pussy Riot verabschiedete sich neulich von Nadja und Maria, weil beiden mit Madonna in New York aufgetreten waren. Nadja und Maria würden gegen alle Regeln verstoßen, die es als Untergrund-Bewegung zu beachten gäbe. Aber was sollen die beiden machen? In Hollywood kann man ohne Personenkult keinen Kaugummi verkaufen, geschweige denn eine Organisation gründen, die in Zukunft Anwälte und Psychologen brauchen wird.
Doch Nadja und Maria interessiert es beim Dessert gar nicht mal, ob sie in "Star Wars" zu sehen sind, als Kommerzrevoluzzer gelten könnten – oder jemand ihren Filmstoff klaut. "Niemand muss uns fragen, ob er einen Film über uns machen darf. Jeder soll sich die Geschichte nehmen. Es ist nicht unsere. Es ist die von unserem kaputten Land." Es ist der Wunsch nach dessen Reparatur, der Pussy Riot antreibt.