Die Beatles, Timothée Chalamet, Harry Styles, BTS und Taylor Swift haben eines gemeinsam. Ihre Fangemeinde machen vor allem Mädchen und junge Frauen aus. Sie kaufen Platten, stürmen die Kinos, streamen und bestellen Fan-Artikel, bis auch die letzte Special-Edition vergriffen ist. Sie erstellen Fanaccounts, laden selbst geschnittene Videos ihrer Idole auf Social Media hoch, campen tagelang vor Konzerthallen oder Kinos. Mit anderen Worten: Die Mädels machen die Kassen voll. Und trotzdem wird niemand so belächelt wie die "Fangirls".
Wenn ich mein Harry-Styles-Love-on-Tour-Shirt anziehe, verdreht man die Augen, wenn mein Mitbewohner sein HSV-Trikot trägt, tut das niemand. (Auch wenn er es verdient hätte, weil St. Pauli objektiv die bessere Wahl wäre.) Warum darf er schreiend vor dem Fernseher stehen und ist damit für die Außenwelt ein leidenschaftlicher Fußballfan, ich aber werde von derselben als verrückt abgestempelt, wenn ich beim Olivia-Rodrigo-Konzert mitkreische? Reine Frauenfeindlichkeit. Die Männer werden ernst genommen, die Frauen mal wieder nicht. Erst kürzlich ging ein Clip auf TikTok viral, in dem zwei Männer ernsthaft die Frage stellten, ob Frauen überhaupt Hobbys haben. Ihr Fazit: Nein. Stereotypisch weibliche Interessen wie Malen oder Lesen zählen für sie nämlich nicht. Aber auch Frauen, ich inbegriffen, müssen erst einmal lernen, die internalisierte Misogynie abzulegen. Die eigenen Leidenschaften müssen nämlich einzig und allein einem selbst gefallen und für niemand anderen cool sein. Schon gar nicht für Männer.
Angefangen hat alles mit der Beatlemania. Die erste Boyband wusste ganz genau, wie sie die Frauenherzen erobern konnte. Und was hat es den Mitgliedern gebracht? Chart-Rekorde, Weltruhm und den wohl ewigen Platz als wichtigste Band aller Zeiten. Damals wurden die Mädchen, die bei den Konzerten reihenweise in Ohnmacht fielen, als hysterisch abgestempelt. Heute zahlt ein Boomer-Herbert bei der Sammler-Plattform Discogs 2224,99 Euro für ein White Album von 1968. Er ist dann passionierter Sammler, ein Musikkenner.
Taylor Swift und ihre Fans haben auch die Politik im Griff
Wie mächtig Fans sein können, zeigt sich am Beispiel von Taylor Swift, deren meist weibliche Anhängerinnen sich selbst als "Swifties" bezeichnen. In den USA sind diese Swifties so zahlreich, dass Taylor Swift nach Donald Trump und Joe Biden an dritter Stelle auf der Liste der Wunschkandidaten für das Weiße Haus thront. Und als Kanada, Thailand und Chile keine Konzerttermine für die Eras Tour bekamen und die Fans sich beschwerten, schalteten sich kurzerhand die Politiker ein. So twitterte Kanadas Premierminister Justin Trudeau mit Anleihen aus gleich drei Swift-Songs: "It’s me, hi. I know places in Canada would love to have you. So, don’t make it another cruel summer. We hope to see you soon.” Und Pita Limjaroenrat, demokratischer Hoffnungsträger Thailands, bittet Taylor Swift ebenfalls inständig um Konzerte.
Junge Frauen sind die wohl loyalsten und hingebungsvollsten Fans, die man sich nur wünschen kann. Sie haben einen Zac Efron oder Robert Pattinson von heute auf morgen in übermenschliche Ruhm-Sphären katapultiert. Sie kaufen, ohne mit der Wimper zu zucken, neue alte Taylor-Swift-Alben, weil sie entschieden hat, diese nochmal aufzunehmen. Die Schmuddel-Romanzen-Schriftstellerin Colleen Hoover machten sie mit geballter Frauenpower zur internationalen Bestsellerautorin. Und auch wenn die Chancen auf eine Wiedervereinigung der Band minimal sind, bleiben die One-Direction-Fans loyal und suchen in jedem Social-Media-Post, jedem Interview und jeder Interaktion der alten Bandmitglieder Hinweise auf eine mögliche Zusammenarbeit. Die Emotion, die bei allem im Vordergrund steht, ist am Ende die pure Freude an der Fangemeinschaft.
Warum sollte man diese Freunde kleinreden? Sie sogar als peinlich abstempeln, nur weil es Mädchen sind, die diese Freude empfinden? Es tut mir leid für alle, die nicht kreischen, weil sie kein "Fangirl" sein wollen und denen ihre Interessen peinlich sind. Meinen Mitbewohner begleite ich nächstes Jahr übrigens ins HSV-Stadion. Wir werden in der Front Row für Taylor Swift stehen und uns die Seele aus dem Leib brüllen.