Musiker und X-Factor-Juror im Interview Till Brönner zum Teil-Lockdown: "Kenne kein Konzert, bei dem es zu einem Corona-Ausbruch kam"

Till Brönner zum Lockdown: "Kenne kein Konzert, nachdem es zu einem Corona-Ausbruch kam"
Till Brönner zum Lockdown: "Kenne kein Konzert, nachdem es zu einem Corona-Ausbruch kam"
Sehen Sie im Video: Till Brönner zum Lockdown light: "Kenne kein Konzert, bei dem es zu einem Corona-Ausbruch kam"


„Mein Name ist Till Brönner. Ich bin 49 Jahre alt und ich bin Musiker und Fotograf. So was wie heute habe ich noch nie gemacht. Muss daran liegen, dass ich ziemlich sauer bin.“
So beginnt das Facebook Video des prominenten Musikers Till Brönner und löst eine Lawine im Netz aus. Tausende Kommentare, Zehntausende Abrufe: In dem Clip fordert der Trompeter und frühere X-Factor Juror andere Kulturschaffende auf, sich für ihren Beruf in der Coruña-Zeit einzusetzen. Im Interview mit dem stern erzählt Brönner, wie er die gegenwärtige Politik wahrnimmt.
Herr Brönner, Sie haben auf Facebook den Umgang der Politik mit Kulturschaffenden hart kritisiert. Was ärgert Sie am meisten?
„Ich habe in meinem Post meine ganz persönliche Beobachtung seit Februar verfasst. Ich hätte nicht gedacht, dass die Reaktionen auf diesen Post so immens sein würden. Und mir ist aufgefallen, dass relativ vollmundig Gelder, Hilfsgelder, die auch nötig sind für diese Branche aktuell nicht abgerufen werden können. Für eine Branche, die ja vor Corona kein Problem hatte und auch nach Corona keins mehr haben wird. Und mit diesen Hilfsgeldern brüstet sich die Politik ein kleines bisschen zu viel, finde ich, wenn ich sehe, was um uns Künstler herum passiert. Ich komme sicherlich durch die Krise. Mir geht es gut. Aber ich habe ein riesiges Team von Leuten, es gibt Firmen etc. Und der wichtigste Punkt: Wir sind ein Wirtschaftszweig, der unter den Top 5 in Deutschland ist. Und das wird bei der Diskussion in der Politik unter den Tisch gekehrt. Das ist meine Kritik, die aber nicht ohne eigene Kritik auskommt.
Sie haben den Post vor den beschlossenen Regierungsmaßnahmen veröffentlicht. Wie beurteilen Sie den neuen Lock-Down?
Ich bin kein Experte und schon gar kein Virologe. Ich bin Musiker und Künstler. Wenn es weltweit nötig ist, alle Kultureinrichtungen zu schließen, dann gibt es dafür bestimmt gute Gründe. Allerdings scheinen diese Gründe im Dunkeln zu bleiben. Mir ist kein einziges Konzert in Deutschland bekannt, nachdem ein großer Corona Ausbruch zu verzeichnen war. Und ich sage mal ganz blöd: Wenn eine gesamte Branche, 1,5 Millionen Menschen, dazu gezwungen wird, zum Schutz der Allgemeinheit seinen Beruf ein gutes Jahr niederzulegen, dann ist es doch eigentlich ein Zeichen der Solidarität, dass die Allgemeinheit dafür sorgt, dass diese Branche nach Corona auch noch da ist. Vielleicht habe ich aber auch etwas übersehen.
Was bedeutet der kulturelle Stillstand für Deutschland?
Als Künstler, der viel unterwegs ist, stelle ich fest, mit welch großem Respekt uns überall begegnet wird. Wenn Sie in Japan Konzerte geben, kommen Menschen auf Sie zu und singen Ihnen deutsche Volkslieder vor, weil das einfach sehr, sehr populär ist. Man hat nicht zuletzt wegen unserem großen kulturellen Erbe in allen Bereichen der Kunst Hochachtung vor uns. Es kann nicht sein, dass wir bei einer großen wirtschaftlichen Last, die die Szene ja nun auch verzeichnet, unser Erbe, unseren Ruf aufs Spiel setzen. Noch dazu glaube ich, dass es wirtschaftlich fatal ist für uns. Insofern: Warum nicht einer Branche jetzt über diese Krise hinweghelfen? Danach geht es denen auch ohne den Staat wieder gut.
Was glauben Sie, was passieren wird, wenn sich politisch nichts verändert?
Es ist schwierig, Prognosen abzugeben, wenn Politiker das nicht können. Wie sollen Künstler das? Aber unsere Aufgabe als Künstler ist es, Dinge zur Diskussion zu stellen, Thesen aufzustellen. Wir sind ja keine gewählten Volksvertreter, sondern wir wissen, was Kultur und der Austausch bedeuteten, Dinge für möglich zu halten. Dinge, die ungewöhnlich sind, zusammenzuführen und auf der Bühne einen Diskurs und Neugierde zu verbreiten, um am Ende doch hoffentlich mit einem Konsens von der Bühne zu gehen. Das sind wir Musiker gewohnt. Und nicht umsonst ist es ja so, dass bei allen großen offiziellen Staatsreisen, ohne dass man es mitbekommt, abseits der Menschen, die sich die Hand vor Kameras schütteln, sich natürlich auch Delegationen treffen. Und auch die Kultur trifft sich dort, damit Länder sich besser verstehen. Frau Merkel, die 2018 gesagt hat: Wir müssen jedes Land vor allen Dingen an den kulturellen Errungenschaften messen, wenn wir die Frage stellen, wie zukunftsorientiert es ist. Das ist doch ein Satz, der kommt von Frau Merkel, von der alle wissen, dass sie eine große Kultur-Anhängerin ist.
Und trotzdem hat auch Frau Merkel entschlossen, dass die Kulturszene erst einmal zurücktreten soll. Was müssen Kulturschaffende tun, um politisch mehr Gehör zu finden?
Ich habe das ja mal ein Post, der sehr viral gegangen ist, gesagt: Ich glaube, dass Künstler schon zur Kenntnis nehmen müssen, dass sie dazu neigen, sich eben nicht so gut zu organisieren. Der Künstler ist eigentlich eher ein Individualist, und fürs Kollektiv eignet er sich von Hause aus nicht besonders. Aber besondere Maßnahmen sind eben nötig in besonderen Situationen. Und deswegen muss die Frage gestellt werden, warum gerade nicht noch mehr prominente Künstler sich für diese wirklich große Branche einsetzen. Denn prominente Gesichter sind das Tor zum Gehör.
Und warum ist Kultur in der Krise wichtig?
In der Antike wurden Menschen, die krank waren, tatsächlich von Ärzten in die Nähe von Kultur gesetzt. Man hat Kultur und Musik als Staatsmedizin verordnet. Das kann heute nicht falsch sein, ganz im Gegenteil. Was Kultur vermag, das ist im therapeutischen Bereich. Das ist wirklich Medizin. Sie machen ja auch keine Apotheke zu. Warum machen Sie ein Konzerthaus zu? Ich wage diesen Vergleich, denn ich bin Künstler und darf mir das leisten.
Und was fordern Sie von der Politik?
Ich fordere von der Politik, dass sie die Gelder, die sie tatsächlich abgestellt hat, zugänglich macht. Und ganz pragmatisch: Ich habe das ja vernommen. Es ist einfach für einen Solo-Selbstständigen lebens- und berufsfremd, wenn der Verdienst aus dem November 2019 hergenommen wird, um in 2020 Linderung zu schaffen. Alles, was gerade unternommen wird, ist gedanklich gut. Aber wir sollten sehr vorsichtig sein mit Begriffen wie „schneller bürokratischer Hilfe“ oder „klotzen statt kleckern“. Weil die Hilfe gerade nicht ankommt. Ich denke, es gibt die Chance, dass sie da ankommt, wo sie ankommen soll. Aber Künstler müssen das jetzt einfordern.
Till Brönner hat mit einem Video auf Facebook auf die Krise in der Kulturszene aufmerksam gemacht – und vielen Kultuschaffenden aus dem Herz gesprochen. Wegen der Corona-Maßnahmen erleidet sie harte Verluste. Im stern-Gespräch äußert er sich zum bevorstehenden neuen Lockdown.

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