"Anne Will" Krieg in der Ukraine: Endlich weg mit dem Putin-Kitsch

  • von Andrea Zschocher
Talk-Runde "Anne Will"
"Putin führt Krieg in Europa – wie ist er zu stoppen?" – das diskutierte die Runde am Sonntagabend bei Anne Will.
© NDR/ Wolfgang Borrs
Die drängende Frage wie Putin gestoppt werden kann, wurde bei "Anne Will" nicht beantwortet. Es ging vor allem um Sprachlosigkeit und darum Maßnahmen finden.

Die übergeordnete Frage bei "Anne Will" war die nach Möglichkeiten, wie der Krieg in der Ukraine beendet werden kann. "Putin führt Krieg in Europa – wie ist er zu stoppen?", damit wurde die Sendung angeteasert, auf die Frage selbst kam sie erst ganz am Ende zu sprechen. Und eine Antwort darauf gibt es, bei aller Sorge, momentan aber nicht.

Zu Gast bei "Anne Will" waren:

  • Ljudmyla Melnyk, Ukrainerin, Projektleiterin und Wissenschaftlerin am Institut für europäische Politik
  • Kristina Dunz, Stellvertretende Leiterin der Hauptstadtredaktion des Redaktionsnetzwerks Deutschland
  • Christian Lindner (FDP), Bundesminister für Finanzen
  • Norbert Röttgen (CDU), Mitglied im Auswärtigen Ausschuss
  • Karl Schlögel, Historiker und Osteuropa-Experte
  • Für ein Gespräch zugeschalten: Egils Levits, Präsident von Lettland  

"Ich sehe nicht in die Zukunft, meine Devise lautet, auf alles gefasst zu sein", kommentierte der Historiker Karl Schlögel die aktuellen Entwicklungen. Wenige Sätze später offenbarte der 73- Jährige dann seine eigene Fassungslosigkeit. "Ich möchte wissen, wer darauf gefasst ist", gab er zu und sagte weiter,: "Ich hätte mir vor einer Woche nicht ausmalen können, dass er [Putin] das tun würde." Niemand von uns konnte das wohl, weswegen der Schock tief sitzt und mitunter lähmt.  "Eigentlich sollten wir nicht hier sitzen", mahnte Schlögel uns, wir sollten vor Ort sein und helfen, so wie Generationen vor uns das während des Spanischen Bürgerkrieges es getan hätten.

Nachkriegsfriedensverwöhnte Generation

Wir, die wir in diesen Zeiten aufwachsen seien eine "Nachkriegsfriedensverwöhnte Generation" und für uns sei "Krieg eine Fernsehangelegenheit". Das stimmt für die Allermeisten natürlich, aber ist das wirklich ein schlechter Umstand? Wir alle wollen Frieden, die aktuelle Bedrohung überfordert viele und nur die allerwenigsten werden in die Ukraine reisen, um in diesem Krieg vor Ort zu unterstützen. Helfen hat in diesen Tagen viele Gesichter, von Demonstrationen über Spenden bis zur Unterstützung vor Ort. Und jedes dieser Angebote ist wertvoll und hilft gegen die Ohnmacht, die viele in diesen Stunden spüren.

Der Osteuropa-Experte, den diese für alle nicht leichten Zeit sichtlich bewegten, war nur über eine Sache froh. Endlich sei der "unglaubliche Putin- Kitsch, der Russen-Kitsch" weg und "die Zeiten vorbei", in denen PolitikerInnen wie Sahra Wagenknecht oder Gregor Gysi in Talkshows wie auch der von Anne Will sich für Putin aussprechen konnten. Für Karl Schlögel sei das, ebenso wie die "Wahrheit, dass die Bunderwehr gar nicht richtig handlungsfähig ist" ein wichtiger Moment.

SWIFT- Sanktionen und deutscher Egoismus

Die Handlungsfähigkeit soll mit dem gerade geschlossenen 100 Milliarden schweren Sondervermögen für die Bundeswehr natürlich wieder hergestellt werden. Wie schnell solche Summen dann zur Verfügung gestellt werden können, war nicht Thema in der Sendung, Finanzminister Christian Linder versuchte stattdessen lieber um Verständnis zu werben, wieso es zum Wandel in Bezug auf die SWIFT- Sanktionen kam.

Eine "technische Frage" nannte er es und wollte "dem Eindruck entgegentreten, Deutschland sei außenpolitisch isoliert". Alle Entscheidungen geschähen im Austausch mit anderen. Gleichzeitig ließ Lindner durchblicken, dass weiterhin "einzelne Transaktionen" die die Versorgung Deutschlands sichern, möglich sind. "Deutscher Egoismus" sei das nicht, aber wir sollten uns schon Gedanken machen, wie wir uns aus mittelbaren Abhängigkeit Russlands befreien können, so Linder. "Erneuerbare Energien aus anderen Weltregionen", regionale Energien und auch die eigene energiepolitischen Entscheidungen in Bezug auf den Kohleausstieg müssten geprüft werden.

Das wird die Ukraine nicht retten

"Das alles wird die Ukraine nicht retten", warf die Ukrainerin Ljudmyla Melnyk ein. Sie wollte über konkrete Maßnahmen sprechen, vor allem über eine Flugverbotszone. Die konnte in der Sendung natürlich niemand zusichern. Norbert Röttgen sah, entgegen zu seinen Äußerungen letzte Woche bei Anne Will, die Waffenlieferung nun als elementar wichtig an. Er "bewundere die Einigkeit und den Heldenmut jedes einzelnen Ukrainers und jeder Ukrainerin". Das ist gut, aber das allein hilft den Menschen vor Ort nicht. Er empfahl "Russland komplett aus SWISS [er meinte SWIFT, versprach sich aber mehrfach] rausschmeißen". Röttgen sagte aber auch: Wir führen nicht selbst Krieg."

Weitere Themenpunkte:

  • Der Präsident von Lettland, Egils Levits sagte, er bewundere, wie schnell sich Deutschland an die Wirklichkeit angepasst hat und nun doch Waffen liefere. Er ist überzeugt, dass nur entschlossenes Handeln Putins Krieg etwas entgegensetzen kann und empfiehlt starke Wirtschaftssanktionen und sofortige militärische Ausrüstung der Ukraine.  
  • Auch Ljudmyla Melnyk berichtete, dass die UkrainerInnen es als ein "sehr positives Zeichen" werten, dass Deutschland nun Waffen liefert. Aber das reiche nicht, der Himmel über der Ukraine muss geschützt werden. "Eine atomare Katastrophe kennt keine Grenzen" sagte Melnyk und erinnerte daran, dass auch die Ukraine atomare Ziele hat, die für Putin interessant sein können.
  • Panne: Im Einspieler wurde ein Video von Wladimir Klitschko gezeigt, der die Länder um Unterstützung bat. In der Bauchbinde stand: Wladimir Klistschko, Bürgermeister von Kiew. Das stimmt nicht, der Bürgermeister von Kiew ist Wladimirs Bruder Vitali.
  • Panne die Zweite: Anne Will behauptete, Lettland grenze an die Ukraine. Auch das stimmt nicht.

Die größten Überraschungspunkte für Putin seien laut Egils Levits der geschlossene Widerstand der Ukraine und die Einigkeit des Westens. Historiker Karl Schlögel war "irritiert über die Ruhe und Gelassenheit der Diskussion", er könne dem nicht folgen, sagte er. Denn "Putin braucht keine Vorwände, er handelt." Das sei 2014 schon so gewesen. Journalistin Kristina Dunz sprach deswegen aus, was viele dachten: Der chinesische Präsident Xi Jinping sollte Verhandlungen mit Putin führen, er könnte der einzige sein, der diesen Krieg beendet.

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