Manch eine Sendung braucht nur ein Überthema, keine wirkliche Fragestellung. Denn es ist ja traditionell so, dass an den Wahlsonntagen verschiedener Bundesländer in den Talkshows die Ergebnisse besprochen werden. Da feiern die einen ihren Sieg und die anderen versuchen, die Niederlage möglichst galant zu umschreiben. So erwartbar wie dieser Tanz der PolitikerInnen war auch das Thema der Sendung: "Anne Will nach den Wahlen in Bayern und Hessen".
Zu Gast bei "Anne Will" waren:
- Saskia Esken (SPD), Parteivorsitzende
- Karin Prien (CDU), Stellv. Bundesvorsitzende und Bildungsministerin in Schleswig-Holstein
- Nicole Deitelhoff, Politikwissenschaftlerin und Sprecherin Forschungsinstitut Gesellschaftlicher Zusammenhalt
- Cem Özdemir (Bündnis 90/Die Grünen), Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft
- Robin Alexander, Stellvertretender Chefredakteur der "Welt"
Dass "die rechten Kräfte stärker geworden" sind, wie Nicole Deitelhoff es ausdrückte, wollte Robin Alexander zu Beginn der Talkrunde nicht ganz hinnehmen. Denn "auch die AfD ist demokratisch gewählt". In Teilen sei sie rechtsextrem, aber eben auch demokratisch und auf die Partei von oben herabzuschauen, sei kein kluger Schachzug. Es sei doch erkennbar, wofür die Partei in Teilen stehe, dennoch hätten sich die Wählenden dazu entschlossen, ihre Stimme dieser Partei zu geben. Da immer über Rechtsextremismus zu sprechen, sei nicht förderlich.
"Anne Will": Diskussion um die AfD und ob diese eine demokratische Partei sei
Saskia Esken wies diesen Einwurf entschieden zurück. "Die AfD mag demokratisch gewählt worden sein, [sie] ist aber keine demokratische Partei." "Aber das hilft doch alles nichts", entgegnete Alexander, der es im Gesamtkontext weniger aussagekräftig fand, dass Esken daran erinnerte, dass die AfD "einfache Lösungen für komplexe Fragen" anbieten würde, während die Ampel-Koalition nur komplexe Antworten hätte. Die SPD-Politikerin warb für die Erfolge der Koalition, zitierte mehrfach die Bertelsmann-Stiftung, die gerade eine positive Halbzeitbilanz gezogen hätte. Allein, es hat der Wahl nicht wirklich geholfen.
Alle Ampel-Parteien wurden in der Hessen- und in der Bayern-Wahl abgestraft. "Ich will nicht drumrum reden", gab Cem Özdemir zu, die Wahlergebnisse hätten in erster Linie mit der Bundespolitik zu tun, nicht mit der Landespolitik. Aber nach diesem kurzen Moment der Einsicht folgte sofort eine Attacke auf Markus Söder. "Der Mann ist so frei von Demut", schalt ihn der Grünen-Politiker und mahnte, dass der bayrische Ministerpräsident sich nicht nur seiner Macht, sondern auch seiner Verantwortung mehr bewusst werden müsse.
Immerhin hatte Söder im Wahlkampf den Grünen unterstellt, sie würden nicht nach Bayern passen. Es ist die erwartbarere Reaktion der PolitikerInnen, die in den Nachwahltalksendungen sitzen und ihre Partei vertreten müssen. Ein bisschen Eingeständnis, viel Ausholen und auf den anderen zeigen. Hilfreich ist das eigentlich nicht.
Aber Özdemir mahnte auch bei aller Kritik an den Grünen oder auch an Söder: "Nichts rechtfertigt, die AfD zu wählen." Das Ziel kann also von allen Parteien jetzt nur sein, die Wählenden wieder für sich zu gewinnen und von der AfD zurückzuholen. Über weite Teile der Talkshow ging es dann darum, welche Partei nun im Wahlkampf welche gegnerische Partei auf welche Art angegangen und brüskiert hatte. Am Ende wurde deutlich: Genau darin liegt das Problem.
Denn wenn zwei sich streiten, dann freut sich der dritte. In dem Fall die AfD. Denn wenn SPD, Union, Grüne und FDP den Wählenden vor allem zeigen, was die jeweiligen anderen Parteien alles nicht können, ist am Ende niemandem geholfen.
Cem Özdemir sprach sich für einen Wahlkampf aus, der sich "an Spielregeln hält, dem anderen die Würde nicht abspricht", woraufhin Karin Prien daran erinnerte, dass es sie treffen würde, wenn behauptet wird, die CDU rücke nach rechts. Am Ende kam, was schon so oft kam: Die Erkenntnis, es ab sofort anders zu machen, besser.
Hamas-Angriff auf Israel ist das bestimmende Thema
Fraglich, ob den Versprechungen in der Talkshow wirklich Taten folgen, dabei wäre es dringend angeraten. Denn die Herausforderungen unserer Zeit, von Migration über das Erstarken von rechts bis hin zur Veränderungsmüdigkeit, sind zahlreich.
Aktuell ist der Hamas-Angriff auf Israel das bestimmende Thema, auch bei "Anne Will" war dieser im zweiten Teil der Sendung im Fokus. Cem Özdemir erinnerte mehrfach an die Staatsräson und verurteilte die pro-palästinensischen Feiern in Berlin Neukölln scharf. Er erinnerte daran, dass, wer Bürger dieses Landes werden will, auch die Staatsräson übernehmen muss. Wer dem nicht folgt, der kann nicht in Deutschland leben. Diese Erinnerung ist, in Zusammenhang mit Migration und einer friedvollen Demokratie, eine wichtige.
Weitere Themenpunkte:
- Staaten verraten: Cem Özdemir erinnerte u.a. an Armenien und Aserbaidschan und mahnte, dass wir „immer noch den Fehler“ machen, "Staaten [zu] verraten". Er wollte verstanden wissen: "Liberale Demokratien sind keine Softies". Nicole Deitelhoff setzte dem entgegen, dass wir schon sehr stark beansprucht sind, und deswegen leider zwangsläufig manche Konflikte nicht vollumfänglich von deutscher Seite aus mitgedacht werden
- Was können wir leisten: Deitelhoff warf die Frage auf: Wofür können wir was aufbringen? Mit den aktuellen Krisenherden entstehen neue Verpflichtungen, ergeben sich zwangsweise neue Handlungsstrategien. Momentan sei es aber teilweise so, dass Deutschland seine Handlungsmöglichkeiten auch überschätzen würde. Bündnisse schmieden und aktiv nutzen, könnte ein Weg sein.
Gegen die Zukunftsangst und Müd-, vielleicht sogar Mutlosigkeit mancher BürgerInnen konnte dieser Talk wenig ausrichten. Klar sollte sein, dass Parteien wie die AfD mit ihren einfachen Antworten keine wirklichen Lösungen für diese komplexen Themen und Herausforderungen haben.
Die vielen Streitereien und Kommunikationsfehler der Ampel-Regierung sind sicherlich nicht hilfreich. Es braucht, wie es in der Sendung auch anklang, ein besseres Miteinander der Mitte, damit nicht noch mehr Menschen nach rechts abwandern, sondern im Gegenteil, den Rückweg von dort finden. Und das gelingt nur, wenn die komplexen Zusammenhänge und Lösungen so präsentiert werden, dass wir alle sie gut mittragen können und sich niemand abgehängt, weggedrängt oder komplett machtlos fühlt.