Spoilerfreie Review Vier Folgen "Die Ringe der Macht": Das macht Amazons "Herr der Ringe" richtig – und das nicht

Galadriel
Powerfrau Galadriel: Stört es wirklich so sehr, wenn mal eine Frau eine starke Rolle bekommt?
© Amazon Studios
Amazon hat sich mit "Die Ringe der Macht" eine echte Mammutaufgabe aufgehalst – und wollte eine Serie erschaffen, die den weltberühmten Filmen das Wasser reichen kann. Das ist bisher gescheitert – macht die Serie aber nicht schlecht.

Viel schwerer hätte es sich Amazon nicht machen können. Die "Herr der Ringe"-Adaption "Die Ringe der Macht" folgt viele Jahre nach dem beinahe einzigartigen Erfolg der Filmtrilogie von Meisterregisseur Peter Jackson, startete fast zeitgleich mit einer Quasi-Fortsetzung von "Game of Thrones" und trifft auf eine der härtesten Fangemeinden der Welt. Die Chancen, dass "Die Ringe der Macht" sofort einschlägt wie ein Zwergenhammer, standen ohnehin relativ schlecht. Doch ist die ständige Kritik an der Serie berechtigt? Ist "Die Ringe der Macht" wirklich der hässliche Gollum unter den Tolkien-Verfilmungen? Ein Annäherungsversuch.

Es ist offiziell Halbzeit, als der Abspann der vierten Folge von "Die Ringe der Macht" über den Fernseher flimmert. Vier Mal rund eine Stunde "Herr der Ringe"-Feeling im Wohnzimmer, vier Mal eine Gelegenheit, sich ein Urteil über die Serie zu bilden. Es fällt schwer. Das liegt aber nicht daran, dass das Internet der Serie voller Hass und Häme gegenübertritt – dazu später mehr – sondern weil es schwer ist, die Serie überhaupt unvoreingenommen zu bewerten.

Die "Herr der Ringe"-Trilogie hat mich durch meine Jugend begleitet, auf dem Schulhof gab es tagelang nur ein Thema. Kritische Diskussionen über die "Hobbit"-Filme folgten am Ende meines Studiums. Ich bin mit Filmen über Mittelerde groß geworden – die Bücher habe ich nie gelesen. Die Erwartungen an "Die Ringe der Macht" waren also riesig. Und auch wenn das üppige Budget von einer halben Milliarde US-Dollar erst einmal nichts über die Qualität der Serie aussagt – es schürt den Hype.

"Die Ringe der Macht" ist kein Wiedersehen

Eine erste Enttäuschung für mich: die Zeit, in der die Serie angesiedelt ist. "Die Ringe der Macht" spielt im sogenannten "Zweiten Zeitalter" der Geschichte von Mittelerde, das nach der Niederwerfung von Widersacher Morgoth beginnt und nach 3441 Jahren mit dem Sieg des Letzten Bündnisses über Sauron endet. Ein Wiedersehen mit  den meisten bekannten Gesichtern gibt es also nicht, denn die Charaktere aus den "Herr der Ringe"-Filmen sind noch Jahrhunderte entfernt und spielen erst im "Dritten Zeitalter" eine Rolle – von den Elben mal abgesehen.

Aber: "Die Ringe der Macht" stellt einige Charaktere vor, die man aus den Filmen nur vom Namen her kennt – oder nach denen wichtige Orte oder Gegenstände benannt sind. Für einen besseren Eindruck, wer in den alten Filmen stets bewundernd erwähnt wird, ist das sehr hilfreich.

Für Menschen wie mich, die die Bücher Tolkiens nicht gelesen haben, ist das Trost genug. Das Gesamtbild und das Hintergrundwissen über das Universum wächst mit jeder Folge – damit wäre geklärt, dass ich die Serie weiter schauen werde. Die frischen Charaktere tun der Geschichte gut.

Königreich Númenor
Immer wieder ein Augenschmaus. Wenn "Die Ringe der Macht" Städte oder Landschaften zeigt, möchte man am liebsten kurz pausieren.
© Amazon Studios

Die Serie hat aber noch mehr zu bieten: Die Landschaften und Szenen sind mindestens ebenso episch, wie man es aus den Filmen kennt. Vielleicht sogar, aufgrund der neueren Technik, noch einen Hauch besser. Wenn die Kamera über die riesigen Städte fährt oder die Landschaft zeigt, lohnt sich oft ein zweiter Blick – während die Pause-Taste gedrückt ist. Wahnsinn, wie bildgewaltig "Die Ringe der Macht" ist.

Ein weiterer Pluspunkt sind die gelungenen Kostüme und Darstellungen der Charaktere. Gleiches gilt für die verschiedenen Monster, die man bis zum Ende der vierten Folge sehen durfte – auch wenn das bis auf Orks leider nur sehr wenige sind. Ja, "Die Ringe der Macht" fühlt sich nach Mittelerde an.

Viele Geschichten auf einmal

Unter den Darstellern tummeln sich derweil keine Hollywood-Giganten, was aber auch daran liegen mag, dass es keine echte Hauptrolle gibt. Zumindest habe ich bisher diesen Eindruck. Die Serie besteht aus vielen sehr unterschiedlichen Handlungssträngen, die bisher kaum miteinander verknüpft sind. Man begleitet Zwerge und Elben durch die gigantische Stadt Khazad-dûm, erleidet Seenot mit einer elbischen Kriegerin, versteckt sich im Wald mit Ur-Hobbits, den sogenannten Harfüßen, oder fiebert beim Kampf zwischen Orks und dem Waldelben Arondir mit. 

Bislang stellt sich bei keinem Erzählstrang eine Beziehung zu den Charakteren ein, wie es bei mir nach kurzer Zeit mit Frodo, Gimli, Legolas und Aragorn der Fall war. Ich will nicht sagen, die Charaktere sind beliebig, aber nach vier Folgen fehlt noch viel, damit ich wirklich mitfiebern kann. Richtig einprägsame Dialoge, wie man sie von Tyrion Lannister in "Game of Thrones" kennt, gab es bisher ebenfalls nicht.

Der fehlende Bezug zur Story mag auch darin begründet sein, dass die Serie erstaunlich wenig erklärt. Immer wieder wundere ich mich über das Verhalten der Charaktere, verstehe Zusammenhänge nicht und kann bestimmte Entscheidungen nicht nachvollziehen. Dafür, dass "Die Ringe der Macht" an einem vollkommen anderen Punkt in der Geschichte Mittelerdes ansetzt, fehlt es mir sehr an Erklärungen und Hintergrundwissen.

Theo
Ein schönes Beispiel für mangelnde Erklärungen: Der Junge Theo schleppt den Griff eines Schwertes drei Folgen lang mit sich rum. Was es damit auf sich hat, weiß man immer noch nicht so ganz.
© Amazon Studios

"Dann lies doch die Bücher", könnte man jetzt schimpfen. Stimmt, das würde helfen. Oder? Wenn man den vielen Rezensionen angeblicher Fans glaubt, vielleicht auch nicht. Denn was die Bewertungen betrifft, hat "Die Ringe der Macht" kein Qualitätsproblem, sondern ein Zielgruppenproblem.

Etwas Toleranz, bitte

Wer die vielen Hassnachrichten über die Serie liest, wird feststellen, dass viel Kritik immer wieder daran geübt wird, dass Amazon sich nicht sklavisch an die Buchvorlage gehalten hat. Wie auch – könnte man entgegnen. Denn Amazon hat die Rechte nur für Bücher, die das dritte Zeitalter beackern, und nicht für Werke wie "Das Silmarillion", "Nachrichten aus Mittelerde" oder "Die Geschichte Mittelerdes". Das bedeutet: Alles, was man in "Die Ringe der Macht" über diese Zeit erfährt, ist abgeleitet aus Material der eigentlich unpassenden Bücher Tolkiens. Eine schwere Aufgabe, die aber für das Ottonormalpublikum wunderbar gelöst ist.

Apropos: Besonders laute Kritiker schimpfen über schwarze Harfüße, eine schwarze Zwergin und einen schwarzen Elb. Und es stimmt: Amazon hat sich für einen diversen Cast entschieden, den Tolkien so in den Büchern nicht abbildet. Im Gegenteil: Hätte sich Amazon an die Bücher und Briefe Tolkiens gehalten, hätte die Zwergin einen Bart haben müssen, denn eigentlich sind sie nicht von den Männern zu unterscheiden. Schadet es der Serie? Nein. Und macht eine Hautfarbe eine gute Story? Doppelnein. Die Diskussion, "Die Ringe der Macht" sei zu "woke", ist absoluter Kinderkram. Auch hier hilft es also, nicht zu viel über das Tolkien-Universum zu wissen – oder etwas Toleranz mitzubringen. Gleiches gilt auch für Meerjungfrauen.

Zwergin Disa
Oh nein! Eine schwarze Zwergin! Ganz ehrlich: Na und?
© Amazon Studios

Generell finde ich, ist "Die Ringe der Macht" eine sehenswerte Serie. Sie ist nicht der Blockbuster, den sich Amazon vielleicht versprochen hat, oder den der Name "Herr der Ringe" vielleicht suggeriert, aber es gibt viel zu entdecken. Ich bin zumindest gespannt, was in der ersten Staffel noch passieren wird – auch wenn mir klar ist, dass so viel Handlung, wie in drei Kinofilmen zu sehen war, nicht in einer Staffel einer Serie abgefeiert wird. Wie es zu dem Wiedererstarken Saurons kommt und was mit Berühmtheiten wie Celebrimbor, Galadriel und Isildur passiert, will ich dennoch wissen. Und als kleiner Seitenhieb sei die Bemerkung erlaubt, dass man in "Die Ringe der Macht" immerhin keine Wandergruppe begleiten muss.

Übrigens: Wer sich Anfang Oktober über die Serie und alles rund um "Herr der Ringe" austauschen möchte, sollte sich die MagicCon in Bonn nicht entgehen lassen. Dort werden auch zahlreiche Darsteller der Amazon-Serie erwartet.

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