Markus Lanz ist nach der Sommerpause wieder zurück; von allen Talkern hat er bekanntlich die kürzeste, es sind 14 Tage. Sobald er aber von Luftfiltern spricht, von solchen, die an Schulen fehlen und dass die Schulen nach wie vor ohne neu überarbeitete, überzeugende Konzepte in Sachen Corona dastehen, und dass das dann, wie gehabt, Kinder und Eltern ausbaden müssen, hat man wieder dieses seltsame Täglich-grüßt-das-Murmeltier-Gefühl. Was ist eigentlich los in diesem Land? Woher kommt diese Behäbigkeit? Dass Stephan Weil beim Lanz-Talk am Dienstagabend nichts dabei fand, immer noch zu sagen, man habe schließlich noch nie mit einer Pandemie zu tun gehabt, ist schlicht nicht mehr angebracht. Alena Buyx sprach von "18 Monaten, die uns verstört haben". Wen was warum verstört hat, ist freilich nur individuell zu beantworten. Das ausschließlich dem Virus anzulasten, wäre verfehlt. Schon jetzt bahnt sich mit der Frage "2G oder 3G?", die ebenfalls in die Diskussion mit einfloss, nächstes Ungemach an.
Die Gäste des Talks in alphabetischer Reihenfolge:
- Alena Buyx, Medizinethikerin
- Omid Nouripour, Außenpolitischer Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen
- Claudia Peppmüller, Sozialarbeiterin
- Stephan Weil, Ministerpräsident Niedersachsens (SPD)
Das Thema Corona muss sonst nicht weiter ausgebreitet werden, denn aus der Runde kam dazu nichts Neues. Lanz steckte irgendwie noch in einer Art Sommerschlaf. Zuletzt war er in beachtlicher Talk-Hochform, bewies Schalk, Raffinesse und Bullterrier-Mentalität, doch die fehlte am gestrigen Abend, nicht gänzlich, aber auf weiter Strecke. Für Weil war es trotzdem schon eine Spur zu heftig, als der Moderator ihm einige Verfehlungen in der Corona-Politik aufzählte wie etwa in Bezug auf Alten- und Pflegeheime. "Ein bisschen milder sollten sie schon sein, Herr Lanz", versuchte er zu beschwichtigen.
"Wollten Sie eine Flüchtlingsdebatte vermeiden?"
Thema Afghanistan. Immerhin wich Weil nicht aus, als er damit konfrontiert wurde, dass die SPD und die Unionsparteien am 23. Juni gegen einen Antrag der Grünen gestimmt hatten, Ortskräfte aus Afghanistan aufzunehmen. "War das ein Fehler?" fragte Lanz. "Natürlich war das ein Fehler, bei allem was wir jetzt wissen", gestand Weil. Es sei beschämend. "Das gilt für uns alle."
Auch einen Monat später schien man übrigens immer noch nicht alarmiert zu sein. Rückblick auf eine Lanz-Sendung am 22. Juli. Auch da war ein SPD-Politiker zu Gast, Generalsekretär Lars Klingbeil, und außerdem die Ex-Soldatin Dunja Neukam, die über ihre Afghanistan-Einsätze berichtete. Klingbeil bekräftigte nur, es sei richtig gewesen, den Amerikanern zu folgen und aus Afghanistan rauszugehen. Auf die Frage, was es bedeute, wenn die radikalislamistischen Taliban die Macht übernähmen und eine nächste Flüchtlingswelle auslösten, ließ er sich nicht ein.

Sehen Sie im Video: 24-Stunden-Luftbrücke – Bundeswehr-Pilot zeigt besonderes Landemanöver in Kabul bei Nacht.
"Warum hat man nicht deutlicher politische Führung übernommen?", fragte Lanz nun an Weil gewandt. Und fügte an: "Wollten Sie eine Flüchtlingsdebatte vermeiden?" Der Ministerpräsident meinte, er sei kein Prophet, keiner könne wissen, wie viele Leute sich aus Afghanistan aufmachten. Mit Blick auf 2015 sagte er: "Der Staat war komplett überfordert." Ohne die Hilfsbereitschaft der Gesellschaft wäre man in "extrem schlimmen Zuständen" gelandet. Omid Nouripour warf später noch ein, dass Regierungen weltweit, wie beispielsweise Nepal, wüssten, dass die Deutschen "Angst vor Flüchtlingen" hätten. Das sei ein "Alleinstellungsmerkmal, sozusagen der Unique Selling Point". Damit seien die Deutschen erpressbar und das würde auch ausgenutzt. Leider, denn man hätte dazu gerne noch mehr erfahren, vertiefte Lanz das Thema nicht weiter.
Todeslisten und öffentliche Hinrichtungen
Gibt es überhaupt noch keine Möglichkeit aus Afghanistan rauszukommen? Die Taliban haben bereits angekündigt, dass das spätestens nach dem 31. August nicht mehr möglich ist. Nouripour zeigte sich alarmiert. Es dürfte sich um geschätzt mehrere zehntausend Ortskräfte handeln – von Bundeswehrpolizei bis hin zu Mitarbeitern von NGOs, Stiftungen, Leute die mit deutschen Medien gearbeitet haben mitsamt ihren Familien – die noch festsitzen. "Diese Leute werden wir nicht mehr rauskriegen, ich weiß nicht, wie das gehen soll", so der Grünen-Politiker. Er rechne damit, dass die Taliban bei jedem Einzelnen einen hohen Preis verhandeln oder politische Forderungen stellen würden. "Die rennen rum voller Rachegelüste." Es gebe eine neue Form der Barbarei. Dass die Taliban auf Pressekonferenzen relativ moderat auftreten, davon dürfe man sich nicht täuschen lassen. Auch die Taliban hätten inzwischen eine gut funktionierende PR-Abteilung. "Das sind Terroristen und Geiselnehmer von über 30 Millionen Menschen", betonte Nouripour. Die Taliban führten systematisch erarbeitete Todeslisten auf denen "Verräter" stehen wie Menschen, die für Frauenrechte gekämpft und mit internationalen Medien gearbeitet haben. In Provinzstädten gäbe es öffentliche Hinrichtungen, es werden Massenexekutionen vollzogen.
Afghanistan – ein Land ohne Hoffnung?
Vor wenigen Tagen wurde Claudia Peppmüller in einer Bundeswehrmaschine aus Kabul evakuiert. Sie ist Mitarbeiterin der Hilfsorganisation Friedensdorf, die kranke und verletzte Kinder aus Kriegs- und Krisengebieten zur medizinischen Versorgung nach Deutschland holt. Noch am 10. August sei sie, wie sie berichtete, "frohen Mutes" in Afghanistan angekommen. Dass der Regierungsumsturz in dieser Windeseile geschehen würde, "damit habe ich nicht gerechnet". Als ein Schuss fiel, sei ihr dieser erst als geplatzter Reifen verkauft worden. Die Geschehnisse, die folgten, seien das "Erschütterndste gewesen, das ich im Leben gesehen habe."
Egal, welchem Menschen sie begegnet sei: "Alle hatten Todesangst in den Augen". Dass sie die rettenden Pässe hatte, dafür schäme sie sich bis heute. Bevor sie das Tor passierte, habe ein Mann habe zu ihr gesagt: "Du bist nur hier, weil du Deutsche bist." Sie habe ein Land verlassen, in dem Hoffnungen zunichte gemacht wurden. Für die Frauen sei ohnehin alles vorbei. Zudem wurden die meisten Menschen unversorgt dastehen. Bedeutet: Eine Hungersnot steht zu befürchten. Nouripour verwies darauf, dass bereits in den 90er-Jahren über eine Million Menschen unter den Taliban verhungerten, die das so begründet hätten: "Das ist Gottes Wille."