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Netflix-Doku "The Confession Tapes" oder: Wie die US-Justiz sich ihre Mörder macht

The Confession Tapes: Ein Stapel VHS-Kassetten
"The Confession Tapes" auf Netflix: Von Geständnissen, die nicht mehr wert sind als die Videokassetten, auf denen sie zu sehen sind
© Netflix
Wer unschuldig ist, wird keinen Mord gestehen. Ausgeschlossen. Oder? Die True-Crime-Serie "The Confession Tapes" dokumentiert auf haarsträubende Weise, wie die Mühlen des amerikanischen Rechtssystems mahlen.

Es klingt wie eine rhetorische Frage: Würden Sie einen Mord gestehen, den Sie nicht begangen haben? Eben. Klingt irgendwie weit hergeholt. Entsprechend skeptisch machen Trailer und Kurzbeschreibung der neuen Netflix-Reihe "The Confession Tapes". In der True-Crime-Doku werden sechs mysteriöse Mordfälle in den USA aus den letzten rund 30 Jahren beleuchtet. Die erste Gemeinsamkeit der Verbrechen: Sie wurden allesamt "aufgeklärt", weil die Täter ein Geständnis ablegten und für Jahre beziehungsweise Jahrzehnte hinter Gitter wanderten.

Die zweite Gemeinsamkeit: Menschen mit gesundem Verstand dürften im Verlauf jeder einzelnen Episode zumindest massive Zweifel an der Schuld der Verurteilten kommen. Das liegt einerseits am dramaturgischen Geschick, denn in Sachen True-Crime-Erzählung kennen sie bei Netflix spätestens seit "Making A Murderer" alle Kniffe, um den Zuschauer bei seinem emotionalem Rechtsbewusstsein zu packen. Regisseurin Kelly Loudenberg bedient sich der üblichen Mittel: Grobkörnige VHS-Aufnahmen werden gegen neue Interviews mit den Beteiligten geschnitten, bedeutungsschwangere Bilder von blutigen Banknoten oder verwaisten Feldern des amerikanischen Hinterlands werden mit atemlosen Tonaufnahmen aus der Tatnacht unterlegt.

"Vielleicht hatten Sie einen Filmriss"

Andererseits wirft die Art und Weise, wie die Angeklagten hier förmlich zu ihren Geständnissen getrieben werden, ein erschütterndes Licht auf offenbar gängige Methoden der US-Justiz. Es treibt bisweilen aberwitzige Blüten, unter welchen Umständen hier (vor)verurteilt wird - je dünner die Beweislage, desto dicker wird aufgetragen, und es verläuft immer nach dem gleichen Schema: Die Ermittler sind sich stets zu einem erstaunlich frühen Zeitpunkt erstaunlich sicher, wer denn hier der Hauptverdächtige ist. Fortan fühlen sie ihm in stundenlangen Verhören auf den Zahn. Die Methoden sind dabei einschüchternd und nicht selten absurd.

"Könnten Sie die Tat womöglich im Traum begangen haben?", wird da zum Beispiel gefragt, oder: "Vielleicht hatten Sie einen Filmriss." In einer Episode glaubt ein Verdächtiger irgendwann, möglicherweise von einem Dämon besessen gewesen zu sein, als er das Auto samt seiner Frau und den vier Kindern in den Fluss fuhr - für die Ermittler ein schlüssigeres Szenario als das blockierte Gaspedal, das den Unfall eingeleitet haben soll. Überhaupt wird hier stets die schnellere Lösung der einleuchtenden Erklärung vorgezogen. "Say it and be done with it", heißt es in einer anderen Episode aus dem Mund des Vernehmenden, frei übersetzt: "Gib' es zu und gut ist!" Nach dieser Prämisse gehen in "The Confession Tapes" eigentlich alle beteiligten Beamten vor.

So geraten die Verhöre fast verstörender als die Verbrechen, die hier verhandelt werden. Weil die Taktik funktioniert. Dabei erinnert fast jeder Fall in Ausgangsposition und Pointe an den bemitleidenswerten Brendan Dassey aus "Making A Murderer": Wie Dassey werden die Verdächtigen im Verlauf ihrer Verhöre langsam gebrochen. Sie wirken verzweifelt, wie hypnotisiert, scheinen langsam den Verstand zu verlieren.

"The Confession Tapes" bei Netflix: keine Antworten

Und wenn sie erstmal gestanden haben, wird auch von den anderen Instanzen der Justiz nicht mehr allzu viel hinterfragt - selbst wenn kaum ein weiterer Aspekt für die Schuld der vermeintlichen Täter spricht, kaum ein Aspekt außer ihres Geständnisses. Nicht nur Ermittler und Richter überbieten sich bisweilen in ihrer Selbstherrlichkeit und in ihrer Ignoranz der Fakten. Auch Geschworene und Medien spielen in "The Confession Tapes" wichtige Rollen, die mitunter wütend machen.

Wie im Fall Amanda Knox gibt es auch hier keine definitiven Antworten, in keiner Folge. Der Zuschauer kann sich selbst ein Bild von Schuld und Unschuld machen. Allerdings handelt es sich dabei ohnehin nicht um die entscheidende Frage. Die lautet vielmehr: Sind diese Geständnisse überhaupt mehr wert als die Videokassetten, auf denen sie zu sehen sind?

Netflix-Doku: "The Confession Tapes" oder: Wie die US-Justiz sich ihre Mörder macht

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