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Die Medienkolumne Bosheit kann im Film keine Hexe sein

Ob Stasi-Bespitzelung, Luftbrücke, Sturmflut oder nun Flucht und Vertreibung - in Kino und TV prägen Spielfilme das Geschichtsbild. Die Fachwissenschaft steht dieser Form der medialen Historisierung meist skeptisch gegenüber. Immer wieder tauchen auch drei grundsätzlich falsche Vorwürfe auf.
Von Bernd Gäbler

Juhu! Mit "Das Leben der Anderen", dem Stasi-Drama des immer alle überragenden Jung-Genies Florian Henckel von Donnersmarck, hat wieder einmal ein deutscher Film den Oscar für die beste nicht englischsprachige Produktion gewonnen. Gönnen wir es ihm. Der Film fiktionalisiert die DDR-Geschichte. Er ist keine Dokumentation, sondern erzählt ein Märchen: wie sich der stille Stasi-Mann beeindrucken lässt vom freien Leben der Künstler. Überliefert ist so eine Biographie nicht.

Dennoch verdichtet der Film Geschichte. Noch beim Witze-Erzählen in der Stasi-Kantine wird die infantile Brutalität des Abhörsystems deutlich; die Ahnung von einer womöglich innigen Beziehung zwischen Kunst und Freiheit durchzieht den Film - und nicht zuletzt führt er sogar Möglichkeiten für den Einzelnen vor, sich zu entscheiden. Er verkleinert seine Erzählung nicht durch den Versuch, Geschichte naturalistisch zu rekonstruieren, was man dem "Untergang" vorwerfen kann. Er ergeht sich nicht in Kitsch und Klischee, wie dies für zahlreiche Afrika-Movies im TV gerade typisch ist. Er sucht zwar Anschluss an den Mainstream, buckelt aber nicht vor ihm. Dafür sorgen differenzierte Dialoge und die Schauspielkunst von Ulrich Mühe, Martina Gedeck und Sebastian Koch.

Zur Person

Bernd Gäbler, geboren 1953 in Velbert/Rheinland, ist Publizist und Dozent für Journalistik. Er studierte Soziologie, Politologie, Geschichte und Pädagogik in Marburg. Bis 1997 arbeitete er beim WDR (u.a. "ZAK"), beim Hessischen Rundfunk ("Dienstags - das starke Stück der Woche"), bei VOX ("Sports-TV"), bei SAT.1 ("Schreinemakers live", "No Sports"), beim ARD-Presseclub und in der Fernseh-Chefredaktion des Hessischen Rundfunks. Bis zur Einstellung des Magazins leitete er das Medienressort der "Woche". Von 2001 bis Ende 2004 fungierte er als Geschäftsführer des Adolf-Grimme-Instituts in Marl.

Fakten und Fiktion

Wenn aus historischen Fakten eine fiktionale Erzählung werden soll, stöhnen Fachwissenschaftler nicht selten auf. Fiktionen in Kino und TV prägen Geschichtsbilder und können die Wirklichkeit ersticken. Statt zu fragen, wie es war, werden gerne Wunschbilder inszeniert. Wer sich für die Ursprünge der "Solidarnosc" interessiert, tut gut daran, noch einmal den Dokumentarfilm von Sylke René Meyer über die Kranführerin Anna Walentynowicz anzuschauen, der heute noch gelegentlich tief nachts durch die Dritten Programme geistert, bevor er sich in Volker Schlöndorffs neuer Produktion "Streik" verliert. Wer etwas über die Hamburger Sturmflut wissen will, sollte lieber die NDR-Dokumentation sehen als die RTL-Dreiecksgeschichte, deren Grundplot sich auch bei der "Luftbrücke" und der vom ZDF aufbereiteten Bombardierung Dresdens wiederfand.

Nach Axel C. Springer, Herbert Wehner und Willy Brandt, kommt jetzt bald Helmut Kohl an die Reihe; nach Dresden, Mauerbau, Tunnelgräbern, Luftbrücke und Sturmflut wird im Fernsehen jetzt das große Kapitel "Flucht und Vertreibung" thematisiert. Stück für Stück und jeweils konkret sind diese Filmproduktionen zu analysieren. Im distanzierten Dialog zwischen Historikern und Filmemachern spielen allerdings immer wieder drei verfehlte Verallgemeinerungen eine Rolle.

Erstens: Der Film personalisiere

"Ja, was denn sonst!", ist man geneigt, diesen Kritikern zuzurufen. Strukturen werden sich kaum je lieben, verraten, hassen und töten. Schon der Vorwurf ist schief. Er würde treffen, würden Dinge oder Ideen als Personen dargestellt - also etwa die Gerechtigkeit als Frauenfigur oder die Bosheit als Hexe. Das tun diese Filme nicht. Sie zeigen, dass selbst und gerade der Massenmord immer ein "Ich" und "Du" meint, dass es Personen sind, die gebeutelt werden vom historischen Schicksal oder Glück haben. Das Entsetzliche stößt eben Einzelnen zu. Auch der systemadäquat handelnde Mörder ist ein verantwortlicher Einzelner.

Aber meist zeigen die Filme sogar, dass ein handelndes "Wir" möglich ist. Sie tun dies unterschiedlich gut, aber von Aischylos bis Moritz Rinke würden alle Dramatiker dem Vorwurf, sie würden Geschichte "personalisieren", also Entwicklung, Struktur und Widerspruch vermenschlichen, voller Unverständnis entgegentreten. Denn das ist die Aufgabe aller Dramatik. So erst kann durch "fictio" das "factum" unvergesslich werden.

Zweitens: Der Film verkleinere

Ob es um die Stasi geht, um Flucht und Vertreibung, erst recht natürlich beim Holocaust, ist schnell der Vorwurf bei der Hand, der Film, der ein begrenztes fingiertes Leben vorführe, reduziere jeweils das Unfassliche auf konsumierbare Größe. Gerade die enormen Verbrechen von Völkermord und Diktaturen würden so verharmlost. Tatsächlich ist es für Menschen schlechterdings kaum möglich, auf die Verbrechen des vergangenen Jahrhunderts angemessen seelisch zu reagieren. Eins aber ist gewiss: Schmerz und Scham, Trauer und Reue werden nicht stärker, wenn etwa die gezeigten Leichenberge größer werden, die Massaker blutiger, die Zuschauer überwältigt. Es sind nicht unbedingt Quantitäten, die berühren. Das Stöhnen eines Gefolterten, den wir ins Herz geschlossen haben, kann über das Schicksal tausender Menschen mehr aussagen als die Aufzählung von Millionen Namen uns je über einen Einzelnen wissen ließe. Gelungene Verdichtung kann das Gegenteil von Verdrängung sein.

Drittens: Der Film ist immer Gegenwart, nie Geschichte

Richtig. Dasselbe gilt für die Wissenschaft. Auch sie schaut mit den Fragen von heute zurück. Aber forschend und neugierig, sagt sie: "Wir wollen wissen, wie es war, während der Film meist nur Anschluss sucht an die Bedürfnisse der Gegenwart". Da ist leider oft etwas dran. So wandelte sich das Indianerbild im US-Film vom Vertreter schweigender Heimtücke über den edlen Wilden hin zum naturverbundenen Gutmenschen. Auch die großen, auf ein Massenpublikum zielenden Fernsehproduktionen sind oft allzu sehr durchtränkt von einer aufdringlichen Versöhnungs-Didaktik. Im Falle von "Dresden" wirkt dadurch sogar der Grundplot, eine Liebesgeschichte quer zu den Fronten, unplausibel und konstruiert. Im "Leben der Anderen" dagegen konfrontiert uns Ulrich Mühe durch seine kunstvollen Darstellung des Stasi-Manns mit dem "Vergangenen" als "Begangenem". Reue heißt immer, mit etwas "Begangenem" nicht fertig zu sein. Der Reuige wünscht, "es" nicht gewesen zu sein. Gute fiktionale Geschichtsdarstellung ist also nur in diesem Sinne zur Gegenwart hin offen. Ihre Aufgabe ist nicht Heilung, sondern das Vorzeigen der Wunden.

Die sich stets wiederholenden generellen Vorwürfe an den Geschichts-Spielfilm taugen nicht. Er kann Wahrheit ersticken; er kann sie aber auch so dicht, so persönlich, so offen darstellen, dass er uns nachhaltig verstört. Dann ist er Kunst. Und zum Panorama der Kunst gehört unbedingt eine Vielfalt der Formen.

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