GESPERRT Gastkommentar Koschwitz Koschwitz

Koschwitz

Die Geschichte der deutschen Late-Night-Show ist voller Missverständnisse... Geht nicht so ein Werbespot los? Egal! Den ganzen Mist mit dem Abschreiben kennen wir doch eigentlich aus der Schule. Du hast exakt dasselbe auf dem Papier stehen wie dein Nachbar, und dann kommt der Lehrer und will an der Tafel deinen Lösungsansatz kennen lernen. Zum Heulen. Genauso ist es mit der deutschen Late Night! Die Deutschen haben abgeschrieben.

Es wird kolportiert Jörg Grabosch, inzwischen Produzenten-Millionär und ganz eindeutig der Messias der deutschen Late Night habe bäuchlings mit einem befreundeten Regisseur vor dem Videorekorder gelegen, um sekundengenau den Ablauf der "David Lettermann Show" zu rekonstruieren. Heraus kamen diverse Figuren, die so aussahen wie Harald Schmidt oder Thomas Koschwitz, die sich aber bewegten und agierten, als seien sie David Lettermann, gefangen im falschen Körper.

Um im Bild zu bleiben: Der Lehrer fragt den Abschreiber "Warum hat denn eine Late-Night-Show einen Schreibtisch und immer die Skyline und einen roten Fußboden und eine Band?" Und dann steht man da als Abschreiber. Tja, wegen der Stimmung und so. Naja, und damit die Gags mit einem Tusch... und ach überhaupt die Gags: Wie kommt es, dass solche Flitzpiepen wie Niels Ruf statt vom Pförtner einer Fernsehstation aufgehalten zu werden, tatsächlich vor eine Kamera dürfen, um dort erniedrigenden Mist, selbstherrliche Fragen an sich selbst und müde Lacher zu erzeugen? Weil man in Deutschland glaubt, gute Comedy hat zunächst mal mit dem Verarschen von anderen Menschen zu tun.

Ich glaube das ist ein Missverständnis. Und der Lehrer fragt gnadenlos weiter: "Warum ist die Show eigentlich täglich?" Tja liebe ARD-Planer, weil Harald Schmidt und seine amerikanischen Vorbilder nur dann wirklich funktionieren können, wenn sie wie ein Arbeitstag eines jeden Menschen organisiert sind. So ‚ne Show ist wie ein Möbel. Es hat da zu sein. Immer. Und wenn man sich reinsetzen oder legen will, sollte man es auch sofort finden können und nicht suchen müssen. Das machten die deutschen Fernsehmacher immer schon gerne falsch: Eine Sendung immer zur selben Zeit. Bei der 20 Uhr Tagesschau wissen's doch auch alle, warum bei anderen Sendungen nicht? Schmidt wurde dauernd verschoben, mal früher mal später (auch bei Sat1 schon!!!). David Lettermann sendet IMMER um 11:30 PM. Johnny Carson genauso.

Und damit kommen wir zu einem weiteren Kern der amerikanischen Late-Night-Show: Johnny Carson war eine, wenn nicht DIE Stimme Amerikas in allen Belangen. Politik. Show. Sport. Er hatte das, was Harald Schmidt zum Schluss auch hatte: Die Intelligenz, unser Leben zu kommentieren, und damit eine Hilfe zu sein. Können Sie sich diese "Hilfe" von Niels Ruf oder - etwas besser in der Qualität - von Olli Pocher vorstellen? Pocher, der im Zweifel über Gags auf Kosten seiner ausländischen Gäste, die ihn nicht verstehen, weshalb es so leicht ist, diese zu verarschen, nicht hinauskommt? Noch was: Das oberste Prinzip der Late-Night-Show in Amerika ist immer zu unterhalten, mit allen Mitteln: Dem Stand Up, den Gästen, der Live-Musik. Wenn in Deutschland in einer Talkshow Gäste sitzen, dann sind sie meist ergriffen von der eigenen Wichtigkeit, oder sie haben was zu promoten. Was also haben sich die Amis gedacht, als sie unbedingt eine Late-Night-Show ins Fernsehen heben wollten?

Der Gastgeber muss 'ne Type sein, mit dem das Publikum wirklich etwas anfangen kann. Einer mit Meinung, Ecken und Kanten. (Oder wissen Sie wer Johannes B. Kerner wirklich ist?) Deshalb das Stand Up. Der Kommentar zum Tage. Aber bitte bloß nichts ernst nehmen. Lustig. Was dazu führt, dass die amerikanische Jugend Late-Night-Shows als Nachrichtenersatz nimmt!

Die Show muss etwas von einem Arbeitsplatz haben. Schreibtisch hat was Offizielles. So eine Gästeeinladung hat auch immer etwas von einem Vorstellungsgespräch. Deswegen ist der Sessel so zum Publikum gedreht, dass der Gast als ganzer Mensch gesehen werden kann, während der Gastgeber in der Rolle des Fragers vom Schreibtisch verdeckt ist, was ihn stärker macht.

1. Es geht immer um gute Unterhaltung. Selbst das traurigste Thema sollte den heiteren Moment haben. Als New York vom Anschlag am 11. September 2001 gebeutelt war, sendete David Lettermann zunächst nicht, um sich dann ein paar Tage später mit Rudolph Giuliani, dem New Yorker Bürgermeister, wieder zu melden. Es wurde geweint und gelacht in dieser Show, und sie war das, worauf die Fernsehfans gewartet hatten: ein Lichtblick! 2. Die Hausband ist wie der Plattenspieler einer Radiostation. Musik macht die Show groß. Eine Liveband kann alles aus dem Stand, macht aus der Show, die auch von der Improvisation leben muss, immer wieder ein Erlebnis. Wenn dann der Bandleader auch noch Reden und Widerworte geben kann wird's großartig und wenn Sangeskünstler live zu dieser Band auftreten, ist die kleine Showfamilie für diesen Abend komplett.

Es war der selbstverliebte Sat1-Chef Roger (ganz weiches jeeee bitte Rogééé) Schawinsky, der anstatt seine Künstler zu schützen, diese auch noch nach seinem Abgang schriftlich mit seinem Buch in den Hintern trat, der die Karriere von Anke Engelke auf dem Gewissen hat. Wenn man weiß, dass der Nachttalker eine gestandene Persönlichkeit sein muss, der uns, den müden Fernsehjunkies das Leben erklärt, dann kann das nur eine reifende Frau sein, also eine, der man auf dem Sender Zeit gegeben hat, so wie weiland Harald Schmidt. Niels und Olli werden vermutlich Comedy machen, aber Late-Night?

Bleiben zwei Herren, die ne Chance haben. Der eine, Stefan Raab macht keine wirkliche Late Night. Und er macht sie lustlos. Der taut nur in seinen Sonderprojekten auf. Da ist er genial zuweilen. Und Harald? Der müsste halt wieder arbeiten. Der hatte sich vom Abschreiber zum Gestalter gemausert. Klug. Frech. Respektlos. Kein großer Talker, das mag er leider nicht. Schade. Die ARD hätte ihm einen TÄGLICHEN Sendeplatz anbieten müssen. Stattdessen talken Talker, die sich hinter Themen und Gästen verstecken ("Sagen Sie mal, DAS interessiert mich jetzt aber Mal wirklich...") Tja, und während ich das alles so schreibe, fällt mir auf, dass ich doch noch sehr davon träume, noch Mal eine deutsche Late-Night zu machen. Es bleibt halt die Königsdisziplin!

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