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"Tatort"-Kritik Das war leider nur ein netter Versuch

Drei Stunden hatte Kommissarin Lindholm Zeit, den Tod einer Zwangsprostituierten aufzuklären und die Drahtzieher festzunehmen. Was als gutes "Tatort"-Experiment begann, endete mit einer Enttäuschung.
Von Ulrike Klode

Es wäre so einfach gewesen. Schließlich hatte die erste Folge des "Tatort"-Zweiteilers eine gute Grundlage geschaffen: eine spannende Geschichte aus Zwangsprostitution, Menschenhandel, Rocker und Hannoveraner Filz. Und am Ende ist zwar der Mörder gefunden, der Tod eines Mädchens aus Weißrussland allerdings noch lange nicht aufgeklärt. Was haben der Immobilien-Mogul, der Chefarzt, der Promi-Anwalt mit dem Rockerkönig zu schaffen? Lebt das zweite Mädchen, das zur Prostitution gezwungen wurde, noch? Und wie hängt der Freund von Kommissarin Lindholm in der Geschichte drin? Nur drei der vielen Fragen, die am Ende des ersten Teils, der am 15. Juni als Wiederholung gezeigt wurde, offen blieben.

Natürlich beantwortet "Das goldene Band" die Fragen, natürlich hat Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler) am Ende das Verbrechen aufgeklärt. Doch der zweite Teil, der jetzt als Wiederholung gezeigt wurde, erfüllt die hohen Erwartungen, die der erste Teil geweckt hat, längst nicht. Vorhersehbar und überfrachtet lautet das Urteil – keine Attribute, die einen guten Krimi schmücken. Nette Figuren bleiben gut. Alle schmierigen Figuren entpuppen sich als böse. Und die fiesen Figuren bleiben natürlich auch böse.

Zu wenige Überraschungen, zu viele Handlungstränge

So ist Jan Liebermann (Benjamin Sadler) - der Freund der Kommissarin - durchweg gut: Im zweiten Teil stellt sich heraus, dass er sich nur zur Tarnung als Biograf dem Immobilien-Investor Kaiser genähert hat, um ihn und sein Netzwerk auffliegen zu lassen. Die Party, an deren Ende die Zwangsprostituierte sterben musste, hat er nur kurz besucht und wusste nichts davon, dass die Mädchen aus Weißrussland geordert waren. Alles genauso, wie vom Zuschauer erwartet. Leider. Denn es wäre reizvoll gewesen, wenn ausgerechnet er ebenfalls darin verstrickt gewesen wäre - eine überraschende Wendung, die der Geschichte gut getan hätte. Sein Gegenpart, die Figur des Immobilien-Moguls Kaiser, ist von Beginn an so gezeichnet, dass klar ist: Der hat Dreck am Stecken. Und die Rocker? Sind natürlich alle von Anfang bis Ende böse und brutal.

Überraschender Wendungen hätte es mehr gebraucht, Handlungsstränge dagegen weniger. Denn eine Sache verwundert dann doch: Dass es die Macher der Doppelfolge tatsächlich geschafft haben, die drei Stunden Erzählzeit zu überfrachten. Sie haben sich einfach zu viel vorgenommen und kommen daher hin und wieder nur durch unglaubwürdige Zufälle oder unbefriedigende Vereinfachung ans Ziel. Was für ein Zufall, dass Jan Liebermann zur selben Zeit wie Charlotte Lindholm spontan nach Weißrussland in das Heimatdorf des toten Mädchens reist und daher genau zur rechten Zeit kommt, um die Kommissarin aus den Fängen eines korrupten Polizisten zu befreien. Und wie seltsam, dass ihr Chef all ihre Vergehen, die sie durch die ungenehmigte Reise und die Entführung des kleinen Sohnes begangen hat, einfach beiseite wischt und das keine Folgen hat. Dann doch lieber weniger Erzählzeit in Lindholms Beziehungskrise investieren und dafür mehr in überzeugend auserzählte Handlungsstränge.

Eine Sache, die positiv hängen bleibt: Die Figur Carla Prinz (Alessija Lause), die im zweiten Teil gemeinsam mit Charlotte Lindholm ermittelt. Sie bildet mit ihrer offenen, spritzigen, freundlichen Art einen guten Gegensatz zur kühlen, meist unfreundlichen Lindholm. Und fördert neue Seiten der Kommissarin zutage, die als LKA-Beamtin - anders als die meisten anderen "Tatort"-Ermittler - keinen festen Partner an ihrer Seite hat und, wie sich zeigt, mit Teamarbeit ein großes Problem hat. Leider ist zu befürchten, dass Prinz, wie so oft in Hannoveraner Fällen, nur in diesem einen Mordfall auftaucht und in den folgenden Geschichten keine Rolle mehr spielt.

Aller Enttäuschung zum Trotz: Es ist gut, dass hier etwas Neues ausprobiert wurde. Der Klassiker "Tatort" braucht Neuerungen. Denn sonst ist die Gefahr zu groß, dass irgendwann die Zuschauer genug haben von immer gleichen Mordfällen, die von einem Duo in 90 Minuten restlos aufgeklärt werden, gewürzt mit einer Prise Ermittler-Privatleben, gespickt mit etwas Gesellschaftskritik. Doch diese Lindholm-Doppelfolge ist nur ein erster Schritt auf dem Weg zu einem neuen "Tatort". Ein netter Versuch, mehr nicht.

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