Influencerin Madeleine Darya Alizadeh, bekannt als Dariadaria, hat ein Foto von sich am Pool gepostet. Doch alle reden nur über ihre Cellulite. Dabei ist Cellulite völlig normal und galt früher sogar als Schönheitsideal, wie Expertin Michaela Axt-Gadermann erklärt.
Es sollte ein ganz normales Urlaubsfoto sein: Influencerin Madeleine Darya Alizadeh, bekannt als Dariadaria, hat ein Bild von sich am Pool gepostet. Doch weder der weiße Bikini, noch der Drink, noch ihre Sonnenbrille oder ihr Lächeln zogen die Aufmerksamkeit ihrer Follower auf sich.
Stattdessen waren es die wenigen, auf den ersten Blick kaum sichtbaren Dellen an ihren Oberschenkeln. Nichts ahnend, "naiv", wie sie später selbst schreibt, hat sie das Posting veröffentlicht. Das Echo darauf war jedoch enorm. "Danke für deine Dellen und dass du sie nicht retouchiert hast", schrieb etwa ein Followerin. Etliche Nachrichten, die ähnlich klangen, erreichten Dariadaria.
In einem zweiten Posting thematisiert Alizadeh genau das. "Manchmal bin ich naiv. Wei ich mir denke, so ein Foto vom Körper einer Frau im Urlaub, das ist doch nicht politisch. Und dann sehe ich die Nachrichten, die Kommentare und werde eines Besseren belehrt." Körper seien immer noch politisch, die Diätkultur und die damit verbundene Realität sei immer da. "Sie steckt in einem Schnappschuss, der eigentlich nichts anderes zeigt, als eine glückliche Frau, die gerade Urlaub macht."
Dariadaria wollte ein Urlaubsfoto posten, stattdessen wurde es politisiert
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Dieser Aussage stimmt auch Prof. Dr. Michaela Axt-Gadermann im Interview mit dem stern zu: "Cellulite ist immer noch ein großes Thema." In ihren Büchern "Der Abnehmkompass" und "Goodbye Cellulite" hat sich die Dermatologin ausführlich damit beschäftigt. Erfreulich sei im Fall von Dariadaria, dass die Cellulite positiv kommentiert werde. Erschreckend sei jedoch, dass Cellulite "nicht als gegeben und als normal und weiblich hingenommen wird".
80 bis 90 Prozent der Frauen haben Cellulite, doch die meisten scheinen sie in den sozialen Medien nicht zu zeigen. Stattdessen wird sie retuschiert oder hinter Filtern versteckt. Dass große Influencer wie Dariadaria, die 334.000 Follower hat, sich ungefiltert zeigen, könnte dabei Vorbildwirkung haben. Doch das geschieht immer noch zu selten, das spürt auch die Influencerin an der Fülle der Reaktionen.
Was viele gar nicht wissen, sagt Axt-Gadermann, ist, dass noch vor wenigen Jahrzehnten Cellulite nicht als Makel angesehen wurde. "Früher war Cellulite kaum ein Thema, erst die französische Vogue hat das Phänomen entdeckt vor rund 100 Jahren. Danach passierte eine Weile nichts. Bis Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre war Cellulite ein rein französisches Problem. Erst danach hat es die US-Vogue aufgegriffen. Und plötzlich haben viele Frauen Makel an sich entdeckt."
Axt-Gadermann geht davon aus, dass es auch mit den Mode-Trends dieser Zeit zusammenhängt: "In den 50er Jahren haben die meisten Frauen mindestens knielange Rücke getragen. Außerhalb von Familie und Freundinnen hat kaum jemand die unverhüllten Beine gesehen. Mit Aufkommen des Minirocks änderte sich das. Die Beine rückten in den Fokus. Und die Cellulite."
Cellulite galt einst als besonders weiblich, sogar als Schönheitsideal
Dermatologin Michaela Axt-Gadermann hat verschiedene Bücher zu Gesundheitsthemen geschrieben
Einst galt Cellulite sogar als Schönheitsideal. "Wer sich die Gemälde alter Meister wie Rubens anschaut, wird Cellulite entdecken. Sie galt damals als schön und typisch weiblich. Und genau das ist sie auch: Weibliche Hormone sind für schöne Brüste und volles Haar genauso verantwortlich wie für Cellulite. Alles, was Frauen weiblich macht, hängt mit Östrogenen zusammen."
Wohl genährte Frauen galten früher als wohlhabend. Wer sich Essen leisten und das zeigen konnte, der war reich. Doch heute hat sich dieser Trend gewandelt, meist sind es immer noch schlanke Körper, die als Ideal gelten. Doch Cellulite hat nicht unbedingt mit dem Körpergewicht zu tun. "Auch viele junge und schlanke Frauen haben Cellulite." Trotzdem war im Jahr 2011 der Aufschrei groß, als ein Foto von Pippa Middleton beim Joggen in den Medien war und man Cellulite erkennen konnte. Ja, auch die Schwester von Prinzessin Kate hat Dellen an den Oberschenkeln. So what, so normal, möchte man meinen.
Stattdessen kamen in den vergangenen Jahren dutzende Cremes auf den Markt, teure Verfahren wie die Kryo-Therapie oder neue Ultraschalltechniken wurden entwickelt. "Viele Behandlungen halten nur höchstens ein Jahr, wenn sie überhaupt etwas bringen", sagt Axt-Gadermann.
Junge Menschen sind mit dem Bewusstsein aufgewachsen, dass Cellulite ein Makel, ein Problem ist. Da sie in den sozialen Medien so selten gezeigt wird, fühlen sich viele damit allein, darunter leidet auch das Selbstbewusstsein. "Das Gefühl kann entstehen: Ich bin die einzige, die das hat", beschreibt es Axt-Gadermann.
Ändern könnten an dieser Wahrnehmung vor allem Prominente etwas. Doch das liege gar nicht in ihrem Interesse, erklärt Axt-Gadermann: "Die Kardashians haben Millionen Follower. Würden die sich mit Cellulite zeigen, könnte das etwas an der öffentlichen Wahrnehmung ändern. Doch viele Promis haben ihre eigenen Kosmetik-Linien. Würden sie sich ungeschminkt und unperfekt zeigen, könnte ihr Marktwert sinken. Dieser Gefahr wollen sie sich nicht aussetzen. Eigentlich schade, dass Cellulite nicht mehr das ist, was sie einmal war: normal oder sogar ein Schönheitsideal."