Als 26-Jährige unter Rentnern Altern ist (k)ein Arschloch

Von Johanna Braun
In "Dialog mit der Zeit" soll ich mich mit dem Altern beschäftigen. Na toll. Das kommt früh genug und wird kein Spaß. Wie mir ein 76-Jähriger die Augen öffnete.

Ich bin unsterblich. Zumindest denke ich das manchmal. Ich bin 26. Das gehört sich so. Und nun bin ich auf dem Weg in eine Ausstellung, die sich mit dem Altern beschäftigt. "Dialog mit der Zeit" soll mich anregen zu einem Gespräch zwischen den Generationen.

Da ist dieser Mann, Rainer Otto, er ist 76 Jahre alt und damit knapp zehn Jahre jünger als meine Oma. Er ist Exponat und Guide in Personalunion, einer von 32 Senioren, die Besucher durch die Ausstellung begleiten. Bislang bedeutet Altern für mich: meine pflegebedürftige Großmutter. Krankheit. Tod.

Bevor ich verstehen soll, hängt mir Rainer eine Kette um den Hals. Warum, erfahre ich erst später. Er sieht agil aus und bietet an, die Führung auch auf Englisch zu machen. Doch der erste Raum ist gleich Schocktherapie. Um mich herum stille Kinder, die eben noch lärmend durch das Museum alberten. Danielle, ein Mädchen in einem Video, altert im Zeitraffer. Falten, graue Haare, Hängegesicht. Alles, was dazu gehört.

"Dialog mit der Zeit"

... ist eine Erlebnisausstellung und gehört zu einer Reihe der Dialogue Social Enterprise GmbH, einem sozialen Unternehmen, das mit seinen Ausstellungen Menschen am Rande der Gesellschaft integrieren will.

Nach "Dialog im Dunkeln" und "Dialog im Stillen" bei denen jeweils Blinde beziehungsweise Gehörlose durch die Ausstellung führten, haben sich die Kuratoren Orna Cohen und Andreas Heinecke nun damit beschäftigt, dieses Konzept auf die Lebenssituation älterer Menschen zu übertragen.

Nach Frankfurt und Berlin soll die Ausstellung ab November 2015 nach Bern in der Schweiz ziehen. Weiterhin ist sie für Finnland, Singapur und Taiwan geplant.

Einmal Tremor und Grauer Star, bitte!

Rainer holt mich aus der Starre: "Alter bedeutet für mich ein Gewinn - eine goldene Zeit", sagt er. "Aus Erfahrungen und Erlebtem schöpfen, Kommunikation zwischen den Generationen suchen, neugierig auf Neues sein." Ihn unterscheidet so viel von meiner eigenen Großmutter. Besonders die Einstellung. Ich bin beeindruckt von seinem Elan.

Aber nicht jeder ist im Alter so fit wie Rainer. Im interaktiven Teil der Ausstellung erfahre ich, wie sich das anfühlen kann. Ich soll eine Tür aufschließen, aber mein Handgelenk wird durch eine Apparatur durchgerüttelt. Ein Tremor soll nachgestellt werden. Hier ist Technik gefragt. Als nächstes binde mir Gewichte an die Beine und steige eine Treppe. Nicht einfach. Meine Großmutter kann allein gar keine Treppen mehr gehen. Dann wird simuliert, wie meine Sehkraft mit den Augenkrankheiten Grauer und Grüner Star schwindet. Wie war das noch mal mit der Unsterblichkeit?

Das alles schreckt mich. Die Vorstellung irgendwann einmal komplett auf jemand anderes angewiesen zu sein, macht mir Angst.

Ab in den Ruhestand!

Aber bei Rainer läuft es ja. Er wird bald 77, fühlt sich aber jünger. "Es gibt vier Dinge, die man im Alter braucht: Laufen, Lachen, Literatur und Liebe", sagt er. Er lacht viel, scheint glücklich.

Plötzlich beginnt meine Kette zu piepen. Ich erschrecke mich, doch ich bekomme gleich die Auflösung. Rainer verweist mich auf die Bank mit der Aufschrift "Nur für Rentner". Ich sei jetzt im Ruhestand. Solle nichts mehr machen, nur entspannen. Ich bin verwirrt, und Rainer erklärt, dass das auch so sein soll. Die Ausgrenzung, die alte Leute manchmal in der Gesellschaft erfahren, soll so simuliert werden. Ich verstehe. Ruhestand heißt nicht, gar nichts mehr machen, sondern seine Zeit gezielter nutzen. So wie Rainer hier in der Ausstellung.

Ich bin noch gar nicht richtig ins Berufsleben gestartet, studiere noch. Und jetzt soll ich mir Gedanken über meinen Ruhestand machen? Was ich weiß: Rente werde ich keine bekommen. Also muss ich wohl vorsorgen. Und dann? Dann bin ich alt. Davor hatte ich eigentlich schon immer Angst.

Aber Rainer hat mir die Angst wirklich ein bisschen genommen. Er ist besser als jedes Exponat in dieser Ausstellung. In den Ruhestand will er nicht, sondern aktiv bleiben, sagt er. Das sei sein Lebensmotto. Hoffentlich wird es auch meins.

Rainer und seine Kollegen führen noch bis zum 23. August durch die Ausstellung "Dialog mit der Zeit" - im Museum für Kommunikation in Berlin.

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