Wenn Maiga von seiner Flucht erzählt, liegt in seinen Augen noch die Trauer um all die Menschen, mit denen er loszog, die aber nicht überlebten. Kurz nachdem der junge Mann aus Mali in Libyen angekommen war, verschärfte sich in dem Land der Bürgerkrieg, sodass Maiga weiterziehen musste. "Wir sind dann auf Schiffen nach Lampedusa gefahren. Es waren viele Menschen, verteilt auf neun Boote. Acht sanken bei der Überfahrt", erinnert sich der Afrikaner. In Italien angekommen, stehen sie vor dem Nichts. Auch wenn sie Papiere bekommen haben, hat Italien keine Arbeit für die Flüchtlinge, sie schlafen auf der Straße. "Ich habe so viele Menschen sterben sehen", sagt Maiga. "Jetzt sind wir hier und dürfen nicht bleiben und nicht arbeiten. Das verstehe ich nicht." Hier, das ist Berlin.
Hier, das sind aber auch die Berliner: Das Internationale JugendKunst- und Kulturhaus Schlesische27 entschließt sich im Winter 2013, für fünf junge westafrikanische Männer eine Notunterkunft in ihrer Einrichtung in Berlin-Kreuzberg zur Verfügung zu stellen: Malik, Moussa, Saidou, Maiga und Ali ziehen ein und bauen zusammen mit dem Produktdesigner Sebastian Däschle Möbel, um ihr Zimmer einzurichten. So begann, was zu einem großen Projekt geworden ist: Cucula.
Im Team
Nun soll Cucula ein richtiger Betrieb werden. Eine Möbelmanufaktur, mit der sich die Flüchtlinge ihre Selbst- und Eigenständigkeit zurückholen können. Raus aus der drohenden Illegalität, Arbeitslosigkeit und Passivität. Mit fünf Stipendien soll ein Aufenthaltsrecht zwecks Ausbildung erreicht werden, sie dienen gegenüber der Ausländerbehörde als Kostendeckungsgarantie. Für eine grundlegende Voraussetzung des künftigen Betriebs sorgte ein berühmter Italiener, Enzo Mari, der 1974 Selbstbaumöbel entwarf, deren Produktionsrechte er nun dem Verein überließ. Designklassiker, die eine perfekte Grundlage für ein Start-up bilden. Und die von den Afrikanern nach eigenen Ideen weiterentwickelt werden dürfen. Doch vorher muss Geld her. Crowdfunding heißt das Zauberwort.
Bei dem Portal Startnext wurde deshalb eine Spendenseite eingerichtet. Die Beträge, die dem Verein helfen sollen, das Ausbildungsprogramm inklusive Sprach- und Schulunterricht anzubieten, reichen von 20 Euro für ein selbstgestaltetes Buch mit Geschichten bis hin zu 12.000 Euro für ein einjähriges Stipendium. Preislich dazwischen liegen die Möbel, die bereits gebaut werden: Maris Kinderstuhl oder -bank, der Klassiker "Sedia Uno" oder der bereits weiterentwickelte "Botschafter"-Stuhl, der mit einem Stück Treibholz eines vor Lampedusa gestrandeten Schiffe gebaut wird - ein Unikat für 500 Euro. Mehr als 20.000 Euro sind in fünf Tagen bereits zusammengekommen, 150.000 sollen es im Idealfall bis zum Jahresende werden.
Das westafrikanische Wort Cucula bedeutet "etwas verbinden, gemeinsam machen", in Berlin wird es gelebt. Die fünf Afrikaner arbeiten als Trainees mit den Designern Corinna Sy und Sebastian Däschle zusammen. Neben der westafrikanischen Hausa-Sprache hört man in dem Modellbetrieb Französisch, Arabisch und viele weitere Sprachen, auch die Ehrenamtlichen kommen aus den unterschiedlichsten Ländern. Um die Afrikaner über das Voranschreiten des Asylprozesses auf dem Laufenden zu halten und generelle Wissenslücken in dem schwierigen Verfahren zu schließen, findet einmal pro Woche ein Teammeeting statt. Ein Übersetzer beherrscht Hausa und kann dadurch Fragen zur ausländerrechtlichen Situation an die Profis weitergeben. 50 aktive Mitglieder umfasst der Verein, zu ihnen gehören auch die Geschäftsführerin des Kulturhauses Barbara Meyer und die Sozialpädagogin Jessy Medernach sowie Jutta Spychalsk, die sich um das Schulprogramm kümmert - vier der fünf Flüchtlinge lernen gerade Lesen und Schreiben.
Jenseits der rechtlichen Themen, "dabei gehen wir iterativ vor", beschreibt Corinna Sy das vorsichtige Herantasten an die Rechtslage, herrscht gute Stimmung. Es duftet nach afrikanischem Tee, es wird viel gekocht und auch gelacht. "Cucula, das ist Familie", fasst Malik die Bedeutung dieses Arbeitsplatzes für ihn zusammen - und bildet dabei mit den Händen einen großen Kreis.