Die Finanzkrise 2009 und mein Rauswurf bei einer Unternehmensberatung haben mich gerettet. 20 Jahre lang habe ich für den Zigarettenbereich gearbeitet, schlief mit dem Handy abends ein, war ständig unterwegs und unter Strom. Dann übernahm ein jüngerer Kollege die Firma - und ich war meinen Job los, allerdings um eine Abfindung reicher.
Heute könnte ich ihm dafür die Füße küssen. Ich habe mich immer schon über meinen Job definiert, mit viel Herz gearbeitet und auch als Mutter von zwei Kindern Beruf und Familienleben gut hingekriegt - mithilfe meiner Mutter und meines Mannes. Ich schrieb weiter Bewerbungen - und erhielt munter Absagen. Über 40 Jahre alt, zwei Kinder - keine Chance.
Ich besuchte meinen Vater, der am Mondsee in Österreich lebt. Wir tranken, wie so oft, einen guten Schnaps, den Obstbauern aus der Gegend dort gebrannt hatten. Mich interessierte das Handwerk, und es machte mich neugierig, wie man einen guten Obstbrand herstellt. Ich fing an - anfangs nur als Hobby -, mit einer kleinen Tischdestille selbst Brände zu machen. Ich las jede Menge Bücher, besuchte Brennereien und hatte schließlich diese "Schnapsidee": Ich wollte das Handwerk des Obstbrenners erlernen.
Die Gesellenprüfung wurde mir zunächst verweigert - wegen fehlender Praxis. Außerdem ist dieser Beruf fest in Männerhand. Aber ich war schon immer sehr hartnäckig. Am Ende machte ich meine Prüfung mit Auszeichnung als eine der ersten Obstbrennerinnen in Deutschland. Und irgendwann hatte ich auch das Herz jener Männer aus der Branche gewonnen, die sich eine Frau in diesem Beruf nicht vorstellen können, schon gar nicht einen 'Fischkopp' aus Bremen. Aber mit Qualität kann man sie überzeugen.
Piekfein und lecker
Seit 2011 habe ich meine eigene Manufaktur in Bremen. Mein Konzept mit den Piekfeinen Bränden ist aufgegangen. Jedes Jahr nehme ich eine weitere nordische Wildfrucht in mein Sortiment der Edelobstbrände auf, für die Schlehe habe ich schon mehrere Preise bekommen. Außerdem destilliere ich Whisky, der allerdings noch bis 2015 im Eichenfass reifen muss.
Ich arbeite immer noch sehr viel, vor allem wenn Hauptbrennzeit ist, dann stehe ich von acht Uhr morgens bis spät in die Nacht an den Brennkesseln. Früher landeten meine Analysen im Schrank des Kunden und wurden nie wieder rausgeholt. Das ist mit meinen piekfeinen Bränden definitiv anders.“
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