"Wetten, dass ..?"-Unglück Warum uns Samuels Schicksal so berührt

Der Unfall von Samuel Koch und die Nachricht, dass er für immer behindert bleiben wird, hat viele Menschen zu Tränen gerührt. Warum wir mit einem Jungen mitfühlen, den wir gar nicht kennen.

Die Push-Nachricht auf meinem Smartphone hat mich erreicht, als ich mit Freunden zusammen beim Abendessen saß: "Breaking News: Gottschalk bricht 'Wetten, dass ..?' ab. Wettkandidat schwer verletzt." Obwohl wir eigentlich nicht vor hatten, den Abend vor dem Fernseher zu verbringen, haben wir ihn sofort eingeschaltet. Während die Pasta auf unseren Tellern kalt wurde, saßen wir wie gebannt davor. Es war die Sensationslust, die uns zur Fernbedienung hat greifen lassen. Die Bilder, die da jetzt im "Heute Journal" gezeigt wurden, das Interview mit einem tief erschütterten Gottschalk und die Verzweiflung in den Gesichtern der Zuschauer, waren das perfekte Material, um diese Lust zu befriedigen.

Es ist dieselbe Lust, die uns dazu verleitet, bei einem Autounfall unvernünftiger Weise einen Blick aufs Geschehen zu erhaschen. Nur um die Bilder im nächsten Moment wieder aus unseren Köpfen zu verdrängen. Doch diese Bilder blieben hängen: Wettkandidat Samuel Koch, der Anlauf nimmt, mit dem Kopf auf dem Autodach aufschlägt und schließlich reglos am Boden liegen bleibt. Und mehr noch. Nachdem die Sensationslust befriedigt war, merkte ich, wie tiefe Bestürzung in mir aufkam. Ich war traurig, sogar betroffen. Und es ging nicht nur mir so, sondern auch meinen Freunden. Ich bin mir sogar sicher, dass wir Tränen in den Augen hatten.

"Scheiße verdammt, der arme Junge!"

Mehr als eine Woche später, als am Montag die Nachricht von Samuels Ärzten kam, dass er für immer behindert sein wird, stiegen diese Tränen wieder in mir auf. "Scheiße verdammt, der arme Junge!" Ich fühle mit dem Schicksal eines 23-Jährigen mit, den ich gar nicht kenne. Der mir noch nie im Leben begegnet ist, über den ich nur wenig weiß. Ich weiß nicht, ob er Humor hat, ob ihn die gleichen Dinge bewegen wie mich. Warum also berührt mich das Schicksal von Samuel Koch?

Als deutsche Soldaten tot aus Afghanistan zurückkamen, dachte ich: Schlimm. Tief bewegt hat es mich nicht. Vielleicht aus der Abgeklärtheit heraus, dass diese Männer wussten, auf was sie sich einließen. Ihnen musste klar gewesen sein, dass Kabul ein gefährliches Pflaster ist und dass dort das Sterben wohl zum Berufsrisiko eines Soldaten gehört. Dachte ich. Doch das gleiche müsste ich eigentlich auch über Samuel Koch denken. Er ist ein erwachsener Mann, der wissen musste, worauf er sich bei der Wette einließ. Wer mit Sprungstelzen Anlauf auf fahrende Autos nimmt, ist selbst schuld, wenn's schief geht. Oder? Wenn mein Kopf auch so denken mag, mein Bauch tut es nicht.

Die heile Welt bei "Wetten, dass ..?" ist bedroht

Ich bin mit "Wetten, dass ..?" groß geworden. Kann mich daran erinnern, wie meine Eltern früher auf der Couch über Frank Elstner gelästert haben und ich als Kind gar nicht verstehen konnte, warum. Für mich war die Show einfach nur toll. Ich kann mich an die Wette mit den Wärmflaschen erinnern, die einer wie Luftballons aufgeblasen hat, daran, wie Thomas Gottschalk die Sendung übernommen hat und daran, wie Wolfgang Lippert mich mit seiner anbiedernden Art zum Fremdschämen gebracht hat. Und obwohl ich heute, statt "Wetten, dass ..?" zu gucken, lieber mit Freunden den Samstagabend verbringe, mag ich die Sendung. Sie ist ein Teil meiner Jugend, viele schöne Erinnerungen sind damit verbunden. Eine heile Welt, in die ich für ein paar Stunden hätte fliehen können, die aber jetzt durch den schrecklichen Unfall von Samuel Koch bedroht ist.

Doch meine Verbundenheit zu "Wetten, dass ..?" ist nur ein Teil der Erklärung, warum mich Samuel Kochs Schicksal so berührt. Der andere ist Samuel selbst. Die wenigen Minuten seines Auftritts haben ausgereicht, um mir ein Bild von ihm zu machen. Es ist das Bild eines sportlichen, gutaussehenden und sympathischen Jungen. Genau der Typ, mit dem man auch in der Schule hätte befreundet sein wollen. Die Sportskanone, die man in seinem Fußballteam hätte haben wollen.

Samuel ist einer, den man zum Freund haben möchte

Es ist das Lena-Phänomen. Obwohl sie nie etwas über ihr Privatleben preis gegeben hat, wir bis heute nur wissen, wie sie auf der Bühne ist, hat Lena Meyer-Landrut ganz Deutschland in diesem Jahr zum Mitfiebern gebracht. Das liegt, glaube ich, daran, dass besonders diejenigen Personen beim Publikum gut ankommen, mit denen sich die Zuschauer identifizieren können. Viele suchen auf der Bühne jemanden, den sie gerne selbst zum Freund oder zur Freundin haben möchten.

Samuel Koch ist so einer, den man wahrscheinlich gerne zum Freund haben will. Zumindest einer, mit dem man sich identifizieren kann. Und genau deshalb macht mich, macht Millionen Deutsche sein Schicksal so traurig.

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