Herr Becker, Sie haben ein Ratgeberbuch geschrieben, es geht um Kindererziehung. Wieso sind ausgerechnet Sie da kompetent?
Das Buch ist nicht nur ein Ratgeber, es hat auch durchaus biografische Züge. Aber Sie haben recht, ich maße mir nicht an, alles richtig zu machen. Ich berichte von meinen Erfahrungen und stelle vor allem Fragen - an ein Expertenteam von Wissenschaftlern. Väter fragen sich ja untereinander immer, wie machst du das denn? Ich hab das alles gesammelt.
Zum Beispiel, wie Scheidungskinder mit jeweils getrenntem Zuhause bei Mutter und Vater leben. Oder sich unterschiedlich geliebt fühlen. Oder dass Scheidungsväter immer ein schlechtes Gewissen haben.
Ja, ich habe immer ein schlechtes Gewissen. Und viele andere haben mich gefragt, wie ich damit umgehe, und ich habe andere gefragt, wie sie damit umgehen. In dem Buch beantwortet Professor Wassilios Fthenakis, ein renommierter Familienforscher, diese Fragen dann für uns Väter.
Also Sprechstunde mit Patient Becker. Aber Sie überraschen uns auch mit Details Ihrer Biografie und Ihres heutigen Familienlebens.
Über mich ist so vieles geschrieben worden, nicht wenig davon war von A bis Z erlogen. Mit diesem Buch will ich mich selbst zu Wort melden, weil die Wahrheit oft anders aussieht.
Wir dachten ja, dass über Ihre Vergangenheit alles bekannt ist. Jetzt erzählen Sie von einem Autounfall, den Sie als kleines Kind …
Da war ich drei. Der Wagen überschlug sich, als ich mit meinem Onkel im Winter auf glatter Fahrbahn unterwegs war. Das war so schlimm, dass ich für lange Zeit zu sprechen aufhörte, und als ich wieder etwas sagte, zu stottern anfing. Ich musste mir die Wörter wieder erarbeiten und die Sprache zurückgewinnen. Es ist mir lange schwer gefallen, flüssig zu sprechen - und über meine "Ähs", die ich in Interviews nicht vermeiden konnte, haben sich ja viele lustig gemacht.
Ist das Buch auch eine späte Rechtfertigung Ihres Lebens?
Es ist die Beschreibung einer Familienzusammenführung. Ich musste mich auch äußern, weil sehr viel Unwahres und Hässliches über meine Tochter Anna behauptet wurde. Da musste ich als Vater etwas tun, um sie zu schützen. Ich kann mich ja heute auch vor Gericht zunehmend erfolgreich wehren, meine Kinder nicht.
Sie schreiben auch, wie sehr Sie die Zurschaustellung Ihrer Tochter Anna stört.
Mir tut es in der Seele weh, wie besonders dieses Jahr meine Tochter in der Öffentlichkeit zur Schau gestellt wurde, sei es in TV-Interviews oder bei Kindermodeschauen. Meines Erachtens ist es die Aufgabe von Eltern, die eigenen Kinder zu schützen. Bei meinen Söhnen habe ich gemeinsames Sorgerecht, bei meiner Tochter leider nicht. Sie können mir glauben, dass ich darum kämpfe.
Ein Gerichtsstreit mit Angela Ermakowa würde den familiären Frieden gefährden, oder?
Ich streite mich mit dieser Frau seit Jahren. Das ist keine PR-Kampagne, sondern hier geht es um die Familie Becker. Meine Tochter hat es verdient, ihre Brüder und ihren Vater regelmäßig zu sehen.
Sie haben ja einiges hinter sich. Scheidung, Schlagzeilen, Sorgerechtsstreit. Heute leben Sie mit drei Kindern auf zwei Kontinenten und sind ein Vielflieger-Vater. Haben Sie sich das je so vorgestellt?
Nein, mein Plan war anders. Ich wollte mit meiner ersten Frau mein Leben lang verheiratet bleiben, ich wollte, dass es noch mehr als zwei Kinder werden und dass wir in München wohnen bleiben und sich alles um diesen Nabel der Welt abspielt. Und nicht wie heute in Miami, London und Zürich.
Mit Ihren Problemen sind Sie nicht allein. Die Scheidungsrate in Deutschland beträgt 51 Prozent.
In meinem Freundeskreis ist die Scheidungsrate leider noch höher. Bedauerlicherweise ist es fast abnormal, wenn einer noch mit der ersten Frau verheiratet ist. Warum wir dieses Problem in Deutschland haben, weiß ich nicht genau. Die Rolle der Frau hat sich in den vergangenen 30 Jahren sicherlich verändert. Aber auch die Rolle des Mannes beziehungsweise des Vaters ist eine andere als damals. Jedenfalls muss man sich heute nicht mehr im Keller verstecken, wenn die Ehe in die Brüche geht. Bei mir war es aber so, dass ganz Deutschland be- und verurteilte, was ich da mache. Da war es besser, ein paar Jahre im Keller zu bleiben.
Sie beklagen in Ihrem Buch, dass es Kindern heute an Bewegung mangelt. Schuld daran seien auch Eltern, die ihre Kinder mit dem Auto zur Schule fahren, auch wenn die nur drei Straßen entfernt ist.
Ja, und dann sind die Kinder in der Schule und haben in der Woche vielleicht 45 Minuten Schulsport. Die Schule geht meist bis zum Nachmittag, und dann haben die Eltern und die Kinder keine Lust oder Zeit mehr, in einen Sportverein zu gehen. Sport hat heute nicht mehr die Bedeutung wie zu meiner Zeit. Und es geht dabei ja nicht um Leistungssport, sondern Sport als Lebensschule. Disziplin, Teamfähigkeit, gewinnen können und verlieren lernen, das erfährt man ja alles im Sport.
Heute spielen die Kinder Fußball auf der Playstation.
… und deshalb ist der richtige Sport umso wichtiger.
Was sagen Sie denn Vätern, die ihre Kinder nicht vom Bildschirm weg auf den Bolzplatz locken können?
Mitmachen. Den Ball nehmen und vorangehen, den Sport vorleben.
Manchen Eltern reicht das nicht, sie scheuchen ihre Kinder über Sportplätze und durch Schwimmbecken, in der Hoffnung, aus ihnen Stars zu machen.
Solche Eltern kenne ich auch aus dem Tennis. Diese Art von Ehrgeiz halte ich aber für einen Fehler. Kinder dürfen nie das Gefühl haben, dass die Eltern ihre Rolle verlieren und plötzlich beruflich abhängig sind von ihren Kindern, weil sie deren Manager werden. Es wäre der Untergang eines Kindes, wenn die Eltern von ihnen bezahlt werden würden. Wir Eltern müssen immer die Insel sein, auf die sie sich zurückziehen können, wenn sie vielleicht einfach nur reden oder schlafen wollen.
In Ihrem Buch schreiben Sie auch etwas erschrocken über Ihre Ausflüge in die Internetwelt der Kinder.
Ja, im Internet gibt es genügend Plattformen, auf denen sich Kinder und Jugendliche austauschen. Das klingt erstmal harmlos, bis man es selbst gemacht hat und sieht, welche Gefahren da lauern. Die Kommunikation ist unpersönlich, Kinder wissen erst mal nicht, wer sich da mit ihnen unterhält, Kind oder Pädophiler, könnte alles sein. Ich kann das nur kontrollieren im Vertrauen auf die Mutter meiner Söhne. Barbara und ich sprechen oft über die Fallen und Risiken des Internets für Kinder. Barbara ist da sehr streng, montags bis freitags geht mein Sohn Elias so gut wie gar nicht ins Internet. Noah, mein Großer, hat ein Handy für Notfälle, und ins Internet darf er auch nur für schulische Zwecke.
Im Buch warnen Sie auch vor Drogen. Wie verträgt sich das mit dem Boris Becker, der auf Plakaten für Bier wirbt?
Dazu kann ich stehen, weil ich als Fast-Vierzigjähriger eben auch gern mal abends ein, zwei Bier trinke. Da geht es um Glaubwürdigkeit. Zur Marke Boris Becker passt heute Pils.
Sie werden am 22. November 40, da ist man, rein statistisch, dem Tod näher als der Geburt. Die Hälfte des Lebens ist überschritten. Macht Ihnen das Angst?
Nein, mich beruhigt das eher. Ich stelle jetzt fest, was ich in meinem Leben schon alles gemacht hab. Wenn’s morgen vorbei ist, dann sag ich mir: Okay, ich hab mein Haus gebaut, meinen Baum gepflanzt und drei wundervolle Kinder gezeugt. Ich hab ein tolles Leben gehabt. Das gibt mir Genugtuung.
Sie feiern in London. Warum?
Meine Tochter wohnt nur ein paar Straßen entfernt. Außerdem ist London, seit ich mit 17 Jahren zum ersten Mal Wimbledon gewonnen habe, mein emotionales Zuhause. Irgendwie seltsam, dass meine Kinder zusammentreffen und miteinander Englisch sprechen. Hätte mir vor zehn Jahren jemand gesagt, dass die Hauptsprache in meiner Familie mal Englisch sein wird, hätte ich den für verrückt erklärt.
Eine Rückkehr nach Deutschland ist ausgeschlossen?
Ich liebe Deutschland, lebe aber lieber im Ausland. Im Ausland kann ich mich freier bewegen.
Wie ist die Arbeitsteilung in Ihrer Patchwork- Familie?
Ich muss da fairerweise unterscheiden. Die Kommunikation und das Verständnis mit Barbara sind nicht zu vergleichen mit dem Kontakt, den ich zur Mutter meiner Tochter habe. Weihnachten wird zum Beispiel seit sieben Jahren in Miami organisiert, und offenbar macht das der Alte, also ich, ganz gut, weil wir uns jetzt schon wieder darauf freuen. Normalerweise feiern wir das im Haus meiner Söhne alle gemeinsam. Leider fand dieses wichtige Familienfest bisher ohne meine Tochter statt, ich hoffe, das ändert sich bald.
Der Papa wird's schon richten.
Exakt.
Machen Sie's gern oder weil die Frauen das wollen?
Es ist meine Aufgabe.
Zum Familienmanagement kommt bei Ihnen ja auch noch der Geschäftsmann …
Ja, und deshalb kann ich auch nicht faul am Strand liegen, auch wenn es in Boulevardblättern manchmal so aussieht. Auf Strandfotos sehen Sie mich nur deshalb so oft, weil meine Söhne nun mal in Miami Beach leben. Würden Sie in Montana wohnen, gäbe es Bergfotos.
Was machen Sie eigentlich den ganzen Tag?
Arbeiten. Ich arbeite viel.
Was ist Ihr Beruf?
Unternehmer. Ich habe knapp 150 Mitarbeiter, die jeden Monat ihr Gehalt bekommen. Ich verkaufe Autos, Tennisschläger, Tennisbekleidung und mein Gesicht. Darüber hinaus bin ich momentan bei der BBC und Pro Sieben unter Vertrag.
Trotzdem ist der Eindruck entstanden, dass Sie in Ihrem Leben nach der Tenniskarriere noch nicht recht Fuß gefasst haben.
Der Eindruck ist falsch. Ich habe sicherlich eine schwierige Phase aufgrund meiner Scheidung und des Steuerprozesses durchlebt. Da ging es mir sehr schlecht, aber mittlerweile habe ich mich erholt. Heute weiß ich ganz genau, wer ich bin und was ich kann.
Nämlich?
Als ich das Buch schrieb, sind mir ein paar Zeilen des Dichters Rudyard Kipling wieder eingefallen, die auch über dem Eingang zum Center Court in Wimbledon zu lesen sind. Kipling sagt in seinem Gedicht "If ": "Wenn dich Triumph und Sturz nicht mehr gefährden, weil beide du als Schwindler kennst /… lässt du dich nicht von Freund noch Feind bestechen, schätzt du den Menschen, überschätzt ihn nicht /…Dein ist die Erde dann mit allem Gute und noch was mehr, mein Sohn, du bist ein Mann." Da finde ich mich ungefähr wieder.
Bei Pro Sieben startet bald das neue Format "Boris Becker meets …". Wen treffen Sie da?
In der ersten Sendung Wladimir Klitschko. Ich habe ihn tagelang begleitet, mit ihm geboxt, und er hat sich mir auf eine Weise geöffnet, wie er das nie zuvor getan hat. Das sage nicht ich, sondern Klitschko. Die Arbeit fürs Fernsehen macht mir großen Spaß. Wenn die Kamera rollt, dann muss ich funktionieren, und das gibt mir einen Adrenalin-Rush. Der Kick ist vergleichbar mit dem Gefühl früher auf dem Center Court.