Frank Castorf wird 60 Der Mann, der Ziegen auf die Bühne pissen ließ

Kaum jemand hat das Publikum so verstört wie er. Unter seiner Leitung wurde die Berliner Volksbühne zum "Kult"-Theater. Am Sonntag wird Intendant und Regisseur Frank Castorf 60.

Theaterwüterich, Stücke-Zertrümmerer, Provokationsmaschine - Frank Castorf hat schon viele Labels verpasst bekommen. Über lange Jahre hatten Castorfs Inszenierungen immer alles, was ein treuer Besucher seiner Berliner Volksbühne erwartete - es wurde gekotzt, gebrüllt und kopuliert. Legendär: die Kartoffelsalat-Orgie und auf den Boden pissende Ziegen.

Statt werktreuer Stück-Interpretation bieten der Regisseur und seine Schauspieler bis heute lieber genial anarchische, assoziative Happenings mit intellektuellen Seitenhieben auf die aktuelle politische Weltlage. Mittlerweile sind Castorf-Abende ein wenig zahmer, manche sagen lahmer, geworden. Am Sonntag (17. Juli) feiert Castorf seinen 60. Geburtstag.

Seit 19 Jahren ist Castorf Intendant der traditionsreichen Berliner Volksbühne unweit des Alexanderplatzes - noch bis 2013 läuft sein Vertrag. Regelmäßig inszeniert er auch bei den Wiener Festwochen und in Zürich. Unter vier, fünf, sechs Stunden fängt Castorf seine Theaterabende gar nicht erst an. Auch wer den jeweils auf die Bühne gebrachten Stoff kennt, hat oft Schwierigkeiten, Personen und etwaige Handlung wiederzuerkennen. Das macht aber nichts.

Mythenmetz'sche Abschweifungen auf der Bühne

Wichtig sind bei Castorf die abseitigen Abschweifungen, die ausufernden, von Anspielungen auf historische, literarische und zeitgenössische Texte berstenden Monologe und die tragikomischen Slapsticks. Castorf inszenierte Heiner Müller, Shakespeare, Brecht, Tschechow, Ibsen, Bulgakow und Tennessee Williams.

Mittlerweile ist Castorf Spezialist für Roman-Adaptionen und bringt mit Vorliebe Dostojewski auf die Bühne. Nachdem er zuletzt immer wieder dafür kritisiert wurde, dass seine seit Jahren praktizierten Theatertricks nicht mehr richtig zünden, erntete Castorfs Version von Dostojewskis "Der Spieler" bei den Wiener Festwochen gerade wieder Applaus.

Als Außenseiter in der DDR-Theaterprovinz machte der am 17. Juli 1951 als Sohn eines Eisenwarenhändlers in Ost-Berlin geborene Castorf schon früh auf sich aufmerksam. Nach einem Studium der Theaterwissenschaften ging er als Dramaturg zum Theater der Bergarbeiter in Senftenberg. Anfang der 80er Jahre sorgte er mit frechem, oppositionellem Theater in Anklam für Aufsehen. Seit 1989 inszenierte Castorf auch in Westdeutschland. 1992 wurde er Intendant der Berliner Volksbühne. Schon ein Jahr später wurde das Haus zum "Theater des Jahres" gekürt.

Als einer der ersten arbeitete Castorf mit Videokameras. Deren auf Leinwände projizierte Bilder lassen die Zuschauer das Geschehen aus allen möglichen und unmöglichen Winkeln erleben - perfekt für die stets von Bühnenbildner Bert Neumann gestalteten verwinkelten Bühnenräume. Bald war die Volksbühne "Kult" bei jungen Theatergängern. Castorf band Regisseure wie Christoph Schlingensief, Christoph Marthaler und René Pollesch an das Theater.

Das Volksbühnen-Ensemble mit Henry Hübchen, Martin Wuttke, Sophie Rois, Kathrin Angerer, Herbert Fritsch, Bernhard Schütz, Matthias Matschke, Silvia Rieger und Astrid Meyerfeldt wurde für viele Zuschauer zur Volksbühnen-Familie von nebenan, zu deren wilden Performances man sich immer wieder gerne einladen ließ.

Viele Schauspieler gehen heute aber eigene Wege: Hübchen ist oft im Fernsehen zu sehen, Fritsch führt an verschiedenen deutschen Theatern selbst Regie. Sophie Rois macht Kino, wurde zuletzt für ihre Rolle in Tom Tykwers "Drei" mit Preisen bedacht, ist aber immer noch in Volksbühnen-Inszenierungen zu sehen. Castorf selbst wird nach vielen Roman-Adaptionen im Herbst am Münchner Residenztheater das Horváth-Stück "Kasimir und Karoline" inszenieren - mit Birgit Minichmayr und Nicolas Ofczarek in den Hauptrollen.

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Elke Vogel, DPA

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