2012 erkrankte Lauren Wasser durch einen Tampon am Toxischen Schocksyndrom. Innerhalb kürzester Zeit wurden dem Model beide Unterschenkel amputiert. Über die schwerste Zeit in ihrem Leben und ihren Weg zur Selbstliebe schreibt sie jetzt in einem Essay.
Am 3. Oktober 2012 ändert sich das Leben von Lauren Wasser von jetzt auf gleich. Die damals 24-Jährige erkrankt am Toxischen Schocksyndrom (TSS), ausgelöst durch einen Tampon. Die bakterielle Infektion verbreitet sich in rasanter Geschwindigkeit in ihrem Körper, ihre Organe drohten zu versagen, die Ärzte versetzen das Model in ein künstliches Koma. In kürzester Zeit erleidet Wasser zwei Herzinfarkte und Nierenversagen. Ihre Überlebenschancen schätzen die Ärzte auf nur ein Prozent ein. Durch Wundbrand wird ihr dann erst der rechte, wenige Jahre später dann auch der linke Unterschenkel amputiert.
Für Wasser bricht eine Welt zusammen. Auf dem Höhepunkt ihres Lebens fällt sie in ein Loch aus Selbstzweifeln, Depressionen und Selbstmordgedanken. "Als ich unter unerträglichen Schmerzen aus dem künstlichen Koma erwachte, erkannte ich mich selbst nicht mehr. Meine ganze Identität war mir genommen worden, meine Schönheit und mein Körper, die mich, so dachte ich damals, erst zu dem gemacht hatten, was ich war", erinnert sich das Model zurück.
Depressionen und Selbstmordgedanken
Elf Jahre später offenbart Wasser in einem Essay, wie sie die schwerste Zeit ihres Lebens überwunden – und wieder zu sich selbst gefunden hat. Sie teilt ihre Geschichte von dem Zeitpunkt an, an dem sie bewusstlos zuhause aufgefunden und in ein Krankenhaus gebracht wurde. In dem Moment, als sie schließlich aus dem Koma erwacht, beginnt sie zu begreifen, dass nichts in ihrem Leben mehr so sein wird, wie es einmal war.
Wasser rutscht in eine tiefe Depression, spielt mit dem Gedanken sich das Leben zu nehmen. "Ich dachte, dass ich niemals mehr geliebt werden würde, ich dachte, ich würde nicht mehr gewollt werden - und ich war mir sicher, dass die Modewelt mich nicht mehr akzeptieren würde", sagt sie.
"Schönheit liegt in der Art und Weise, wie wir andere und die Welt beeinflussen"
Wasser wuchs in Kalifornien neben Model-Ikonen wie Naomi Campell und Cindy Crawford auf. Ihre Eltern waren selbst Models, ihren ersten Auftritt in der italienischen "Vogue" hatte Wasser im Alter von zwei Monaten. Mit ihrer Amputation war für die passionierte Basketballspielerin weder an Sport noch ans Modeln zu denken. "Ich saß auf einem Stuhl in der Dusche und schrie Gott an, ich fragte mich selbst, wie es dazu kommen konnte", erzählt Wasser. Das Model steht kurz davor sich aufzugeben. Doch sie schafft den Absprung. Die Liebe zu ihrem damals 13-jährigen Bruder – und der verzweifelte Glaube an sich selbst und eine bessere Zukunft retten ihr das Leben.
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"Ich musste mich zwingen, tief in mich zu gehen, um zu entdecken, dass Schönheit nicht nur im Äußeren liegt, sondern in der Art und Weise, wie wir andere und die Welt beeinflussen", sagt das Model. Durch diese ausgeprägte Selbstwahrnehmung beginnt Wasser, ihr Schicksal zu akzeptieren und selbst in die Hand zu nehmen. Sie weiß: Ihre vermeintliche Schwäche muss zu ihrer Stärke werden – und verwandelt ihre Prothesen zu ihrem Markenzeichen.
Das Mädchen mit den goldenen Beinen
"Ich habe Gold immer geliebt, also habe ich entschieden, meine Beine zu einem Schmuckstück zu machen, bewusst etwas zu kreieren, das die Leute anschauen und von dem sie fasziniert sind. Das Ergebnis, glaube ich, kommt Kunst ziemlich nahe," schreibt Wasser über ihre neuen Prothesen, die das medizinische Standardmodell seither ersetzen. Und das sieht auch die Modewelt so. Die heute 35-Jährige wird wieder gebucht, schreitet als "Mädchen mit den goldenen Beinen" über die Laufstege von Designern wie Louis Vuitton oder Dolce & Gabbana.
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Mittlerweile ist Wasser zu einem Symbol für Selbstliebe, Selbstakzeptanz und Diversität geworden. "Ich glaube, wir sind alle damit aufgewachsen, nur diese eine, idealistische Seite von Schönheit zu sehen. Vor allem in der Modewelt. Wir müssen uns mehr und mehr mit unrealistischen Schönheitsidealen auseinandersetzen, die wir zum Beispiel auf Instagram sehen", sagt die Ikone im Interview mit "Vogue" und weiter: "Wir alle sind einzigartig und besonders auf unsere eigene Art. Das hervorzuheben und zu feiern und wirklich zu zeigen, was in uns steckt, was auch immer das sein mag, ist sehr stark."
"Wie ein Ritter in glänzender Rüstung"
Erst kürzlich präsentierte sie die Frühjahrskollektion von Louis Vuitton auf einer Modenschau in San Diego "wie ein Ritter in glänzender Rüstung". An diesen Moment erinnert sie sich voller Stolz zurück: "Als die Sonne hinter dem wunderschönen, brutalistischen Salk Institute unterging und lange Schatten auf den Beton-Laufsteg warf, trat ich in einem bodenlangen, silbernen Mantel hervor - meine Beine schimmerten golden wie das Abendlicht unter metallischen Shorts hervor - und wies den Models hinter mir den Weg."
Wasser hat den Weg zurück zu sich selbst gefunden. "Ich bin (...) wie alle anderen. Ich kann alles anziehen; ich kann alles machen. Der eine Unterschied? Meine Beine sind aus Gold. Das ist eine Überzeugung, die jeden Aspekt meines Lebens betrifft - als lesbische Frau denke ich, dass alle Menschen es verdienen, jemanden zu haben, der zu ihm passt, der ihm das Gefühl gibt, besonders zu sein und geliebt zu werden. Wir sind alle Menschen und wir sollten von allen so akzeptiert werden, wie wir sind", schließt sie in ihrem Essay.
Wasser will auf die Gefahren von TSS aufmerksam machen
Neben dem Ziel von Wasser, ein Vorbild für Selbstliebe und Selbstwirksamkeit zu sein, möchte das Model auf die Gefahren von TSS weiter aufklären. Die durch Keime ausgelöste Multiorganerkrankung äußert sich zu Beginn durch Symptome wie hohes Fieber, Hautausschlag oder Erbrechen, verschlechtert sich in unaufhaltbarem Tempo und führt im schlimmsten Fall zu Organversagen und zum Tod. Zwar kommt die Erkrankung mit einer Wahrscheinlichkeit von 1 zu 200.000 eher selten vor, verläuft jedoch meist tödlich. "Wir Frauen brauchen einfach mehr Aufklärung über TSS", fordert Wasser.
Zudem macht das Model Tampon-Hersteller für die Krankheit mitverantwortlich. Der Einsatz von Chemikalien oder Überreste dieser in den Hygieneprodukten steigern das Risiko, an TSS zu erkranken. Tampons begünstigen bei regelmäßigem, sehr langem Gebrauch von mehr als acht Stunden die Entstehung von Bakterien wie Staphylokokken oder Streptokokken. Gelangen diese durch offene Hautstellen wie Wunden ins Blut, entstehen Giftstoffe, auf die der Körper mit einem Schockzustand reagiert.
Warnhinweise auf Hygieneartikeln
Darauf müsse aufmerksam gemacht werden warnt Wasser. "In Tampon-Werbungen sieht man ein Mädchen am Strand entlanglaufen, aber wo ist die Warnung vor dem möglicherweise tödlichen Schaden, den dieses Produkt verursachen kann?", schreibt sie. Sie fordert deutliche Warnhinweise auf Verpackungen von Hygieneprodukten, bei denen niemand eine Gefahr vermutet – so wie es auf Zigarettenschachteln schon seit Jahren praktiziert wird.
Bereits in den 70er- und 80er-Jahren kam es zu einer Welle an TSS-Fällen, wobei viele gesunde Frauen verstarben, die extrem saugstarke Tampons verwendet hatten, in denen synthetische Stoffe wie Viskose Rayon verarbeitet worden waren. Seither ist TSS auch als "Tamponkrankheit" bekannt.