Was für ein beschauliches Bild: Sie liegen bei Tee und Keksen in der guten Stube, eine Decke über den müden Beinen, draußen fällt sanft der Schnee...
Jetzt hören Sie bloß auf - ich werde hier verrückt! Es hat mich mit dem Mountainbike auf dem Eis hingehauen: Absplitterung des Hüftknochens. Eine schmerzhafte und langwierige Sportverletzung. Jetzt komme ich völlig aus dem Training.
Natürlich dramatisch für einen 68-Jährigen.
Ach was, das Alter ist mir egal. Ich mache seit 50 Jahren Sport, damit werde ich nicht plötzlich aufhören! Vormittags wird drei bis fünf Stunden lang trainiert, im Sommer auf dem Rad, im Winter auf Skiern. 40 oder 50 Liegestütze gehen noch ganz ordentlich. Und alle 14 Tage ein Wettkampf. Solange die Organisatoren nicht mit dem Abbau der Zeitmessung auf mich warten müssen, mach ich weiter.
Verfolgen Sie Wettkämpfe im Fernsehen?
Natürlich. Wie schnell rennen die heute, wie weit springen sie - das interessiert mich sehr. Und wenn der SC Freiburg spielt, dann gehe ich ins Stadion. Oder zur Tour de France oder zum Giro. Da fahre ich dann die Etappen ab.
Sie scherzen.
Von wegen. Das ist für mich das Größte: morgens früh los, am Rand auf das Feld warten und hinterherfahren. Es ist toll zu sehen, was die Jungen heute bringen.
Da hat sich in den Jahres einiges geändert.
Und wie! Solche Karrieren wie früher kann es heute gar nicht mehr geben. Da gewinnst du als kleiner Schwarzwaldbub die Goldmedaille in Amerika, und zu Hause stehen 25 000 Menschen im Dorf, um dich zu begrüßen. Ich war plötzlich ein bekannter Mann. Sie müssen verstehen: Ich komme aus dem Wald. Da spricht man mit Tieren und Pflanzen - auch mit denen nur wenig...
Zur Person
Georg "Jörgli" Thoma, 1937 als Zweitältester von sieben Kindern eines Skilehrers geboren, begeisterte sich früh für die Nordische Kombination. Nach seinem Olympiasieg 1960 gewann er als erster Mitteleuropäer den norwegischen Königspokal am Holmenkollen - vier mal hintereinander. 1966 beendete er als Weltmeister die Karriere. Später arbeitete er als Holzfäller, Postbote, Skilehrer und Versicherungsagent. Thoma, Vater einer Tochter, lebt mit Frau Annemarie in Hinterzarten.
Später haben Sie als Postbote gearbeitet.
Jawohl, als schnellster Briefträger der Republik. Da war ich eine offizielle Touristenattraktion. Ich habe mich an den Rummel damals nur langsam gewöhnt. Dabei war das im Vergleich zu heute gar nichts. Gucken Sie nur das Gekreische von den Mädels bei Sven Hannawald oder Martin Schmitt an. Wir waren froh, wenn wir am Auslauf überhaupt mal eine gesehen haben!
Treffen Sie sich in Hinterzarten oft mit den Skiflugstars? Dieter Thoma ist ja ihr Neffe...
Ab und zu, Hinterzarten ist schließlich Olympiastützpunkt. Die Jungen hören gern alte Geschichten, staunen, mit welch einfachen Mitteln wir gearbeitet haben.
Tun Ihnen die heutigen Spitzensportler leid?
Na ja, ich sage schon manchmal: Wozu braucht ihr die Manager? Der ganze Zinnober bringt dem Sport doch nix. Die quetschen eure Karriere aus, ihr müsst dem Herrn Direktor die Hand geben und wärt doch viel lieber auf der Schanze. Aber Mitleid habe ich keines - in jedem anderen Beruf hätten sie auch Stress. Nur weniger auf der Bank!
Was treiben Sie sonst so - wenn Sie keinen Sport treiben?
Ich kümmere mich als Pate um mein Skimuseum, als Ehrenbürger um die Touristen und als Rentner um meinen Garten. Außerdem habe ich noch ordentlich Autogrammpost und veranstalte immer wieder Ausflüge mit Schulklassen, Wirtschaftsleuten oder anderen Stadtmenschen. Wir gehen in den Wald, ich zeige ihnen, wie man eine Forelle mit der Hand fängt und wo das Wild steht. Danach machen wir ein Feuer, vespern Speck und einen ordentlichen Schnaps, und hinterher sind alle ganz begeistert. Der Mensch muss halt wieder zurück zum Normalen - zum Glauben und zur Natur.
Interview: Christoph Wirtz