Frauen sollten Frauen helfen: Dieses Motto nehmen die Beziehungsexpertin Ruth Marquardt und die Rechtsanwältin Sandra Günther ernst, indem sie gemeinsam ein Buch namens "Wenn Liebe toxisch wird" veröffentlichten. Sie sprechen über ihren eigenen Leidensweg und geben Tipps, wie man sich aus einer ungesunden Partnerschaft befreit und wieder zu sich selbst findet.
Sind Frauen öfter Opfer von toxischen Beziehungen und psychischer Gewalt? Wenn ja, warum?
Sandra Günther: 80 Prozent der Opfer toxischer Beziehungen sind Frauen. Dies liegt nicht zuletzt auch an dem Kräfteverhältnis zwischen Mann und Frau. In der Regel sind Frauen kleiner und damit schwächer als Männer. Dabei muss ich aber auch anmerken, dass Männer noch viel weniger dazu bereit sind, öffentlich zu machen, wenn sie Opfer von beispielsweise psychischer Gewalt wurden.

Ruth Marquardt: Die aktuellen Zahlen sprechen für sich. Medienberichten zufolge haben die Fälle häuslicher Gewalt im Jahr 2022 um knapp zehn Prozent zugenommen. Am 3. Juli wird in Berlin vom Bundeskriminalamt ein Lagebild zu diesem Thema vorgestellt werden. Außerdem wird eine große "Dunkelfeldstudie" erstellt, weil viele Menschen über ihre Situation gar nicht sprechen und diese statistisch nicht erfasst werden.
Für eine Veranschaulichung festgefahrener Muster in einer toxischen Beziehung nennen Sie im Buch das "Drama-Dreieck" – was ist das genau?
Ruth Marquardt: Das Drama-Dreieck ist ein Konzept aus der Psychologie, das sich mit den Beziehungen und Dynamiken in zwischenmenschlichen Konflikten beschäftigt. Es besteht aus drei zentralen Rollen: dem Täter, dem Opfer und dem Retter. Der Täter ist die Person, die andere schädigt oder missbraucht. Das Opfer ist die Person, die den Schaden erleidet und sich hilflos fühlt. Der Retter ist die Person, die versucht, dem Opfer zu helfen und den Täter zu bekämpfen. Das Drama-Dreieck entsteht, wenn diese Rollen in einem ungesunden Muster rotieren. Das Opfer kann sich in die Retterrolle begeben, indem es versucht, den Täter zu ändern oder zu retten. Der Retter kann sich in den Täter verwandeln, indem er die Kontrolle übernimmt oder manipuliert. Dieses Muster führt zu einem ständigen Wechsel zwischen den Rollen und hält Konflikte oder ungesunde Beziehungsmuster aufrecht. Um das Drama-Dreieck zu durchbrechen, ist es wichtig, Verantwortung zu übernehmen und gesunde Kommunikation sowie Grenzen zu etablieren. Indem man Verantwortung für das eigene Wohlbefinden übernimmt und auf Kooperation statt Konfrontation setzt, kann man aus dem Drama-Dreieck aussteigen und zu einer gesünderen Beziehungsdynamik gelangen.
Frauen nicht gleichwertig: "Männer sind oftmals noch immer das Maß der Dinge"
Ein Zitat aus ihrem Buch ist "Männer erhalten die narzisstische Persönlichkeitsstörung-Diagnose häufiger als Frauen" – woran liegt das?
Ruth Marquardt: Das kann drei Ursachen haben. Zum einen, werden Jungs als Kinder öfter von ihren Eltern gehypet und entwickeln damit ein überbordendes Selbstbewusstsein, zum anderen leben wir in einer patriarchalen Gesellschaft, in der Männer oftmals noch immer das Maß der Dinge sind. Nach wie vor haben wir uns als Frauen daran zu orientieren. Aber auch eine familiäre Vernachlässigung kann dieser Persönlichkeitsentwicklung zugrunde liegen. Manchmal hatten die Elternteile narzisstische Züge und unbewusst ahmt man dies im Erwachsenenalter nach.

Narzissten und toxische Beziehungen neigen eher zu körperlicher Gewalt oder dem finanziellen Ausbeuten einer Person als andere, ein Beispiel ist der "Tinder-Schwindler". Woran liegt das?
Ruth Marquardt: Menschen mit hohem narzisstischem Anteil sind von sich überzeugt. Sie setzen ihre Ziele durch – ohne Rücksicht auf andere. Das Tragische: Sie können zwar feine Signale ihrer Partnerinnen lesen, jedoch scheint es für sie unmöglich, Mitgefühl zu empfinden oder die Bedürfnisse anderer anzuerkennen. Entweder, weil sie es nicht können oder weil sie es nicht wollen. Lügen, Manipulation, Beleidigungen und Gewalt sind für sie selbstverständlich. So können sie beispielsweise überzeugt davon sein, dass die blauen Flecken, die sie der Partnerin zugefügt haben, überhaupt nicht so schlimm sein können.
Viele Frauen zeigen diese Fälle nicht an. Zum einen spielt Scham eine Rolle, zum anderen aber auch, dass es zu wenig Schutz für Frauen gibt. Warum ist das so?
Sandra Günther: Frauen schämen sich oft, da sie denken, sie seien zu dumm gewesen, um zu bemerken, dass sie ausgenutzt worden sind. Sie glauben, sie haben es nicht anders verdient als geschlagen und bedroht zu werden. Dies sind häufige Argumente in meiner anwaltlichen Praxis. Ein Punkt ist sicherlich auch, dass Frauen, besonders mit Kindern, die Sorge haben, ohne den Mann nicht zurechtzukommen. Sie haben Angst, ohne Geld und alleine mit den Kindern dazustehen. Ich kann aber nur allen da draußen Mut machen: Ich kenne nicht eine einzige Mandantin, und ich mache dies seit 2007, die es bereut hat, sich aus einer toxischen Beziehung zu befreien. Ganz im Gegenteil.
Frau Günther, wie ist die Rechtslage, wenn jemand einen finanziell ausgenommen hat und falsche Tatsachen vorgespielte, wie der "Tinder Schwindler" – was kann man tun?
Sandra Günther: Zunächst einmal ist es derartigen Fällen, in denen ein finanzieller Schaden vorliegt, wichtig, sämtliche Beweise für das Geschehen zu sichern. Damit sollte man dann zur Polizei gehen und Strafanzeige zu allen in Betracht kommenden Straftatbeständen erstatten. Was den Betrug anbelangt, der im Hinblick auf die Emotionen des Opfers vollzogen wurde, sieht es schon schwieriger aus. Ich habe bereits mehrfach derartige Verfahren begleitet und in der Regel kommt zumindest strafrechtlich nicht viel bei raus. Die Opfer müssen sich oft gefallen lassen, dass ihnen Naivität vorgeworfen wird und die "Betrüger" können sich sehr gut verkaufen. Zivilrechtlich gibt es jedoch in finanzieller Hinsicht zumindest Hoffnung. Aber auch nur dann, wenn der "Täter" tatsächlich über Einnahmen verfügt, die pfändbar sind.
Eine toxische Beziehung ist rechtlich schwer nachzuweisen – selbst wenn man psychischen Schaden nahm
Emotionale Gewalt ist oftmals nur durch Mitschnitte, WhatsApp Verläufe, Telefonaufzeichnungen etc. nachweisbar. In Deutschland ist dieser Nachweis ohne Einwilligung nicht erlaubt. Was halten Sie als Juristin davon, dass das Datenschutzgesetz offenbar wichtiger ist, als die psychische Gesundheit?
Sandra Günther: Sie sprechen u.a. auf den strafrechtlich nicht genehmigten Mitschnitt an. Das halte ich für schwierig. Mit dem Verbot macht man den Opfern von derartigen Straftaten die Tür zu sich zu wehren. Es gibt aber Mittel und Wege, derartiges Beweismaterial dennoch in den Streitstand einzuführen.
Rein rechtlich, was denken sie, was für ein Gesetz und Strafmaß in einer juristischen Wunschwelt für toxische Beziehungen fehlt?
Sandra Günther: Das möchte ich mir nicht anmaßen, einen Richtwert zu benennen. Aber sicherlich sind die Gesetze und das Strafmaß in derartigen Fällen oft viel zu lasch. Siehe der Tinder Schwindler: Er lebt weiterhin sein überdimensional "tolles Leben" und die Opfer zahlen heute noch ihre Kredite ab. Ich sage es mal so: Man muss, gerade im Zeitalter von Instagram, Tinder usw. hundertfach vorsichtiger sein, auf wen man sich einlässt. Dies zeigt sich sicher nicht in den ersten Tagen, Wochen und nicht einmal Monaten. Wenn es schwierig wird, dann zeigen sich die wahren Gesichter. Also seid vorsichtig und achtsam, überschreitet eure Grenzen nicht und vor allem: Seid vorsichtig, wenn es um das Thema Geld geht.
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