Die Models: zwei Taucherinnen + Meeresbewohner
Die Mode: wasserfeste Designerkleider
Der Fotograf: David Doubilet
Vom Heck der "Sea Ray" baumeln vier Frauenbeine. Tropischer Regen prasselt auf die Oberfläche der Schiffsplattform, die sich aufgrund des starken Seegangs immer wieder hebt und aufs Wasser niederklatscht. Einer der beiden Körper gleitet ins Meer, umhüllt von meterweise azurblauem Stoff, der am Dekolleté mit einer funkelnden Stickerei aus Swarovskisteinen veredelt ist. Ein spannender, ein gefährlicher Moment. In zwei Meter Tiefe, direkt unter dem Boot, befindet sich ein Barrakuda. Silbrig schillernd, wartet er ab, beobachtet. Der Raubfisch, vor dem Taucher mehr Respekt haben als vor den meisten Haiarten, könnte jeden Moment angreifen. Professionelle Wassersportler nehmen vor dem Tauchgang sogar den Ehering ab, denn sie wissen: Alles, was glitzert, lockt die Tiere an und könnte eine Attacke provozieren.
Vorbereitet für ein Unterwassershooting
Doch der Barrakuda regt sich nicht. Das Model, dessen Seidenrobe die Beine umspielt wie eine lange Fischflosse, schließt beide Arme um einen blubbernden Froschmann, der es sanft in Richtung Meeresboden geleitet. Hier ist alles vorbereitet für ein außergewöhnliches Modeshooting. Als erstes Magazin der Welt nutzte der stern das Unterwasserparadies vor den karibischen Cayman Islands, um mit einem Team in bis zu 15 Meter Tiefe aktuelle Designerkleider zu fotografieren - ein Projekt, das nur mit wenigen Fotografen umzusetzen ist. Der beste und berühmteste erklärte sich bereit: David Doubilet, bekannt durch seine sagenhaften Unterwasseraufnahmen, die in zahlreichen Büchern und Magazinen wie "National Geographic" veröffentlicht wurden. Doubilet hat vom Plankton bis zum Hai alles fotografiert, was ihm beim Tauchen vor die Linse gekommen ist. Alles, außer Mode.
Eigentlich ist an Tag eins der stern-Produktion ein Ausflug zu der Stelle geplant, wo sich die majestätischen Stachelrochen am liebsten aufhalten, doch der Sturm mit Windstärke 10 macht ein genaues Ankersetzen unmöglich. Allein die Szene mit dem azurblauen Escada-Kleid bringt das Team an seine Grenzen: Durch die starke Strömung wird das Model binnen Sekunden 30, 40, 50 Meter vom Boot weggetrieben. Eine 1200-Watt-Lampe zerreißt es nach wenigen Minuten; im Wasser eine Kette oder einen Schuh auszutauschen wird zum Kampf gegen die Natur. Nur David Doubilet bleibt unbeeindruckt. Der 60-Jährige, der sich an Land bewegt wie eine Schildkröte, so langsam und gebückt, dass man ihn fast stützen möchte, wird im Wasser zum Delfin: Ein Flossenschlag, und er schnellt durch die Wellen wie der junge Flipper.
Er verlässt das Wasser nur, wenn es sein muss
Mit zwölf Jahren nahm Doubilet zum ersten Mal eine Kamera mit ins Wasser, heute verlässt er sein Lieblingselement nur, wenn es unbedingt sein muss, an seiner Seite ist stets seine Assistentin und Lebensgefährtin, die Meeresbiologin Jennifer Hayes. Auf dem Sportplatz sei er früher eine Niete gewesen, erzählt der New Yorker, doch sobald er im Wasser war, sei er ein anderer Mensch geworden. Oder besser gesagt: ein Fisch. Für den Rest des neunköpfigen Fototeams, allesamt erfahrene Taucher mit Open-Water-Schein, ist diese Art Arbeit eine neue Erfahrung: Unter Wasser gilt nichts, was normalerweise im Fotostudio zählt. Peter Foster-Smith und Mike Sutton-Brown, zwei Rettungstaucher aus dem englischen Lancashire, waren nie weiter als einen Flossenschlag von den Models entfernt, auf ihren Rücken befand sich das wichtigste Accessoire des Shootings: die Pressluftflasche. Binnen Sekunden konnten die Models daraus mit Luft versorgt werden, eine Ersatzflasche stand außerdem immer auf dem Meeresgrund bereit.
Die "Mädchen", das sind erfahrene Unterwasser-Sportlerinnen: Mehgan Heaney-Grier, aufgewachsen in den Florida Keys, verbrachte ihre halbe Kindheit im karibischen Meer und wurde mit 18 erstmals amerikanische Meisterin im Apnoe-Tauchen mit konstantem Gewicht. Mit nur einem Atemzug schaffte sie es 50 Meter tief. Heute, mit 29, modelt sie und wirkt als Schauspielerin und Stuntgirl in Filmen wie "Fluch der Karibik" mit. Die New Yorkerin Emily Adams, 29, lernte bei dem für seine Poolfotos bekannten Fotografen Howard Schatz, wie man unter Wasser in die Kamera lächelt, ohne zu blubbern oder sich zu verschlucken. Und das war schwierig, denn der Fluch der Karibik traf auch die Cayman Islands während der stern-Produktion: Zehn Tage lang stürmte es. Was zunächst für ein Stimmungstief sorgte, entpuppte sich im Nachhinein als Geschenk des Himmels: Das bewegte Wasser und die verschiedenen Lichtstimmungen erzeugten eine Dramatik, die man mit keiner fotografischen Raffinesse hätte herbeizaubern können.
Dutzende neugierige Rochen
Als das Wetter endlich einen Bootstrip auf die andere Seite von Grand Cayman, nach "Stingray City", erlaubt, schwimmen die neugierigen Rochen zu Dutzenden auf die kleine Gruppe im Wasser zu. Frech schlängeln sie sich zwischen Oberschenkeln hindurch, streichen mit ihren samtigen Flügeln über Arme und Rücken und lassen sich streicheln. Mehgan und Emily können sich von den freundlichen Meeresbewohnern erst trennen, als ihre Lippen bereits blau vor Kälte sind.
Tatsächlich sinkt auch die karibische Wassertemperatur von 27 Grad irgendwann auf gefühlte 10. Während bei den Bildern nahe der Wasseroberfläche ein Auftauchen zum Aufwärmen jederzeit möglich war, musste bei den Motiven in über zehn Meter Tiefe strikt auf die Einhaltung der Dekompressionszeiten geachtet werden, mehr als zwei ausgedehnte Tauchgänge in 15 Meter Tiefe waren innerhalb von 24 Stunden nicht möglich. Um die Mädchen auf dem Grund zu halten, mussten bis zu fünf Kilo Blei unter den Kleidern versteckt werden. Der natürliche Auftrieb hätte sie sonst zu schnell an die Oberfläche gezogen.
"Fische sind die schwierigsten Kunden"
Spannend wird es noch einmal beim geplanten Nachttauchgang: Die Models warten, fertig geschminkt und angezogen, auf das Abtauch-Kommando ihres Meisters, doch Doubilet bläst nach einer Inspektion des Meeresgrundes die gesamte Aktion ab. Er hatte im Wasser Seewespen entdeckt - eine giftige Quallenart, die tödliche Verletzungen zufügen kann. Dank Neoprenanzug war ihm nichts passiert. "Fische sind immer noch die schwierigsten Kunden", fasst David Doubilet seinen Ausflug in die Modefotografie am Ende der Produktion zusammen: "Sie kommen und gehen, wann sie wollen, sie sprechen nicht, und sie wollen auch nicht unbedingt fotografiert werden. Mit den Girls konnte ich immerhin in Zeichensprache kommunizieren. Es war eine Art absurde Pantomime-Vorstellung."