Swarovski Meister des schönen Scheins

  • von Stefanie Rosenkranz
Ach, wie es funkelt, oh, wie es glänzt! Dabei sind die Kristalle der Firma Swarovski zunächst mal nicht mehr als ein billiger Edelsteinersatz. Dass der Familienbetrieb vom Kitsch-Hersteller zur Kultmarke aufstieg, ist vor allem zwei Mitgliedern des Clans zu verdanken.

"Wunderbar", haucht ein deutscher Tourist. "Simply amazing", japst eine Britin. "Che bello", sagt unisono und ehrfürchtig ein italienisches Ehepaar. Eine komplette Busladung von Japanern ringt vor Begeisterung nach Luft. Der Grund für diesen kollektiven Orgasmus ist eine Art gigantische Hochzeitstorte, geschaffen vom niederländischen Designer Tord Boontje, über und über bestückt mit Pinguinen, Rentieren, Elchen und Häschen aus Swarovski-Kristall und beheimatet in der "Swarovski Crystal Gallery" in Innsbruck. Nachdem die Besucher sich sattgesehen haben an der schaurigschönen Kreation, fahren sie die Rolltreppe aufwärts in den größten von insgesamt fast 1150 Swarovski-Läden weltweit und kaufen ebenjene Tierchen und dazu noch Bleistifte, Armbänder, Handtaschen, USB-Stecker und Handys, allesamt versehen mit Swarovski-Kristallen. Einige erstehen außerdem noch eine Kuh namens "Missy Mo" für 798 Euro oder Daisy Duck für 192 Euro, natürlich ebenfalls aus Swarovski- Kristall. Die Kreditkartenmaschinen knattern, die Kassen klingeln.

Das ist die fabelhafte Welt der Familienfirma Swarovski, die sich seit mehr als einem Jahrhundert rastlos und ziemlich erfolgreich darum bemüht, ihre Kristalle in jeden Haushalt auf Erden einzuschleusen. Es gibt eigentlich fast gar nichts mehr, was der Klan und dessen Kunden noch nicht mit den glänzenden Klunkern beklebt hätten - Toaster und Luftreiniger, Badezimmer und Motorhauben, Kugelschreiber und Kleider, Skianzüge und Sandalen. Mal ist es cool, mal ist es Kitsch, aber stets ist es heiß begehrt.

Einzigartig in der Welt

Die Saga der Blink-Dynastie beginnt im Jahr 1883, als der böhmische Glasschleifer Daniel Swarovski zur "Ersten Elektrischen Ausstellung" nach Wien reist. Dort hat der Mann aus Georgenthal eine Erleuchtung. Könnte man Kristall, bis dahin immer mühsam mit der Hand geschliffen, nicht mittels einer elektrisch angetriebenen Maschine bearbeiten? Nach neun Jahren Tüftelei ist ein Apparat fertig, mit dem sich die Steine viel schneller fertigen lassen. Das Resultat ist einwandfrei: Die Schliffe sind perfekt, das Kristall glänzt wie nie zuvor. Swarovski lässt seine Wundermaschine patentieren und verlässt Böhmen, aus Angst vor Nachahmern. Im winzigen Dorf Wattens nahe Innsbruck findet Swarovski genau das, was er braucht: ein leeres Fabrikgebäude am Wattenbach, der genügend Wasserkraft für seine Apparate liefert. 1895 beginnt der märchenhafte Aufstieg des Unternehmens. Jeder will den billigen Diamantersatz haben.

Swarovski-Strass ziert die Hüte von Königin Victoria, glitzert an den Kleidern von Coco Chanel und Christian Dior, strahlt an der Robe von Marilyn Monroe, als die 1962 "Happy Birthday, Mister President" für John F. Kennedy ins Mikrofon haucht.

Unablässig wächst das Imperium, längst ist Wattens zur Swarovski-Stadt mutiert. Es gibt eine Swarovski-Straße, ein Swarovski-Denkmal, einen Swarovski- Sportverein und vor Ort genau so viele Swarovski-Mitarbeiter - 7500 - wie Einwohner. Wer hier lebt, lässt auf die Swarovskis nichts kommen. Über das schillernde Klan-Mitglied Fiona, Ex-Freundin von Flavio Briatore und Florian Haffa und derzeit in dritter Ehe mit dem ehemaligen österreichischen Finanzminister Karl- Heinz Grasser verehelicht, wird nicht einmal hinter vorgehaltener Hand getratscht. Und wenn von Andreas Schiestl-Swarovski die Rede ist, der sich Anfang des Jahres nach dem Unfalltod seiner Gattin Margreth das Leben nahm, nachdem er 13 Jahre zuvor erst auf sie und dann auf sich geschossen hatte, müssen die Wattenser erst mal schlucken vor Kummer über die Tragödie. Um dann schnell auf die übrige Verwandtschaft zu verweisen, über die es allenthalben nur heißt, sie sei "herzlich", "bescheiden", "total engagiert" und "wahnsinnig fleißig".

Die Familie, die weltweit 22.000 Menschen beschäftigt, produziert auch Schleif-, Schneide- und Bohrmaschinen für die Industrie, Feldstecher für Jäger und Ornithologen, Reflektoren für Leitplanken sowie die synthetischen Edelsteine "Signity". Und natürlich tonnenweise Kristall in allen Farben, nämlich 30.000 Kilo pro Tag, von winzigen Kügelchen bis zu gewaltigen Tropfen, wie sie etwa am Kronleuchter der Metropolitan Opera in New York baumeln. Wie das Material hergestellt wird, wissen nur die Mitarbeiter in den zwei Werken in Wattens, die alle eine Geheimhaltungsklausel unterschreiben müssen. Außer ihnen und der Familie Swarovski hat kein Mensch Zutritt zu den Produktionsstätten, noch nicht einmal die Marketingstrategen der Firma.

Wo etwas blinkt und glitzert, haben fast immer die Swarovskis ihre Hand im Spiel, ob auf dem roten Teppich in Cannes oder auf der Spitze des Weihnachtsbaums vor dem Rockefeller Center. Bis in die 70er Jahre funkelte die Firma indes im Verborgenen: Nur Insidern war der Name Swarovski ein Begriff. Das änderte sich durch einen Zufall.

1976 klebte ein Mitarbeiter in Wattens zum Spaß zwei kleine Lüsterkugeln auf eine große, und fertig war die Kristall-Maus. Zunächst wurde sie nur an Kunden verschenkt. Wenig später fand sie reißenden Absatz bei den olympischen Winterspielen in Tirol, und im Klunker-Klan reifte alsbald die Idee, Figürchen en masse für solvente Setzkasten-Besitzer herzustellen. Die leben häufig in einer Art Lala-Land, umzingelt von Delfinchen, Igelchen, Ferkelchen, Blümchen, Schäfchen, Kätzchen, Sternchen und tanzenden Tirolerchen, die sich auf Regalen und Vitrinen breitmachen.

Wahre Fanatiker, und das sind immerhin über 400.000 Menschen rund um den Globus, werden gegen eine Gebühr von 33 Euro pro Jahr Mitglied in der "Swarovski Collectors Society" SCS und erhalten zum Vorzugspreis noch mehr von den possierlichen Teilchen, die das Unternehmen weltberühmt machten. Außerdem dürfen sie gratis in die "Kristallwelten", 1995 zum 100. Geburtstag der Firma von André Heller höchstselbst geschaffen. Der Freizeitpark, ausgestattet mit einem Kristalldom, einer Kristallwand, einem Kristallfluss, Kristallkunst von Niki de Saint-Phalle bis Keith Haring und natürlich einem Kristallshop, ist nach Schloss Schönbrunn die größte Touristenattraktion Österreichs.

Bei einem jährlichen Umsatz von fast 2,4 Milliarden Euro und einem geschätzten Gewinn von über 300 Millionen Euro nach Steuern muss sich die fast 150-köpfige Familie eigentlich keine Sorgen machen. Zumal sie in der fünften Generation zwei echte Spitzenkräfte hat. Da ist der Marketing- Fachmann und Firmensprecher Markus Langes-Swarovski, 33, "unter den Führungskräften von Milliarden-Unternehmen einer der wenigen, die man ungeheuchelt als schön bezeichnen darf ", wie das trockene "Handelsblatt" einmal schwärmte. Zu Recht: Der Mann ist groß und schlank, blond sind die Haare, blau die Augen, bar jeder Arroganz ist sein Auftritt. Der Vater einer sechsjährigen Tochter wirkt so gut gelaunt, als sei das ganze Leben eine Swarovski-Torte. Seine 37-jährige Cousine Nadja, Vizepräsidentin für Kommunikation, ebenfalls blond und blauäugig, ist mindestens so schön wie er, wenn auch etwas nüchterner.

Dem Dream-Team ist es zu verdanken, dass Swarovski in den vergangenen Jahren nicht mehr nur der Traum aller Nippes-Adepten ist, sondern total hip. Nadja, die in London lebt, sorgt dafür, dass Modemacher wie Alexander McQueen, Vivienne Westwood, Jimmy Choo und Hussein Chalayan mit den Familien-Kristallen arbeiten. Markus, der bei Wattens wohnt, kümmert sich darum, dass dies auch jeder mitbekommt.

Ein Hohelied auf Daisy Duck

Beide schwören indes, dass sie "Missy Mo und Daisy Duck wundervoll und irre süß" finden (Markus), und nichts lieber haben "als die kleinen Figuren" (Nadja). Kein Wunder, denn die sind nach wie vor eine lukrative Produktkategorie des Unternehmens, auf das Cousin und Cousine ein Hohelied singen. "Je weiter ich weg von zu Hause war, desto mehr habe ich all unsere Produkte geliebt", sagt Nadja, die nach ihrem Kunstgeschichtsstudium in Texas zunächst bei Sotheby's und einer New Yorker PR-Firma gearbeitet hatte, bevor sie "den Drang verspürte, mitzumachen in der Firma. Unser Kristall ist einzigartig, und wir sind die Einzigen, die es in dieser Präzision und Qualität schleifen können. Darauf bin ich stolz". Markus preist "unseren Ururgroßvater Daniel, der die Schönheit aus dem Sperrbezirk der Aristokratie entführt und demokratisiert hat. Mit der gleichen Liebe, die man auch anderen noblen Materialien schenkt, bearbeiten wir Kristall".

Worüber sie allerdings nicht so gern sprechen, sind die komplizierten Familienverhältnisse, die innerhalb der Firma für verworrene Strukturen sorgen: Das Unternehmen hat über 60 Familiengesellschafter, aber keinen Chef. Zu den Eigentümern gehören die Nachfahren von Daniel Swarovskis Kompagnon und Schwager Franz Weis, die zehn Prozent halten. Den Rest teilen sich die "Tiroler Buddenbrooks", wie die Urenkel und Ururenkel des Firmengründers gelegentlich genannt werden. Verkaufen dürfen sie laut Testament von Daniel Swarovski nur an Familienmitglieder. Die Dynastie ist aufgeteilt in sogenannte Stämme, benannt nach Daniels drei Söhnen Alfred, Fritz und Wilhelm. Jeder Stamm hat zwei Vertreter im Beirat, der die Geschicke der Firma lenkt und auch die Mitglieder des achtköpfigen Vorstands ernennt. Weil alle Beschlüsse einstimmig gefasst werden müssen, können Entscheidungen Jahre dauern - oder einfach nie gefällt werden. So wollten in der Vergangenheit einige Mitglieder verkaufen, andere an die Börse und weitere das Unternehmen aufteilen. Nichts von alledem geschah, weil die Familie sich gegenseitig blockierte.

Gerüchteweise geht es bei Familientreffen zuweilen so herzlich zu wie bei den Wagners in Bayreuth. Nadja vom Stamm Fritz, die in der Vergangenheit bereits erfolglos das Schiedsgericht bemühte, um in den Vorstand aufgenommen zu werden, findet jedoch: "Die Überzeugungsarbeit, die man in der Familie leisten muss, trägt zum Erfolg des Unternehmens bei." Ihr Onkel Gerhard, ebenfalls vom Stamm Fritz, urteilte dagegen schon vor drei Jahren: "Man kann keine klaren Entscheidungen mehr treffen", verließ den Beirat und schmiss das Management der Optik- Firma. Markus und Nadja halten dagegen, dass sämtliche Swarovskis "stolz auf unsere Produkte sind und sie erhalten und verbessern wollen. Wir haben eine fantastische Erfolgsgeschichte, nicht trotz, sondern gerade weil wir ein Familienbetrieb sind". Vielleicht trifft ja wirklich Langes- Swarovskis Lieblingszitat von Oscar Wilde zu: "Das Einzige, was nicht trügt, ist der Schein."

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