stern: Frau Biefang, können Sie kurz zusammenfassen, was passiert ist?
Anastasia Biefang: Alles fing damit an, dass jemand einen Screenshot von meinem Tinder-Profil gemacht hat und den an die Bundeswehr gegeben hat. Der Screenshot landete dann beim Personal Management und die haben es weitergegeben an meinen Vorgesetzten. Und der hat entschieden: "Ich bin böse, das geht nicht."
Der war tatsächlich ganz entsetzt und empört und wollte mich am liebsten von meinem Posten ablösen. Er ist dann in der Woche drauf am Montag ins Bataillon gekommen und hat mich dazu angehört oder wie wir es nennen: Ich wurde als Soldatin vernommen.
Ich habe erstmal in der ersten Vernehmung nichts ausgesagt, später aber zugegeben: "Jawohl, das ist mein Profil, das habe ich kreiert. Ich lebe in einer offenen Beziehung und wir haben außereheliche Sexualpartner."
Seit 2019 bin ich dann durch alle Instanzen gegangen. Die haben alle meinem Vorgesetzten Recht gegeben, bis hin zum letzten Dienstgericht. Dort wurde dann die Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht zugelassen und dort gab es diese Woche die Verhandlung mit dem bekannten Ergebnis.
Kritisiert wurde an Ihrem Profil die Wortreihe "offene Beziehung auf der Suche nach Sex. All Genders Welcome”. Wissen Sie inzwischen, was an dieser Formulierung konkret beanstandet wurde?
Ich glaube, es war der Kontext der gesamten Formulierung, wahrscheinlich vor allem das "Auf der Suche nach Sex”. Ja, vielleicht war es nicht die schlaueste Sache, das zu machen.
Mir war es nur wichtig, dass wenn einer mein Profil liest, er oder sie genau weiß, dass ich keine romantische Beziehung suche, sondern einfach nur Geschlechtsverkehr. Und da dachte ich, ist nichts Falsches dran, und denke das heute noch.
Wie sah Ihr Profil aus? Waren Sie direkt als Soldatin zu erkennen?
Nein, man kann mich, wenn man mich nicht kennt, nicht als Soldatin erkennen. Ich hatte ein Foto hochgeladen, auf dem ich in ziviler Kleidung bin. Das Foto hatte meine Frau gemacht, als wir in Berlin in einem Club waren.
Und das Einzige was auf dem Profil steht, war mein Alter, Vorname und dann der besagte Text. Es gab keinen Hinweis im Profil oder auf dem Foto zu meinem Arbeitgeber, keinen Bezug zur Bundeswehr. Nichts, rein gar nichts. Und ich habe auch nicht während der Dienstzeit getindert.
Apps wie Tinder sind auch nicht grundsätzlich verboten bei der Bundeswehr?
Ich kenne nichts, was sagt "Du darfst kein Datingprofil bei Tinder haben, du darfst keinen Geschlechtsverkehr darüber anbahnen." Soweit ich weiß, sind die meisten Sachen nur dann verboten, wenn sie auch strafrechtlich relevant sind oder es eine explizite Regelung der Bundeswehr gibt. Es steht aber nirgendwo drin "Du darfst nicht bei Tinder sein" oder "du darfst nicht in der Art und Weise bei Tinder sein."
Als ich das Profil erstellt habe, hatte ich keinen Ansatz für mich, dass ich etwas falsch mache oder dass das dienstrechtlich geahndet werden könnte.
Wie haben Sie in der Situation reagiert?
Die hat mich voll umgehauen. Ich war gerade auf einer Übung in Polen. Da hat mich mein Vorgesetzter kontaktiert und hat mich informiert, dass er ein Bild bekommen hat und dass das, was darauf steht, ganz schlimm wäre. Er würde sich deswegen überlegen, mich von meinem Dienstposten abzulösen und müsste mich vernehmen.
In der Kaserne und der Bundeswehr waren Sie sicher nicht die einzige Soldatin mit einem Tinder-Profil..
Ich bin schon lange auf Tinder unterwegs gewesen und da sind sehr viele Profile von Soldaten, die dort auch in Uniform auftauchen.
Diese Personen haben wahrscheinlich das Glück, dass sie keine Bataillonskommandeurin und keine sehr offen nach vorne gehenden und “revolutionierende” Aktivistin sind, die sagt: "Ihr müsst euch mal ändern und ins moderne Jahrhundert kommen!"
Ich mache mich damit selbst angreifbar. Dass ich dann denunziert werde, hätte ich trotzdem nicht gedacht.
Das Bundesverwaltungsgericht hat aus ihrem Profil abgeleitet, Sie hätten ein "wahlloses Sexualleben" führen wollen. War das überhaupt so geplant?
(Lacht) Also erstmal bin ich über die Formulierung “Wahllos” mehr als erschüttert.
Es mag vielleicht für manchen Menschen befremdlich sein, dass man mehr als ein Sexualpartner hat oder wechselnde Geschlechtspartner. Meine Ehefrau und ich sind beide sehr glücklich mit dieser Beziehungskonstellation und gönnen uns die Freiheit, auch Geschlechtsverkehr mit anderen Leuten zu haben. Wahllos ist es nicht.
Ich sage immer: "Sollte schon geduscht und sympathisch sein". Er oder sie muss meinem natürlichen Empfinden entsprechen und dann könnten wir auch etwas mehr unternehmen. Ich verstehe mich als polyamourös, kann also auch noch eine weitere Liebesbeziehung führen. Damals wollte ich allerdings keine weitere romantische Beziehung haben.
Aber wahllos ist es mit Sicherheit nicht und auch nicht promiskuitiv, es sei denn, man hat ein Sexualverständnis aus den 50er Jahren.
Das Bundesverwaltungsgericht wirft Ihnen auch einen "erheblichen Mangel an charakterlicher Integrität" vor. Hat man Ihnen das schon mal zuvor in Ihrem Leben vorgeworfen?
Andersrum: Man hat immer stets meine Integrität, meine Führungsstärke und meinen Führungswillen gelobt. Ich wurde letztes Jahr erneut beurteilt durch meine Vorgesetzten und auch da wurde mir bestätigt, dass ich sehr integer bin und auch weiter für Führungsverwendungen verwendet werden soll.
Welche Reaktionen gab es in der Truppe auf das Urteil?
Ich wurde an einem Montag vernommen, da kam mein Chef zu mir ins Bataillon nach Storkow. Ich habe dann am nächsten Tag bei der regulären Besprechung mit meinen Kompanieführern gesagt, warum der General gestern bei uns war.
Da mir auch vorgeworfen wurde, das Vertrauen in meine Stellung beeinträchtigt zu haben, wollte ich auch wissen, ob meine Unterführer das auch so sehen. Ich brauche das Vertrauen von ihnen, um sie zu führen.
Ich habe den Screenshot also auf den Tisch gelegt und hab gesagt: "Darum geht es, das wird mir vorgeworfen, dieses Verhalten" und dann hab ich gesagt: "Ich bitte euch, nehmt euch Bedenkzeit. Wenn ihr euch jetzt nicht mehr von mir als eurer Bataillonskommandeurin führen lassen wollt, dann rufe ich Morgen den Inspekteur an und bitte um eine Ablösung."
Eine Aussage meiner Offiziere am Tisch war dann: "Oberstleutnant, das Bild kennen wir seit 3 Monaten. Das lief schon im Bataillon rum, es interessiert keine Sau, wir kennen Sie!"
Erleben Sie diese Reaktionen auch insgesamt innerhalb der Bundeswehr?
Ich bin die stellvertretende Vorsitzende von QueerBW, der Interessenvertretung der lesbischen, schwulen, bisexuellen, trans und intergeschlechtlichen Angehörigen der Bundeswehr. Was wir hier merken in den letzten Tagen: Wir bekommen sehr viele Anfragen von verunsicherten Soldat:innen, weil sie eben auch nicht mehr wissen, was richtig ist.
Nach dem Motto: Wenn die schon eine Bataillonskommandeurin bestrafen, dann ist das schon ein kritisches Verhalten. Und gerade Menschen, die nicht nur eine:n Partner:in haben und sich daher auf einer Vielzahl von Datingplattformen herumtreiben, sind zutiefst verunsichert.
Wenn ich im Bereich queerer Lebensweisen Leute ansprechen möchte – wie die Bundeswehr das tut und auch möchte – muss man aber auch verstehen und akzeptieren, dass es andere Lebensentwürfe gibt. Die muss ich verstehen und kann nicht sagen "Ihr seid alle herzlich willkommen, solange ihr euch genauso verhaltet, wie wir es uns 1955 als heteronormative Männer gedacht haben."
Was bedeutet das Urteil für Sie persönlich? Kein Dating, kein Tinder mehr?
Nein, um Gottes Willen! Ich werde nun jedes Mal, wenn ich einen neuen Profiltext habe, diesen Entwurf in einem Worddokument aufschreiben, die Bilder dazu fügen, an meinen Vorgesetzten schicken und sagen: "Ich bitte um die Prüfung dieses Profils und um Freigabe."
Und dann dürfen sich meine Vorgesetzten mit einem rein privaten Problem beschäftigen, das die Bundeswehr jetzt zu einem dienstlichen gemacht hat.
Ich würde mir wünschen, dass in den nächsten Wochen und Tagen ganz viele Soldat:innen das Gleiche machen: Entweder ihre Profile direkt an ihre Vorgesetzten mit der Bitte um Billigung und Prüfung zu schicken – das wird bestimmt bei einigen Vorgesetzten Schweißperlen bringen – oder gleich ans Bundesministerium der Verteidigung mit der Bitte: "Wir sind uns unsicher, was wir machen sollen. Wie ist das zu handhaben?"
Da freu ich mich schon auf die Prüfungsschleifen!
Frau Biefang, vielen Dank für das Gespräch!