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Drei Tage wach Wie man in Berlin harte Drogen verharmlost und jeder das ganz normal findet

Party
Alles so verschwommen: In Berlin wird Woche für Woche ein Karneval der Drogenkultur veranstaltet
© iStockphoto/Getty Images
Der Hype um weißes Pulver und bunte Pillen ist groß in Berlin - und wird kaum noch hinterfragt. Was macht das mit uns? Handelt es sich bloß um einen Mythos der Zugezogenen? Und wie hoch ist das Risiko des sogenannten "Wochenendkonsums"?
Von Maren Merken

"Wir haben dir eine Gastgeber-Line mitgebracht." Ich muss wohl sehr verdutzt geschaut haben, irritiert, vielleicht auch ungläubig. Jedenfalls klopfte mir der Bärtige, der in meiner Wohnungstür stand, freundschaftlich auf die Schulter und schob sich dann an mir vorbei in meine Wohnung. Ich war neu in Berlin und ein paar Freunde hatten gefragt, ob sie noch jemanden mitbringen könnten zu meiner Einweihungsparty.

Die "Gastgeber-Line" war eine Line Koks, die betreffender Um-Drei-Ecken-Bekannte mir als vermutlich freundlich gemeintes Gastgeschenk zu meiner Party mitgebracht hatte. Ich fand es nicht nur unangebracht, sondern auch mutig, einem unbekannten Gastgeber eine Line harter Drogen mitzubringen, ohne zu wissen, wie er darauf reagiert.

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Das Lachen der ach-so-entspannten Partypeople

An dieser Stelle höre ich förmlich das Lachen der ach-so-entspannten Partypeople: Koks. Harte Drogen. Völlig übertrieben. Ist es nicht. Kokain ist nicht nur Symbol für ausufernde Parties, sondern vor allem ungesund, gefährlich, macht psychisch schnell abhängig.

Rüdiger Schmolke, Leiter von Chill Out Potsdam, einer Fachstelle für Konsumkompetenz, erklärt: "Die Konsumrisiken sind von der Konsumintensität, der Einnahmeform, der Dosis und Reinheit des Stoffes und der Substanzart abhängig. Daneben aber auch ganz wesentlich vom sogenannten Set, sprich der geistigen und körperlichen Verfassung der Konsumenten, der Konsumerwartung, dem Vorwissen um Risiken etc., und dem Setting (wie sicher ist die Umgebung? Steht im Notfall Hilfe zur Verfügung?) abhängig." Je nachdem wie die Voraussetzungen sind, ist der Konsum unterschiedlich belastend für Körper und Geist, in jedem Fall aber setzen wir uns einer extremen Belastung aus.

Aufgewachsen in Düsseldorf, also in einer Großstadt, haben viele Schulkameraden angefangen zu kiffen, als wir ins Teenageralter kamen. Ich war 15, als ich das erste Mal an einem Joint gezogen und aufgrund der ganzen Aufregung und Anspannung in Ohnmacht gefallen bin. Alkohol und Nikotin – und ja, das sind auch Drogen, wenn auch legale – habe ich so richtig erst mit Eintreten der Volljährigkeit konsumiert. Ich kannte eigentlich schon immer Menschen, die synthetische Drogen konsumieren. Ich hätte gewusst, in welchem Club man wo an Ecstasy kommen konnte und wer im Sub, dem Schickimicki-Kellerclub unserer Jugend, Kokain konsumiert hat.

Meine Eltern haben mich früh aufgeklärt was den Konsum illegaler Substanzen angeht und haben mir trotz Sorge alle Freiheiten gelassen. Und genau das war der Grund, warum ich lange nichts ausprobiert habe, was über den Fehlversuch des Marihuana-Konsums und die legalen Rauschmittel hinaus geht.
Ich hatte immer viel Respekt vor Rauschmitteln, ihrer Wirkung und auch einige mahnende Beispiele in meinem Umfeld. Ich bin in Berührung gekommen mit Suizid im Zusammenhang mit Amphetamin-Konsum, mit Psychosen, Zwangsstörungen und Abhängigkeit. Und ich weiß, es hätte Menschen gegeben, die hätten dem Bärtigen für den Satz mit der Gastgeber-Line nicht nur die Tür von der Nase zugeschlagen, sondern wären vielleicht auch gelähmt gewesen, weil sie traumatisiert sind von den Ereignissen in ihren Familien und Freundeskreisen.

Drei Tage wach: Wie man in Berlin harte Drogen verharmlost und jeder das ganz normal findet

Auch das war einer der Gründe, wieso ich dieses liebevolle Geschenk absolut unpassend fand: Man kennt die Erfahrungen des Gegenübers nicht, die gerade im Zusammenhang mit diesem speziellen Thema traumatisch sein können.
Der Umgang in Berlin, der deutschen Hauptstadt der Technoparties, mit Drogen jeglicher Art ist an Leichtigkeit und Unbedarftheit kaum zu überbieten. Menschen sitzen samstags abends am Esstisch, überlegen am Folgetag ins Berghain zu gehen und man hört schon kaum noch hin, wenn jemand sagt: "Sollen wir uns noch Partymedizin kaufen? Dann ruf ich da eben an." So als bräuchte man noch ein Eintrittsticket. Oder eine Fahrkarte. Ich rufe da eben an und besorge uns welche.

Wie gefährlich ist der "Wochenendkonsum"?

Was macht regelmäßiger Konsum, zum Beispiel jedes Wochenende MDMA, Kokain oder Ectasy mit uns? Wie hoch ist das Risiko von sogenanntem "Wochenendkonsum"? "Geringer als regelmäßigerer Konsum", beantwortet mir Schmolke meine Frage. "Es kommt aber natürlich auch auf die Dosis und Anfälligkeit der betreffenden Person und weitere Umstände an. Bei Wochenendkonsum spielt für uns eher die Vermeidung von akuten Risiken eine Rolle – Stichwort 'safer use'."

Ich habe etlicher solcher Situationen erlebt seitdem ich in der Hauptstadt wohne: Junge Männer und Frauen, die sich bei mir als potenzielle Untermieter vorgestellt haben und gefühlt in Satz zwei von ihrem Konsum gesprochen haben. Von denen ich, wenn meine Reaktion nicht positiv war, nur einen ungläubigen Blick, ein kurzes Lachen und ein "Ja Mensch, wir sind in Berlin, wer ballert hier nicht" geerntet habe. Und auch der, der das Zimmer dann im Endeffekt bezogen hat, musste nach acht Wochen wieder ausziehen, weil er sich genüsslich an meinem Esstisch ein bisschen Koks oder Ketamin oder sonst was durch sein Näschen zog, als ich mit einem Geschäftspartner zum Meeting den Raum betrat. Geburtstagsparties mit MDMA-Bowle.

Karneval der Kulturen mit unterschiedlichen Mitteln, die wie selbstverständlich auf Tabletts rumgereicht werden, Koks-Taxis, die zu Dinnerevents gerufen werden – in Berlin kommt man damit schnell in Berührung. Was viele vergessen, ist, dass Kokain, Ketamin, Ecstasy, MDMA und Speed harte Drogen sind. Wenn ich das äußere, wird das schnell abgetan, weil Freunde und Bekannte als Gefahr vorrangig eine Abhängigkeit sehen. Dass ich Menschen kenne, die teils auch von einmaligem Konsum psychisch erkrankt sind, die Stimmen hören, depressiv sind, für die das Alltagsleben zeitweise eine echte Qual ist, möchte niemand hören. Denn dann müsste man sich ja eingestehen, ganz so harmlos ist die regelmäßige Pille, Line oder auch der Joint eben doch nicht.

Nicht alle Menschen in Berlin sind so, vor allem viele Ur-Berliner nicht. Dieser übersteigerte Drogenkonsum, der Hype um weißes Pulver und bunte Pillen ist auch ein Mythos der Zugezogenen. Die nach Berlin ziehen, weil es eben Berlin ist. Anders, laut, bunt, tolerant. Und so synthetisch. Wer eine weiße Weste hat, werfe den ersten Stein. Ich kann nicht abstreiten, dass die Hemmschwelle sinkt, wenn man umgeben ist von Menschen, die signalisieren: Sieh her, da ist nichts Schlimmes bei, ich kriege mein Leben dennoch auf die Reihe.

Auch ich habe schon synthetische Substanzen ausprobiert. Mit der Folge, dass ich am nächsten Tag vor Herzrasen und körperlichem wie seelischem Unwohlsein fast die Wände hochgegangen wäre. Wenn das passiert ist, habe ich mir am nächsten Tag auf Websites, die uncoole Namen à la "know-your-drugs" haben, durchgelesen, wie betreffende Droge wirkt, welche Gefahren sie birgt und was die Folgen sein können. Allein so ein Herzrasen zeigt selbst dem ignorantesten Konsumenten, dass das nicht gesund sein kann – nicht für den Körper, nicht für den Geist.

Dennoch sinkt die Hemmschwelle in Berlin. Wieso? Oder ist es nicht nur Berlin? "Die Konsumraten von illegalen Substanzen sind natürlich regional sehr verschieden und es gibt ein großes Stadt-/Land-Gefälle. Abwasseranalysen zeigen aber, dass z.B. Kokainkonsum auch im Ruhrgebiet weit verbreitet ist", verrät Schmolke, "er findet aber erheblich weniger im öffentlichen Raum und im Clubleben statt als in Berlin und ist daher auch nicht so sichtbar. In ländlichen Regionen wird dagegen zum Teil sehr viel Alkohol und Tabak konsumiert, was gesamtgesellschaftlich gesehen ein weitaus größeres Problem als der Konsum anderer Substanzen ist."

Drogentest Heroin

Der Mythos Berlin existiert in den Köpfen

Ich merke auch den Kontrast: Wenn ich solche Geschichten in meiner Heimatstadt erzähle, dann sind Freunde schnell noch pikierter als ich es bin. Viele denken vielleicht auch, dass das mit meiner Branche oder meinem Freundeskreis zu tun hat; aber ich weiß, dass mein Freundeskreis eben nicht der typische Konsument, wie ihn andere klischeehaft umschreiben würden, ist, sondern dass wir alle geregelten Jobs nachgehen, in normalen sozialen Geflechten existieren und Partnerschaften und teilweise Familien haben. Der Mythos Berlin existiert also irgendwie doch in den Köpfen, der Woanderswohner – und man selbst sieht ihn irgendwann einfach nicht mehr.

"Berlin ist eine Metropole, in der Vergnügung und Nachtleben schon immer eine bedeutende Rolle gespielt hat", so Schmolke. "Es ist Zuzugspunkt für viele Leute, die ihre angestammten Bezugspunkte verlassen und natürlich auch besondere Probleme und Anfälligkeiten vorweisen. Daneben gibt es eine sehr große und lebendige Film-, Ausgeh-, Club- und Partykultur, von der Berlin als kulturelle Metropole sehr profitiert."

Als mein Freund und ich vor kurzem bei neuen Bekannten auf einer kleinen Hausparty eingeladen waren, bot sich uns das typische Klischeebild: Lauter kleine Mädels Anfang 20, die relativ neu in Berlin waren und sich kichernd ein Tablett mit weißem Pulver vorbereiteten. Die von ihren letzten Trips schwärmten, als seien das Backpackertouren in fremde Länder gewesen. Bei denen klar war, die konsumieren auch für andere, für ein Image, um dazuzugehören.

"Krass, nehmt ihr keine Drogen?"

Manchmal bin ich froh, dass ich in einem Alter in die Hauptstadt gezogen bin, in dem es nicht mehr so viel ums Dazugehören ging. Als man uns etwas anbot und wir ablehnten, wurden wir verwundert gefragt: "Krass, nehmt ihr keine Drogen?" - als sei das das Unnormalste der Welt. Wir haben zwei Gläser Wein getrunken und sind dann gegangen. Und ich habe mich gefragt, wer der fünf Mädels der typische Statistikfall wird. Der, der hängen bleibt und eben nicht die Kurve bekommt. Passiert. Wir sind doch in Berlin, Mann. Und ich frage mich: Hat Berlin vielleicht ein Suchtproblem?

"Nein, ein Suchtproblem ist individuell", sagt Schmolke. "Aber es gibt allgemein in der westlichen Welt viel unkritischen, unreflektierten und verantwortungslosen Konsum, der Sucht befördert." Und das ist genau das, was ich bedenklich finde. Unkritisch, unreflektiert und verantwortungslos - das alles ist nicht angebracht bei Substanzen, die so viel bewirken können. Nicht in Berlin und auch sonst nirgendwo.

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