Hilfe im Gazastreifen: UNRWA-Chef kritisiert US-Stiftung GHF als "Abscheulichkeit"

Trauernde Menschen im Gazastreifen nach Schüssen auf Zivilisten
Trauernde Menschen im Gazastreifen nach Schüssen auf Zivilisten
© AFP
Die Vereinten Nationen haben das von Israel etablierte System zur Verteilung von Hilfsgütern im Gazastreifen scharf kritisiert. Die mittlerweile zuständige von den USA unterstützte Privatstiftung GHF sei eine "Abscheulichkeit", sagte der Leiter des UN-Palästinenserhilfswerks UNRWA, Philippe Lazzarini, am Dienstag in Berlin. An den Zentren kommt es wiederholt zu Chaos und Gewalt: Die Hamas beschuldigte Israel erneut, auf wartende Menschen nahe zwei GHF-Verteilzentren gefeuert und 46 von ihnen getötet zu haben. Das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte warf Israel "Kriegsverbrechen" durch den Einsatz von Lebensmitteln als Waffe vor. 

"Der neu gegründete sogenannte Hilfsmechanismus ist eine Abscheulichkeit, die verzweifelte Menschen erniedrigt und herabwürdigt", sagte Lazzarini. Er kritisierte die Verteilzentren der von den USA und Israel unterstützen Gaza Humanitarian Foundation (GHF) als "eine Todesfalle, die mehr Leben kostet als rettet". Die Stiftung betreibt vier Verteilzentren im Süden und im Zentrum des Palästinensergebiets. 

Israel hatte Anfang März eine Blockade für Hilfslieferungen in den Gazastreifen verhängt, auch UNRWA und anderen UN-Organisationen wurde der Zugang verwehrt. Erst Ende Mai hob Israel die Blockade teilweise wieder auf. Seitdem hat die GHF die Verteilung von Lebensmitteln in dem Palästinensergebiet größtenteils übernommen.

Die UNO und große Hilfsorganisationen verweigern die Kooperation mit der Stiftung. Sie werfen ihr vor, sich nach den Plänen der israelischen Armee auszurichten. An den Verteilzentren der Stiftung kommt es zudem immer wieder zu Chaos und Gewalt. Die radikalislamische Hamas beschuldigte Israel schon mehrfach, Zivilisten durch Schüsse getötet zu haben, die auf dem Weg zu einem Verteilzentrum waren. Israel weist dies zurück.

Israel wiederum wirft UN-Organisationen wie dem jahrzehntelang im Gazastreifen tätigen Palästinenserhilfswerk UNRWA vor, von der Hamas unterwandert zu sein. Ende Januar trat in Israel ein Verbot von UNRWA in Kraft: Das Palästinenserhilfswerk darf seitdem nicht mehr auf israelischem Staatsgebiet aktiv sein, Israel stellte die Zusammenarbeit komplett ein.

Der von der radikalislamischen Hamas kontrollierte Zivilschutz im Gazastreifen meldete am Dienstagmorgen 21 Todesopfer bei einem Vorfall an einem GHF-Verteilzentrum nahe des Netzarim-Korridors. Die israelische Armee habe "im zentralen Gazastreifen mit Kugeln und Panzergranaten" auf Menschen geschossen, die in der Nähe eines Verteilzentrums auf die Ausgabe von Hilfsgütern warteten, sagte Zivilschutz-Sprecher Mahmud Bassal der Nachrichtenagentur AFP. Etwa 150 Menschen seien verletzt worden, fügte Bassal hinzu.

Die israelischen Streitkräfte erklärten daraufhin, die Berichte über Todesfälle in der Nähe des Netzarim-Korridors würden "überprüft". 

Bei einem weiteren Vorfall im Süden des Gazastreifens, etwa zwei Kilometer von einem GHF-Verteilzentrum in Rafah entfernt, seien nach Angaben von Zivilschutz-Sprecher Bassal 25 weitere Menschen getötet worden. 

"Jeden Tag werden wir mit diesem Szenario konfrontiert: Märtyrer, Verletzte in unerträglicher Zahl", sagte der Sanitäter Ziad Farhat im Nasser-Krankenhaus im Süden des Gazastreifens. "Die Krankenhäuser können die Zahl der ankommenden Verletzten nicht bewältigen", sagte er.

UNRWA-Chef Lazzarini forderte Israel am Dienstag auf, dem UN-Hilfswerk Zugang zum Gazastreifen zu gewähren und die humanitäre Versorgung der Bevölkerung wieder zuzulassen. Hilfsorganisationen wie UNRWA hätten die erforderliche "Fachkenntnis", sagte Lazzarini in Berlin. Israel müsse ihnen daher gestatten, ihre Arbeit zu machen und den Menschen im Gazastreifen mit "Respekt und Würde" zu helfen. Es gebe "keine andere Alternative", um die in dem Küstenstreifen drohende Hungersnot zu verhindern.

Israel steht wegen der verheerenden humanitären Lage in dem Palästinensergebiet international unter Druck. Die UNO warnt vor einer Hungersnot im gesamten Gazastreifen.

"Die Verwendung von Lebensmitteln zu militärischen Zwecken gegen Zivilisten schränkt nicht nur deren Zugang zu lebenswichtigen Dienstleistungen ein oder verhindert ihn gänzlich, sondern stellt auch ein Kriegsverbrechen dar", erklärte Thameen Al-Cheetan, Sprecher des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte, bei einer Pressekonferenz in Genf. 

Nach Angaben der Hamas-Gesundheitsbehörde im Gazastreifen wurden seit Ende Mai mindestens 516 Menschen durch israelische Schüsse getötet, während sie sich um Nahrungsmittel bemühten. Fast 3.800 weitere Menschen seien verwundet worden.

Das Internationale Komitee des Roten Kreuzes (IKRK) gab indes bekannt, dass einer seiner Mitarbeiter am Sonntag im Gazastreifen getötet worden sei. "Mahmoud Barakeh, der in der logistischen Unterstützung des Feldlazaretts des Roten Kreuzes in Rafah tätig war, wurde am Sonntag getötet", teilte das IKRK auf seiner Website mit. Es ist bereits der fünfte seit Beginn des Krieges im Gazastreifen dort getötete Mitarbeiter der Hilfsorganisation. 

AFP