Roman Lob wird den Schatten Lena Meyer-Landruts nicht los. Mit deutlich helleren Haaren kehrte die Siegerin des Eurovision Song Contest von 2010 am Donnerstagabend in Baku auf die Bühne zurück und sang im zweiten Halbfinale in einem umjubelten Medley ihr "Satellite". Allen Prognosen zufolge wird der 21-jährige Lob es auch nach dem ESC-Finale am Samstagabend nicht aus Lenas Schatten schaffen: Die exotische Schwedin Loreen und die russische Großmuttergruppe sind favorisiert. Deutschland ist nur Außenseiter.
Lenas Auftritt zusammen mit vier anderen ESC-Gewinnern der vergangenen Jahre war ein Höhepunkt des zweiten Halbfinals in der Crystal Hall von Baku. Darin qualifizierten sich die letzten zehn Länder für das Finale des weltweit meistgesehensten Musikwettbewerbs, in dem am Samstagabend insgesamt 26 Sänger und Bands gegeneinander antreten. Wie schon das erste Halbfinale am Dienstag bot auch der zweite Vorentscheid viel musikalische Einfalt. Umso deutlicher schälten sich nun die Favoriten heraus.
Vor allem die schwedische Sängerin Loreen, die durch ihre marokkanischen Wurzeln so gar nichts Nordisches an sich hat, gilt mit ihrem "Euphoria" als Favoritin. Bei den Buchmachern liegt sie mit ihrem leicht mystisch angehauchten Pop-Lied meilenweit vorne. Loreen sorgte in Baku auch für Aufsehen, weil sie sich mit Vertretern der Menschenrechtsbewegung "Sing for democracy" traf. Nach ihrem Finaleinzug wollte sich Loreen allerdings vor Journalisten nicht weiter zur Menschenrechtslage in dem von Präsident Ilham Alijew mit harter Hand regierten Aserbaidschan äußern.
Neben Loreen haben sich sechs russische Großmütterchen in die Herzen der Fans gesungen. Die als Buranowski Babuschki auftretenden Frauen aus einem 650-Seelen-Dorf in der Region Udmurtien haben mit ihrer "Party For Everybody" einen Hit rausgebracht, der mutmaßlich sehr viele Stimmen bekommen wird. Ob es zum Sieg der Omas über die Jugend reicht? Oder schafft es womöglich einer der stimmstarken Kandidaten wie etwa der Serbe Zeljko Joksimovic?
Während sich diese Sänger als Halbfinalteilnehmer bereits zeigen konnten und so erste Bekanntheit gewannen, haben Gastgeber Aserbaidschan sowie die fünf großen Geldgeber des ESC - Italien, Großbritannien, Spanien, Frankreich und Deutschland - als gesetzte Finalisten erst am Samstag ihren ersten offiziellen Auftritt. Dem 76-jährigen Schmusesänger Engelbert Humperdinck, der für England startet, werden aus dieser Runde ebenso gute Chancen zugeschrieben wie Italiens Nina Zilli.
Aus deutscher Sicht wird es mit der Startnummer 20 spannend, mit der Roman Lob antritt. Der 21-Jährige trug sein Lied "Standing still" in Baku bereits bei verschiedenen Gelegenheiten vor und festigte damit seinen Ruf als starker Sänger. Anders als Lena 2010 in Oslo schaffte es Lob allerdings nicht, schon vor dem Finale Euphorie auszulösen. Der Sänger mit den Teddybär-Augen und der Käppi auf dem Kopf muss darauf hoffen, mit seiner Stimme zu überzeugen.
Mit einem Platz unter den ersten Zehn hätte Deutschland zumindest gezeigt, dass Lena keine Eintagsfliege war und das Konzept einer Casting-Show mit unbekannten Künstlern als Vorentscheid funktioniert. Ein Platz weit abgeschlagen von den Top Ten dürfte dagegen zu kritischen Debatten bei den für den ESC in Deutschland Verantwortlichen führen. Laut "Spiegel" stellen ARD und ProSieben schon das gesamte Konzept des Vorentscheids in Frage.
Für die Menschen in Aserbaidschan indes geht es angesichts der prekären Menschenrechtslage um viel mehr. Vor dem Hintergrund der starken Medienpräsenz hält sich die Polizei in Baku dieser Tage offensichtlich zurück. Nicht nur Politiker von SPD und Grünen warnen aber davor, dass nach Abzug der ESC-Karawane die Regierung umso härter gegen Menschenrechtsaktivisten vorgehen könnte. "Wir befürchten, dass in den nächsten Wochen die Repressionsschraube angezogen wird", erklärte Grünen-Parlamentsgeschäftsführer Volker Beck.