Nord-Stream-Sabotage: Weiterer Verdächtiger in Polen gefasst

Aufnahme nach Anschlag auf Pipelines
Aufnahme nach Anschlag auf Pipelines
© AFP
Drei Jahre nach dem Sprengstoffanschlag auf die Nord-Stream-Pipelines in der Ostsee ist in Polen ein weiterer Tatverdächtiger gefasst worden. Wie die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe mitteilte, wurde der ukrainische Staatsbürger Wolodymyr Z. am Dienstag auf Grundlage eines von Deutschland ausgestellten europäischen Haftbefehls in der Nähe von Warschau von polnischen Polizisten festgenommen. Der Verdächtige sei "ausgebildeter Taucher".

"Er gehörte zu einer Gruppe von Personen, die im September 2022 nahe der Insel Bornholm Sprengsätze an den Gaspipelines 'Nord Stream 1' und 'Nord Stream 2' platzierte", erklärte die Bundesanwaltschaft weiter. "Der Beschuldigte beteiligte sich an den dazu erforderlichen Tauchgängen."

Die Bundesanwaltschaft wirft dem Mann das gemeinschaftliche Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion, verfassungsfeindliche Sabotage sowie die Zerstörung von Bauwerken vor. Der Beschuldigte soll nach einer Überstellung aus Polen dem Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs vorgeführt werden.

Ein Sprecher der Staatsanwaltschaft in Warschau sagte, der Verdächtige sei am Dienstagmorgen im südwestlich von Warschau gelegenen Pruszkow festgenommen worden. Die polnische Justiz habe hundert Tage Zeit, um über eine Überstellung nach Deutschland zu entscheiden. In Deutschland drohtem dem Mann bis zu 15 Jahre Haft, sagte Behördensprecher Piotr Skiba.

Seinen Angaben zufolge hatte die polnische Polizei den Mann bereits im vergangenen Jahr festnehmen wollen, damals konnte er aber entkommen. "Kurz vor der Vollstreckung dieses europäischen Haftbefehls hat der Mann das Territorium der Republik Polen verlassen und ist in die Ukraine gereist", sagte Skiba.

Der Anwalt des Festgenommenen, Tymoteusz Paprocki, kritisierte im Sender TVN24 den Haftbefehl gegen seinen Mandaten. Dieser entbehre angesichts des Krieges zwischen Russland und der Ukraine jeder Grundlage.

Im August hatte die Bundesanwaltschaft bereits die Festnahme eines Ukrainers in Italien erwirkt, der an der Sprengung der Nord-Stream-Pipelines beteiligt gewesen sein soll. Der Beschuldigte Serhii K. soll nach Angaben der Bundesanwaltschaft der Koordinator des Sabotage-Kommandos gewesen sein. Mitte September ordnete ein italienisches Gericht seine Auslieferung nach Deutschland an. K. weist die Vorwürfe zurück und wehrt sich gerichtlich gegen seine Auslieferung.

Die Nord-Stream-Pipelines in der Ostsee waren für den Transport von russischem Gas nach Deutschland gebaut worden. Am 26. September 2022 - sieben Monate nach Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine - wurden sie durch Sprengsätze schwer beschädigt.

Im Oktober 2022 übernahm die Bundesanwaltschaft die Ermittlungen zu der Nord-Stream-Sabotage. Die deutschen Ermittler gehen davon aus, dass eine ukrainische Gruppe bestehend aus mehreren Männern und einer Frau für die Explosionen an den Pipelines verantwortlich war.

Nach Angaben der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe mietete die Gruppe eine Segelyacht, die von Rostock aus startete. Demnach war das Boot mit Hilfe gefälschter Ausweispapiere über Mittelsmänner bei einem deutschen Unternehmen gemietet worden.

Vor einigen Wochen hieß es dann in Medienberichten, dass es den deutschen Ermittlern gelungen sei, alle Mitglieder des Kommandos zu identifizieren. Es handle sich um sieben ukrainische Tatverdächtige, berichteten Ende August die Wochenzeitung "Die Zeit", die "Süddeutsche Zeitung" und die ARD auf Grundlage gemeinsamer Recherchen. Gegen sechs von ihnen lägen Haftbefehle vor. Das siebte Kommandomitglied soll im Dezember 2024 in der Ostukraine bei Kämpfen gegen die russische Armee getötet worden sein.

Nach den Recherchen dieser Medien soll das Kommando neben dem mutmaßlichen Koordinator Serhii K. aus einem Skipper, einem Sprengstoffexperten und vier Tauchern bestanden haben. Die Ermittlungen erhärten diesen Recherche zufolge zudem den Verdacht, dass die Gruppe den Anschlag mit Hilfe von ukrainischen Behörden habe ausführen können.

So seien die Verdächtigen mit ukrainischen Original-Pässen durch Polen nach Deutschland gereist, die allerdings falsche Namen enthalten hätten, hieß es in den Berichten. Einer der Verdächtigen sei zudem im Sommer vergangenen Jahres in einem Auto des ukrainischen Militärattachés aus Polen in die Ukraine gebracht worden, um einer Festnahme zu entgehen.

Der Fall ist diplomatisch heikel: Deutschland ist ein enger Verbündeter der Ukraine und unterstützt das Land im Verteidigungskrieg gegen Russland. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat beteuert, dass seine Regierung nichts von den Anschlagsplänen gegen die Pipelines gewusst habe. Die Ukraine wie auch die USA hatten aber die Europäer gedrängt, ihre Abhängigkeit von russischem Gas zu senken.

Die Pipelines waren zum Zeitpunkt des Anschlags nicht in Betrieb. Russland hatte die Gaslieferungen über Nord Stream 1 kurz zuvor gestoppt, mutmaßlich als Reaktion auf die westlichen Sanktionen wegen des Angriffskriegs gegen die Ukraine. Nord Stream 2 war nie in Betrieb gegangen.

AFP