Unruhen in Tunesien Internationale Gemeinschaft besorgt über Proteste

Bei den sozialen Unruhen in Tunesien sind offenbar deutlich mehr Menschen umgekommen als von der Regierung angegeben. Die Internationale Vereinigung der Menschenrechtsliegen (FDHI) sprach am Dienstag in Paris von mindestens 35 Toten seit dem Wochenende, tunesische Quellen von bis zu 70 Todesopfern. Die Bundesregierung und die Vereinten Nationen zeigten sich besorgt über die Lage in den nordafrikanischen Land.

Die tunesische Regierung hatte am Wochenende zunächst von 14 Toten gesprochen. Allein in Kasserine im Mittelwesten des Landes seien aber seither mehr als 50 Menschen getötet worden, sagte der Gewerkschafter Sadok Mahmoudi unter Berufung auf Krankenhausmitarbeiter. "In Kasserine herrscht Chaos." Häuser und Geschäfte würden geplündert, die Polizei habe sich zurückgezogen. Auf den Dächern lauerten Heckenschützen, sagte Mahmoudi vom Gewerkschaftsdachverband UGTT.

Eine andere Quelle, die anonym bleiben wollte, sprach unter Berufung auf einen Arzt und drei Krankenschwestern des Krankenhauses von Kasserine von 68 Toten. Die Opfer seien demnach von Heckenschützen und Sicherheitskräften erschossen worden. Die Krankenhausbelegschaft habe für eine Stunde die Arbeit niedergelegt, um gegen den Mangel an Blutkonserven zu protestieren und auf die hohe Zahl der eingelieferten Verletzten aufmerksam zu machen.

EU-Außenministerin Catherine Ashton hat die sofortige Freilassung der festgenommenen Demonstranten gefordert. Die Behörden des nordafrikanischen Landes müssten "Blogger, Journalisten, Anwälte und andere Menschen, die friedlich demonstriert haben", umgehend wieder freilassen, sagte die Sprecherin Ashtons am Montag in Brüssel. Ashton zeigte sich demnach besorgt über die Auseinandersetzungen und rief zum Gewaltverzicht, zur Achtung der Grundrechte sowie zum Dialog auf. Auch die Bundesregierung reagierte besorgt: "Nicht Gewalt, nur Dialog kann zu einer Verbesserung der Situation beitragen", erklärte der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Werner Hoyer (FDP). Auf Initiative der Bundesregierung wollte sich demnach das Politische und Sicherheitspolitische Komitee der Europäischen Union am Dienstag mit der Lage in dem nordafrikanischen Land befassen. Tunis müsse die "grundlegenden Menschenrechte und Grundfreiheiten" achten.

UN-Generalsekretär Ban Ki Moon rief die Konfliktparteien zum Dialog auf. Ban sei "beunruhigt über die gewaltsame Eskalation der Auseinandersetzungen" zwischen Polizei und Demonstranten, sagte sein Sprecher am Montag. Zugleich betonte Ban die "Bedeutung einer allumfassenden Achtung der Redefreiheit". In Tunis löste die Polizei am Dienstag eine friedliche Demonstration von Künstlern vor dem Stadttheater auf, wie AFP-Journalisten berichteten.

Die Linke im Bundestag verwies darauf, dass Deutschland drittgrößter Handelspartner und neben den USA bedeutendster Rüstungslieferant Tunesiens sei. "Seit Jahren werden in dem Land die Menschenrechte mit Füßen getreten, Oppositionelle und Gewerkschaftler mundtot gemacht", erklärte das Mitglied im Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Niema Movassat, mit Blick auf Menschenrechtsverletzungen in dem Land.

Die Proteste gegen die hohe Arbeitslosigkeit in dem nordafrikanischen Land hatten begonnen, nachdem sich ein junger arbeitsloser Akademiker vor Weihnachten selbst angezündet hatte. Präsident Zine El Abidine Ben Ali stellte am Montagabend 300.000 neue Jobs in Aussicht. Schulen und Universitäten wurden aus Sicherheitsgründen geschlossen. Am Montag tötete sich ein weiterer arbeitsloser Akademiker in einem Dorf in der Region Sidi Bouzid, wie ein Augenzeuge und ein Vertrauter der Familie mitteilten. Der 23-Jährige sei auf einen Strommast geklettert und habe sich mit Stromschlägen getötet.

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AFP/DPA