Für trauernde Eltern gibt es keine Erklärung. Selbst wenn die Unfallursache gefunden wird, erklärt sie nicht, warum gerade ihr Kind sterben musste. Mit dieser verzweifelten Frage im Kopf fuhren die Eltern der 22 toten Kinder nach Sion. Ihre Kinder waren bei dem schweren Busunfall am Mittwochabend in einem Tunnel im Wallis umgekommen. Die meisten waren gerade einmal zwölf Jahre alt. Sie hatte eine Klassenfahrt hinter sich, hatten Skifahren gelernt und freuten sich nach der ersten großen Reise ohne Eltern auf Zuhause. Nur wenige Minuten nach Beginn der Rückreise prallte der Bus gegen eine Tunnelwand.
Ihre Eltern, Geschwister und Großeltern wurden am Donnerstag mit belgischen Militärmaschinen in die Schweiz geflogen - für den schwersten Gang ihres Lebens. Sie mussten die Toten in der Kapelle des Zentralfriedhofs in Sion identifizieren. Zunächst wurden den Eltern und Angehörigen die Kleidung und andere persönliche Dinge vorgelegt. Anschließend zeigte man ihnen Fotos und erst zum Schluss, wenn die Eltern es wollten, konnten sie ihre Kinder sehen, stark entstellt durch die Wucht des Aufpralls.
Der Tod des eigenen Kindes ist kaum zu fassen. Um den Unfall zu verstehen, um annähernd nachzuvollziehen, was passiert war, fuhren die Familien zum Unfalltunnel bei Siders auf der Autobahn 9. Ehepaare hielte sich an den Händen, nahmen sich in den Arm, stützten sich gegenseitig, die Augen verquollen von den vielen Tränen. Sie brachten Blumen mit, legten Briefe für ihre Lieben ab. Auf Schritt und Tritt wurden sie von Psychologen begleitet und von der Polizei abgeschirmt.
Bangen und Hoffen der Eltern
Auch Alex Pues und Jocelyn Camero aus Heverlee sind in die Schweiz gekommen. Sie hatten am frühen Donnerstagmorgen den Anruf bekommen. Der Bus ihrer Tochter Sarah habe einen Unfall im Wallis gehabt. Es habe viele Tote gegeben. Fünf Stunden bangten und hofften die Eltern, dass ihre Elfjährige noch lebt. "Wir haben eine unglaubliche Verzweiflung gespürt. Das Warten war die reinste Qual. Das würden wir nicht einmal unseren größten Feinden wünschen", sagte Vater Alex gegenüber der belgischen Zeitung "L'Avenir". Dann kam die erlösende Nachricht: Sarah ist mit gebrochenen Beinen und einem gebrochenem Arm im Krankenhaus. Sie hatte Glück. Sarah gehörte zu der Primarklasse in Heverlee, die im hinteren Teil des Busses saß. Die Kinder, Betreuer und Busfahrer im vorderen Teil des Busses hatten keine Chance. Drei der 20 verletzten Kinder fahren am Donnerstagabend mit ihren Eltern im Auto nach Hause. Drei weitere fliegen, andere werden mit einem Krankentransport nach Heverlee und Lommel gebracht.
Trauer im belgischen Heverlee und Lommel
In der Heimat trauern Mitschüler, Freunde und Verwandte um die Opfer. Bunte Bilder hängen an der Backsteinmauer der St.-Lamertus-Schule in Heverlee. "Es ist so schmerzhaft, dass es euch getroffen hat", steht auf einem Zettel. Der Lehrer Frank Van Kerckhoven starb ebenfalls in den Trümmern der Schule. Der 40-Jährige war beliebt bei den Schülern. "Er war ein Vorbild für die Kinder. Er war lustig, hat sich sehr um sie gekümmert", sagt der ehemalige Schüler Cedric Cornelissen, 14, zur Zeitung "Blick". Van Kerckhoven ist selbst Vater von drei Kindern. Sie kamen am Nachmittag nach dem Unglück zur Schule, legten Blumen nieder, hingen eine Zeichnung an die Mauer. "Ich liebe dich für immer. Du wirst immer in unseren Herzen sein, Papa." Die Betreuerin Monique Van der Aa starb ebenfalls im vorderen Teil des Busses.
70 Kilometer entfernt, im flämischen Lommel treffen sich Schüler und Eltern an der Schule "'t Stekske". Sie legen Blumen, Stofftiere oder Zeichnungen nieder, andere zünden Kerzen an. Worte des Trostes auf Pappen und Papieren: "Keine Zukunft, keine schönen Kindheitsträume mehr, nur Euer unvorstellbares Leid, das nie aufhören wird - wir tragen es mit Euch", heißt es auf einem Zettel. 15 der toten Kinder gingen in Lommel auf die Schule. Die kleine Stadt hat nur 33.000 Einwohner. Hier kennt jeder jeden. Stefan Groenendal bringt an der Hand seine zwei Söhne zur Schule. Der elfjährige Max kannte mehrere der Todesopfer. "Er hat viel geweint gestern", sagt Groenendal, der selbst rotgeweinte Augen hat.
Das Busunglück hat ganz Belgien erschüttert. Am Freitag wird um 11 Uhr das Land bei einer Schweigeminute der Opfer gedenken.