Kevin Strickland "Diese 43 Jahre kann man nicht aufholen": Ex Häftling versucht, ein neues Leben zu beginnen

Ex-Häftling Kevin Strickland
Kevin Strickland saß 43 Jahre lang unschuldig im Rollstuhl
© Imago Images
43 Jahre lang saß der Afroamerikaner Kevin Strickland unschuldig im Gefängnis. Vor mehr als zwei Wochen wurde er entlassen. Doch sein Weg zurück in die Freiheit fällt ihm schwer.

Es ist mehr als zwei Wochen her, dass Kevin Strickland aus der Justizvollzugsanstalt von Western Missouri entlassen wurde. Seitdem wacht der 62-Jährige oft schon gegen 3.30 Uhr morgens auf und will einfach nur raus. "Ich wache auf und habe Lust, nach draußen zu gehen“, sagt er in einem Gespräch mit dem englischen "The Guardian".

Seit seiner Entlassung lebt er im Haus seines Bruders. Eine Haftentschädigung gab es nicht. Der Staat Missouri erlaubt nur Zahlungen an Personen, die aufgrund von DNA-Beweisen entlastet wurden. In seinem Fall jedoch hatte ein Richter die sofortige Freilassung angeordnet, da der Mann einzig und allein auf Grundlage der Aussage einer Augenzeugin verurteilt worden war, die ihre Aussage später widerrufen habe. Der damalige Schuldspruch sei deswegen nicht haltbar, hieß es.

Kevin Strickland freut sich über Spendengelder

Da Strickland weder über Ersparnisse verfügte noch Arbeitszeiten vorweisen kann, um Sozialversicherungsansprüche zu erwerben, rief das Midwest Innocence Project für ihn eine GoFundMe-Spendenaktion ins Leben. Inzwischen sind mehr als 1,7 Millionen Dollar zusammen gekommen. Der Ex-Häftling plant, die gesammelten Gelder "weise und nicht verschwenderisch" zu verwenden. "Keine Partys. So etwas wird es nicht geben."

"Ich bin wirklich dankbar. Und das sage ich nicht nur, weil es politisch korrekt ist, das zu sagen. Ich brauche es und ich wusste nicht, dass es so viele fürsorgliche Menschen da draußen gibt." Aber die Aufmerksamkeit, die ihm zuteil wird, ist ungewohnt. "Ich kann nicht sagen, dass ich es genieße. Große Gruppen sind zu viel und ich mag es nicht, wenn die Leute ständig über mich herfallen. Aber man muss das Bittere mit dem Süßen nehmen."

Kevin Strickland: "Im Herzen bin ich ein Landei"

Sein Plan ist es, einen ruhigen, sicheren Ort zum Leben zu finden, weit weg von den meisten Menschen und zu versuchen, die Tage zu schätzen, die er hat, um "vorwärts zu kommen". "Ich werde essen, was ich essen will, ein bisschen schwimmen gehen und einfach versuchen, den Rest meines Lebens zu genießen. Er würde gerne auf dem Land leben. "Im Herzen bin ich ein Landei", sagt er.

In dem Moment, in dem Strickland auf freien Fuß kam, war er der am längsten inhaftierte Häftling in Missouri. Seine Verurteilung für einen dreifachen Mord im Jahr 1978 während eines Einbruchs in ein Haus beruhte weitgehend auf der Augenzeugenaussage der einzigen Überlebenden des Verbrechens.

Doch diese widerrief ihre Aussage im Jahr 2009 und sagte, sie sei von der Staatsanwaltschaft unter Druck gesetzt worden, Strickland, einen damals 18-jährigen Schwarzen, zu identifizieren. Doch bis sich das Midwest Innocence Project seines Falles annahm und sich die Staatsanwältin des Bezirks Jackson für die Aufhebung seiner Verurteilung einsetzte, konnte Strickland wenig tun.

"Du musst da einfach durch."

"Man kann es sich nicht einmal vorstellen – und man will es auch gar nicht", sagt Strickland über seine Inhaftierung. "Es ist hart, jeden Tag gesagt zu bekommen, wann man etwas tun soll. Wann man sich hinlegen soll. Essen. Schlafen. Spielen. Und zu wissen, dass sich diese Dinge Tag für Tag wiederholen werden, solange man lebt – und dass es sich nicht ändern wird."

"Du musst da einfach durch. Es ist dunkel. Ich habe mich nicht abgemeldet. Du musst dich ihm stellen. Dich damit auseinandersetzen. Ich habe mehrere Selbstmorde gesehen, das wäre ein Hinweis darauf, dass ihr Wille und ihre Kraft geschwächt waren."

Strickland sagt, er sei nicht verärgert über die vier Jahrzehnte seiner Inhaftierung. Wut sei ein Luxus, den sich andere leisten könnten, sagt er, aber er habe keine Lust, sich ihr hinzugeben. "Ich kann meine Energie nicht mit Wut verschwenden, also werde ich nicht wütend, denn Wut führt manchmal dazu, dass man körperlich wird. Wut ist ein starkes Wort und bringt Negativität mit sich. Ich bin einfach nur angewidert und enttäuscht über das, was mir widerfahren ist."

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Dennoch hat er während der Haft seine Mutter und viele andere Familienmitglieder verloren. Der Weg zurück in die Freiheit ist nicht leicht. Schon der Anblick einer Uhr erinnert ihn an die Zählzeiten im Gefängnis. "Diese 43 Jahre kann man nicht zurückholen", sagt Strickland. "Man kann sie nicht zurückholen. Sie sind weg. Das kann man nie. Also muss ich das in meinem Kopf fixieren und langsamer werden."

Quellen: "The Guardian", GoFundMe

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