Wegen des Missbrauchs von 299 zumeist minderjährigen Patienten durch einen früheren Chirurgen in Frankreich hat die Staatsanwaltschaft die Höchststrafe von 20 Jahren Haft für den 74-Jährigen gefordert. Die Anklagebehörde stellte am Freitag zudem weitere Verfahren gegen den geständigen Sexualstraftäter in Aussicht. Die bislang noch nicht identifizierten Opfer des Mannes würden "nicht vergessen", betonte Staatsanwalt Stéphane Kellenberger.
Der frühere Chirurg Joël Le Scouarnec muss sich seit Februar wegen sexueller Übergriffe und Vergewaltigungen im westfranzösischen Vannes vor Gericht verantworten. Ihm werden 111 Vergewaltigungen und 189 sexuelle Übergriffe zur Last gelegt. Die Taten beging er in einem Zeitraum von mehr als 25 Jahren zwischen 1989 und 2014.
Seine Opfer waren im Schnitt elf Jahre alt. Der 74-Jährige hat seine Taten pauschal gestanden. Wie der Mediziner in seinen Tagebüchern akribisch notierte, verging er sich an Jungen und Mädchen unter dem Vorwand von Untersuchungen oder während sie unter Narkose standen.
Frankreich: Angeklagter soll auch sechsjährige Nachbarin vergewaltigt haben
Le Scouarnec war bereits 2004 wegen Besitzes von Kinderpornografie zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden. Dies hatte seine Karriere jedoch nicht beeinträchtigt, er bekam in rund einem Dutzend Krankenhäuser im Westen Frankreichs verantwortungsvolle Posten. Der Fall wurde bekannt, als Le Scouarnecs Nachbarn wegen der Vergewaltigung ihrer sechs Jahre alten Tochter Anzeige erstatteten. Bei den anschließenden Ermittlungen wurden Tagebücher gefunden, in denen der Mediziner seine Taten notiert hatte.
Während des Prozesses erklärte der Angeklagte in Anwesenheit seines Sohnes, dass er auch dessen Tochter – seine Enkelin – vergewaltigt habe. Außerdem zeigte er sich für den Suizid zweier junger Männer verantwortlich, die er als Kinder missbraucht hatte. Viele Klägerinnen und Kläger sowie Kinderschutzorganisationen bedauerten, dass der Prozess in Frankreich überraschend wenig Aufmerksamkeit erhielt. Mehrfach protestierten Betroffene vor dem Gericht gegen ein "Schweigen der Politiker".