Die Feinschmecker-Nation ist noch immer fassungslos. Wie konnte es kommen, dass der beliebte Spitzenkoch Bernard Loiseau keinen Ausweg mehr sah, sich am Montag den Lauf eines Jagdgewehres in den Mund schob und abdrückte? Ganze Seiten widmet die französische Presse dem spektakulären Tod des 52-Jährigen. Hatte er sich mit seinem großen Koch- und Hotelier-Unternehmen zu viel zugemutet?
Am kämpferischsten antworten Kollegen Loiseaus auf die Frage, was letztlich den äußerst ehrgeizigen Drei-Sterne-Koch aus dem Burgund umgebracht haben könnte - der Druck der «Benotungen» ihrer Kochkunst. «Für Köche ist das wie eine jährliche Abiprüfung», so sagt Claude Lebey, Herausgeber der Kochbücher Loiseaus, «sie sind drei Monate im Jahr krank, wenn sie befürchten, einen Stern abgeben zu müssen.»
«Ein Stern bringt 30 Prozent mehr Kunden»
«Ein Stern im Michelin, das bringt 30 Prozent mehr Kunden», überschlägt der Gastronomie-Kritiker Roger Fleury. «Drei Sterne, die Bestnote des Guide Rouge von Michelin, sichern weltweites Ansehen.» Auch Didier Metzelard, Chef des Restaurants «La Mignardise» in Nancy, prangert nach dem Freitod Loiseaus nicht allein den «psychologischen Schaden» an, den der Marktführer Guide Rouge von Michelin, aber auch andere wie GaultMillau so anrichten können: «Wenn die Küche in einem Führer gelobt wird, bringt das 15 bis 20 Prozent mehr Gäste. Zu mir kommen Deutsche, Japaner und Franzosen, den Führer unter dem Arm.»
«Mit diesen Benotungen kann ein Koch wirklich schlecht umgehen, weil er seinen Beruf von ganzem Herzen ausübt», erklärt der Chef des ebenfalls «besternten» Edelrestaurants «Grand Véfour» in Paris, Guy Martin: «Erst wird gesagt, Du gehörst zu den besten, und dann zählst Du plötzlich von einem Tag zum anderen nicht mehr dazu.» Den anonymen Testern des Guide Rouge von Michelin ist wiederholt und sehr heftig vorgehalten worden, das Ambiente und die Ausstattung zu wichtig zu nehmen, also nicht nur das, was der Koch so auf den Teller zaubert.
«Schleichender Niedergang»
In der Gerüchteküche um das, was Loiseau in den Tod getrieben haben könnte, ist auch nicht nur von dem durchaus umstrittenen GaultMillau-Führer die Rede, der den Spitzenkoch gerade herabgestuft hat. Der Guide-Rouge-Chef persönlich soll den «Côte d’Or»-Koch im August vor «schleichendem Niedergang» gewarnt haben. Würde das spätestens 2004 den dritten Stern kosten? «Danach war er ganz fürchterlich daneben», erinnert sich ein Freund. Von dem Führer werden immerhin 550 000 Exemplare verkauft. Und Loiseaus höchstes Ziel war es, ein «Pele oder Ronaldo der Gastronomie» zu bleiben.
Eine ganze Reihe, aber durchaus nicht alle französischen Spitzenköche haben sich Paul Bocuse angeschlossen, der die Zunft dazu aufgerufen hat, gegen die «Manipulation» durch solche Kritiker-Noten aufzustehen. «Bleiben wir vernünftig, in unserem Metier kennt doch ein jeder die Spielregeln. Die Herabstufung durch GaultMillau erklärt die Tat nicht», meint Drei-Sterne-Koch Marc Veyrat - von GaultMillau gerade mit der erstmals vergebenen Bestnote 20 (von 20) dekoriert.
Beisetzung in Saulieu im Burgund
An diesem Freitagnachmittag wird der beliebte Küchenchef in Saulieu im Burgund zu Grabe getragen. Er hat dafür gesorgt, dass die anreisenden Pariser Gourmets schon auf der Autobahn den Hinweis auf den Ort lesen, weil er eine «gastronomische Hochburg» ist. An diesem Freitag kommt auch die Ausgabe 2003 des roten Michelin-Führers in die Regale der Buchhandlungen. Der tote Loiseau hat darin drei Sterne.